Vortrag und Diskussion

Joachim Bruhn (Freiburg): "Kapital und Souveränität. Einführung in die materialistische Staatskritik"

Veranstalter: Rosa-Luxemburg-Forum Baden-Württemberg in Kooperation mit dem Infoladen Tübingen

Termin: 3.05.2006, 20:00-23:00 Uhr

Ort: Infoladen (Hausbar), Schellingstr. 6, 72072 Tübingen

Der Vortrag wird zwei Dinge beschreiben: Was der bürgerliche Staat ist und wie er wurde. Inwiefern war der historischen Vorgänger, der absolutistischen Zentralstaat Wegbereiter, inwiefern unterschied er sich vom modernen Staat? In diesem ersten Teil soll auch die Gewalt, die nötig war um der bürgerlichen Gesellschaft und ihrem Staat zum Durchbruch zu verhelfen, erwähnt werden.

Der zweite Teil des Vortrags wird in die Diskussion über marxistische Staatstheorie im 20. Jahrhundert einführen. Diese mündete meist nicht in materialistische Staatskritik, sondern häufig in der Forderung den Staat, der spätestens seit Lenin als Instrument in den Händen der herrschenden Klasse verstanden wurde, anders zu verwenden. Es wird aber nicht darum gehen den �autoritärem Sozialismus� anarchistisch zu kritisieren, sondern die Beschränkungen beider Strömungen offen zulegen.

Was aber ist materialistische Staatskritik? Kritik der eigentümlichen Form, die Herrschaft in kapitalistischen Gesellschaften annehmen muss.
Vor dem Hintergrund von Marxens Kapital, dessen geplanter Band über den Staat, nicht mehr geschrieben wurde, analysiert materialistische Kritik den Zusammenhang zwischen der Art und Weise der Institutionalisierung politischer Herrschaft und der ökonomisch-sozialen Struktur einer Gesellschaft. Es geht also um die Analyse der gesamtgesellschaftlichen Totalität von ökonomischen, sozialen, politischen und ideologischen Strukturen.

Davon ausgehend, dass in jeder historischen Gesellschaftsformation die Grundlage von Herrschaft in der Verfügbarkeit über die materiellen Bedingungen der Produktion und über das, die bloße Reproduktion der Gesellschaft überschreitende Mehrprodukt lag, und die Art und Weise wie dieses Mehrprodukt angeeignet wurde auch über Form und Inhalt der politischen Herrschaft bestimmte, stellt sich die Frage, welche Konsequenzen es hat, wenn die Aneignung des Mehrprodukts in Form des Mehrwerts und vermittelt durch freien und gleichen Warentausch abläuft.

Freier Warenverkehr setzt voraus, dass die Konkurrenz der Warenbesitzer untereinander nicht durch Anwendung physischer Gewaltmittel ausgetragen wird, also auch den einzelnen Kapitalisten die Verfügung über physische Gewaltmittel entzogen, zentralisiert und in einer von der herrschenden Klasse getrennten Form institutionalisiert wird.

Hegel beschrieb in seiner Rechtsphilosophie zum ersten mal systematisch diese historisch mit der bürgerlichen Revolution entwickelte Ausdifferenzierung von Staat und Gesellschaft in zwei soziale Sphären. Deren folge ist der Doppelcharakter des Subjekts, seine Spaltung in Bourgeois und Citoyen.

Die Besonderung des physischen Gewaltapparates und seine relative Autonomie, seine nicht nur scheinbare Neutralität gegenüber sowohl ausgebeuteten als auch ausbeutenden Klassen, ist die Besonderheit von Herrschaft im Kapitalismus. Die spezifische Form in der sich die Klassen aufeinander beziehen. Die zentrale Funktion des Staates ist es die Rahmenbedingung für die Kontinuität des Verwertungsprozesses zu gewährleisten: Das Privateigentum sichern, Infrastruktur, Ausbildung und Forschung und wertstabiles Geld bereitstellen, mittels sozialer Maßnahmen die Zerstörung der Arbeitskraft verhindern. Der Staat agiert dabei als �ideeller Gesamtkapitalist� (Engels), der mit seiner Politik das kapitalistische Gesamtinteresse an einer möglichst profitablen Akkumulation verfolgt. “Die marxsche �Kritik der politischen Ökonomie� tritt deswegen auf als Kritik der politischen Ökonomie, die von Anfang an die Einheit von Ökonomie und Politik, von Basis und Überbau, von Kapital und Souveränität darstellt: in der Form der Kritik. Alle Kategorien dieser Kritik sind ökonomisch und politisch zugleich. Insofern sie aus der vermittelten Identität von Ausbeutung und Herrschaft entspringen, gilt die Souveränität als nur eine, wenn auch die gegenwärtige Form der Knechtschaft. Als Kritik, die dem kategorischen Imperativ folgt, die Spaltung der Gattung in die wesentliche und in die überflüssige Menschheit aufzuheben, zielt sie nicht auf die Aufhebung, sondern auf die Abschaffung des Staates.” (Joachim Bruhn)



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