Dokumentation Verfassungsschutz: nutzlos oder gefährlich?

Brauchen wir einen Inlandsgeheimdienst? Bericht zur Diskussion mit Bodo Ramelow, Rupert von Plottnitz und Charlotte Tinawi, «Politik aktuell»

Information

Veranstaltungsort

Palisa - Umspannwerk Ost
Palisadenstr. 48
10243 Berlin

Zeit

22.02.2012

Veranstalter

Ramona Hering,

Mit

Bodo Ramelow (Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Thüringer Landtag), Rupert von Plottnitz (Rechtsanwalt, früherer hessischer Justizminister, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Charlotte Tinawi (Politikstudentin, JungdemokratInnen/ Junge Linke), Moderation: Stefan Reinecke, taz

Themenbereiche

Staat / Demokratie, Partizipation / Bürgerrechte

Die Diskussion im Umspannwerk Ost griff eine von Heribert Prantl aufgeworfene Frage auf und diskutierte diese an Hand von Beispielen aus der jüngsten und weiter zurückliegenden Vergangenheit.

So ist der Verfassungsschutz (VS) nicht erst durch die Vorgänge im Zusammenhang mit den NSU-Morden in Verruf gekommen. Diese Behörde ist gewissermaßen mit einem Geburtsfehler behaftet, der mit unklaren Kompetenzen und fehlenden Regeln zur Zusammenarbeit mit anderen staatlichen Behörden nur teilweise umschrieben ist. Eine weitere Schwäche war von Beginn an die Ausrichtung des VS gegen linksorientierte und von daher als staatsfeindlich wahrgenommene Gruppierungen und Bewegungen. Diese einseitige Ausrichtung haben die VS-Dienste auch nach dem Ende des Kalten Krieges und mit der Öffnung der Grenze(n) – von wenigen Ausnahmen abgesehen wie beim Landesamt für Verfassungsschutz in Brandenburg- nicht aufgegeben. In diesem Lichte ist auch die absurde Überwachung Bodo Ramelows zu sehen. Bodo Ramelow machte durch lebhafte Beschreibungen dieser Überwachung sein persönliches «Absurdistan» deutlich. Um dem ein Ende zu machen wird Ramelow seine Klage beim Bundesverfassungsgericht abwarten und gegebenenfalls auch bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. Allerdings wurde ihm bereits im Jahre 2006 mitgeteilt, dass alle Bundestagsabgeordneten der LINKEN erfasst – d.h. beobachtet – würden. Diese mit nachrichtendienstlichen Mitteln vorgenommene Beobachtung einer Reihe von Abgeordneten der Linken durch den Verfassungsschutz ist somit ein lange schwelender Skandal. Denn der Inlandsgeheimdienst macht damit seine obersten und demokratisch legitimierten Wächter zum Beobachtungsgegenstand. Dadurch entsteht eine Situation, in der PolitikerInnen der LINKEN Mitglied im Vertrauensgremium des Deutschen Bundestages sind (ein Gremium, das die Aufgabe hat die Haushalte der Geheimdienste zu überwachen) und selbst vom VS überwacht werden! Eine Maßnahme, die nebenbei bemerkt, die SteuerzahlerInnen immerhin 390.000 Euro kostet.

Demgegenüber steht eine Serie von Pannen und Verfehlungen bei der Beobachtung – dieser Ausdruck ist hier eher fehl am Platz – von Rechtsterroristen. Diese wurden durch eine Armada von V-Leuten vermutlich eher gestärkt und konnten jahrzehntelang Bomben bauen und ihren menschenverachtenden Fantasien umsetzen. Die Polizei wurde durch den VS eher behindert denn unterstützt, so dass sich unweigerlich die Frage stellt, wen der Verfassungsschutz schützt und vor wem? Denn mit Hilfe von V-Leuten wurden NPD-Parteistrukturen, Kreisverbände, und rechte Einrichtungen und Unternehmen mit dem Geld, dass der VS diesen zahlte, aufgebaut. Rupert von Plottnitz wies darauf hin, dass Polizei und Justiz oftmals die Hände gebunden würden, sobald der VS ermittelt.

Konnten denn überhaupt jemals Straftaten durch einen Einsatz von V-Leuten verhindert werden?

Spannend und durchaus auch ein wenig kontrovers diskutiert wurde schließlich die Frage, ob in einem wirklich demokratischen Gefüge ein Verbot der NPD bzw. generell ein Parteienverbot gerechtfertigt sei. Wie verträgt sich ein Parteienverbot mit einem radikal demokratischen Anspruch. Charlotte Tinawi verneinte dies konsequent. Schon heute könnten antifaschistische Gruppen weit mehr erreichen um faschistische Tendenzen zu bekämpfen, würden sie nicht ihrerseits von den Inlandsgeheimdiensten kriminalisiert und behindert und ihnen zusätzlich vom Staat die für ihre Arbeit notwendigen finanziellen Mittel gestrichen.

Ramona Hering

Die aktuelle Fassung der Chronik zum NSU und Verfassungsschutz-Skandal enthält 45 Seiten incl. Quellenangaben (Stand: 20.2.2012)
 

Die Gäste:

  • Bodo Ramelow, Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Thüringer Landtag, wird seit Jahren vom Verfassungsschutz überwacht und hat dagegen inzwischen Verfassungsbeschwerde eingelegt.
  • Rupert von Polttnitz ist Rechtsanwalt und war Ende der 1990er Jahre hessischer Justizminister für Bündnis 90/DIE GRÜNEN.
  • Charlotte Tinawi ist 24 Jahre alt und studiert Politikwissenschaft an der FU Berlin. Die Stipendiatin der Rosa-Luxemburg-Stiftung ist seit dem Jahr 2004 aktives Mitglied des radikaldemokratischen und parteiunabhängigen Jugendverbands JungdemokratInnen/ Junge Linke, der sich gegen die Extermismusklausel und die Stigmatisierung von antifaschistischer, antirassitischer und antimilitaristischer politischer Jugendarbeit richtet.

Die Umfrage: