Dokumentation Leben als Geächtete – Homosexuell in Russland

Die offene und staatlich abgesegnete Diskriminierung von Menschen wegen ihrer sexuellen Präferenz ist in dieser Form neu in Europa. Diskussion mit russischen Aktivist_innen.

Information

Zeit

21.06.2013

Veranstalter

Ramona Hering,

Themenbereiche

Geschlechterverhältnisse, Ungleichheit / Soziale Kämpfe

 

Der dramatisch gewählte Titel der Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung am Freitag den 21.Juni 2013  traf den Kern dessen, was russische LBGTI-Aktivist_innen im Rahmen der Diskussion des jüngst von der Duma beinahe einstimmig verabschiedeten Gesetzes  zum Verbot der Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen zu sagen hatten.

Dieses Gesetz, und weitere bereits früher verabschiedete Gesetze, wie das Gesetz zum Schutz religiöser Empfindungen, das Gesetz über ausländische Agenten, das Gesetz über das Verbot der Adoption russischer Kinder durch Ausländer_innen u.s.w.  – all diese Gesetze, so eine Teilnehmerin auf dem Podium, markierten den langsamen, aber unaufhaltsamen Übergang Russlands zum „Faschismus“. Sie zeichnete ein düsteres Bild der russischen Gesellschaft und erklärte, warum Homophobie in Russland – trotz des seit 1993 nicht mehr geltenden Verbots der Homosexualität – weiter ein starkes Motiv für Hass und Ausgrenzung ist. Viele Menschen setzten homosexuell mit pädophil gleich. Auch seien  religiöse Gefühle, die unter anderem durch Homosexuelle verletzt würden, in Russland sehr ausgeprägt, obgleich die wenigsten Russen aktive Kirchengänger sind. Dennoch sei Religion als Teil der Tradition auch elementar für die nationale Identität. Die Kirche sei daher auch nicht überraschend an vorderster Stelle, wenn es darum geht Homosexualität als ‚soziale Krankheit‘ zu verurteilen. (Seit 1999 gilt allerdings auch in Russland Homosexualität nicht mehr als Geisteskrankheit).

Das Gesetz zum Schutz der religiösen Empfindungen ist ein Schritt zur Klerikalisierung des weltlichen Staates und markiert das Eindringen des orthodoxen Glaubens in alle Gesellschaftsbereiche. Folgerichtig  können nur Lebensmodelle anerkannt werden, die aus dem Glauben resultieren. Das Fehlen moderner Werte in der russischen Gesellschaft nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erleichtert es der Regierung so genannte „traditionelle Werte“ aufzuwerten und sie der Bevölkerung aufzuzwingen. Ein Projekt für staatliche Familienpolitik soll bis zum Jahr 2025 konzeptionell alle anderen Modelle ausschließen. Ob diese Politik  nur dazu dient von anderen, d.h. wirtschaftlichen Problemen abzulenken, ist dabei eher zweitrangig. Faktisch wirken die Gesetze in dieser Weise, vor allem aber schwächen sie die ohnehin nicht-stark ausgebildete Opposition im Lande.

Die offene und staatlich abgesegnete Diskriminierung von Menschen wegen ihrer sexuellen Präferenz ist so in Europa neu. Gleichwohl gibt es auch in Deutschland und in Westeuropa noch immer Diskriminierung und Ablehnung, wie die Demonstrationen gegen die Homo-Ehe in Frankreich und die Blocklade der CDU zur Anerkennung der Homo-Ehe in Deutschland aktuell belegen.

So ausweglos die Situation sich in der russischen Föderation angesichts zunehmender Xenophobie und Homophobie darstellt – so wurden in der St. Petersburger Metro zwei junge Frauen verhaftet, weil sie sich in der Metro umarmt hatten; das LBGT-Festival ‚Side by Side‘ und die Initiative ‚Coming Out‘ wurden bereits als ausländische Agenten zu hohen Geldstrafen verurteilt – so wichtig ist dennoch die Solidarität mit den Betroffenen und das Sichtbarmachen und öffentliche Verurteilen dieser Zustände durch Initiativen und Unterstützer im Ausland.

In Russland wird es jetzt darauf ankommen, dass die sich demokratische und liberale Kräfte und Bürger mit den LBGTI-Aktivist_innen, mit Schwulen, Lesben, NGOs und vielen mehr solidarisieren, sich formieren und für die Bürgerrechte aller Russen, für ein modernes Russland mit einer modernen demokratischen Gesetzgebung engagieren. Wir müssen weiterhin aufmerksam sein, denn dieser Weg wird ein sehr langer Weg werden.

(Bericht: Ramona Hering)