Publikation International / Transnational - Gesellschaftliche Alternativen - Sozialökologischer Umbau - Europa global - COP 24 - Klimagerechtigkeit Die EU-Klimapolitik auf dem Prüfstand

Als ambitioniert, aber nicht ausreichend bezeichnet Janna Aljets die Bemühungen der Europäischen Union

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Reihe

Online-Publ.

Autorin

Janna Aljets,

Erschienen

Januar 2019

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Pollution from the sky
«Eine Wirtschaftsform, die auf unendlichem Wachstum, und damit auf stetigem Ressourcenverbrauch und steigenden Treibhausgasemissionen beruht, wird niemals ‹grün› oder klimaneutral sein.» Nik Shuliahin/unsplash

Die globale Durchschnittstemperatur ist bereits seit vorindustrieller Zeit um einen Grad angestiegen – die Klimakrise ist seit dem Hitzesommer 2018 kein abstraktes Phänomen mehr, unter dem Menschen im globalen Süden am meisten leiden, sondern ist nun auch bei den Menschen in Europa angekommen. Lang anhaltende Dürren, Ernteschäden, das Austrocknen und Absinken zahlreicher Flüsse sowie Waldbrände haben vielen schmerzlich bewusst gemacht, dass es einen dringenden Handlungsbedarf gibt, die von Menschen verursachte Erderhitzung aufzuhalten. In Katowice (Polen) trafen sich im Dezember 2018 zum 24. Mal staatliche Vertreter*innen, um ein «Regelbuch» für das noch mehrdeutige Pariser Abkommen zu verabschieden. Hier wurde festgelegt, wie die Klimapläne der Länder aussehen müssen, wie sie über deren Erreichung zu berichten haben und wie die Weltgemeinschaft das kontrollieren kann. Ab 2024 gelten nun weitgehend die gleichen Regeln für Industrie- und Entwicklungsländer, ausgenommen der ärmsten Länder. Emissionsreduktionen sind dringend notwendig, schließlich war das Jahr 2018 trotz jährlich stattfindender Klimakonferenzen mit 53,5 Milliarden Tonnen CO2 Rekordjahr bei dem Ausstoß von Treibhausgasen.

Akteuren wie der EU kommt dabei eine ganz besonders große Verantwortung zu, schließlich liegen hier nicht nur technische und finanzielle Mittel zur Bekämpfung der Klimakrise vor. Die EU trägt auch eine historische Verantwortung. Seit vielen Jahren sehen sich die Institutionen der EU als Vorreiter im Klimaschutz und haben sich ehrgeizige und bindende Klimaschutz- und Energiesparziele gesteckt. Doch jeglicher gut gemeinten großen Rhetorik müssen auch Handlungen folgen. Welches sind die genauen Klimaziele der EU und sind sie ausreichend, um die drohende Klimakrise noch abzuwenden? Mit welchen Widerständen ist eine ambitionierte Klimapolitik in der EU verbunden?

Netto-Null bis 2050 – Klimavorreiter EU?

Im Oktober 2014 haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf neue Ziele für die Klima- und Energiepolitik geeinigt und ersetzten damit die bisherigen 20-20-20-Ziele. In ihrem Fahrplan für eine CO2-arme Wirtschaft beschreibt die Kommission, wie bis 2030 mindestens 40 Prozent der Treibhausgasemissionen gesenkt, der Anteil erneuerbare Energien auf 27 Prozent erhöht, die Energieeffizienz um 27 Prozent gesteigert und die Emissionen bis 2050 um 80–95 Prozent gesenkt werden sollen.

Anlässlich der Klimaverhandlungen in Katowice und der im Jahr 2020 anstehenden ersten Überprüfung politischer Maßnahmen, die sich als Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen ergeben, hat die EU nun neue und noch ehrgeizigere Ziele vorgestellt. Die neuen Pläne ergeben sich daraus, dass die Ziele von 2014 noch nicht an das «Unter-Zwei-Grad»-Ziel aus Paris angepasst waren und berücksichtigen dabei auch neuere wissenschaftliche Studien zur Klimaerhitzung.

Die Europäische Kommission hat dazu am 28. November 2018 die langfristige Strategie «A Clean Planet for all» zur Reduzierung der Treibhausgase vorgestellt. Ganz oben steht dabei die Netto-Null: Die EU möchte bis 2050 ihren Treibhausgasausstoß auf null senken. Dazu soll eine vollständige Abkehr von fossilen Brennstoffen wie Kohle, Erdöl und Erdgas und ein massiver Umbau der europäischen Volkswirtschaften vorgenommen werden. Dennoch entstehende Emissionen sollen durch Aufforstung oder umstrittene Technologien wie die CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) bzw. negative Emissionen ausgeglichen werden. In ihrer Strategie zeigt die Kommission acht verschiedene Szenarien auf, wie die Mitgliedstaaten der EU ihre klimaschädlichen Emissionen deutlich senken können. Die Szenarien unterscheiden sich in den Zielen für 2050 und setzen bei der Energieversorgung, der Energieeffizienz, bei Verkehr, Industrie, Landnutzung, Infrastruktur sowie der CO2-Abscheidung und -Speicherung an. Die ersten fünf Szenarios würden die Emissionen bis 2050 um 80 Prozent senken, das sechste um 90 Prozent und die letzten beiden um 95 Prozent, wobei hier dann oben genannte Ausgleichsstrategien greifen sollen, um auf die Netto-Null zu kommen. Die Szenarien mit der Netto-Null werden von der EU-Kommission favorisiert.

Die neuen ehrgeizigen Ziele der EU-Kommission, die erst noch von den Mitgliedstaaten und dem Parlament beschlossen werden müssten, passen zum Vorreiter-Image, das sich die EU im Klimaschutz geben möchte. Angesichts mangelnder oder nicht vorliegender nationaler Klimaschutzpläne, dem Ausstieg der USA aus dem Pariser Abkommen und einer vom Kohleland Polen ausgerichteten Klimakonferenz will die EU einen starken Kontrapunkt setzen. Doch wie angemessen und realistisch sind die angestrebten Ziele der EU tatsächlich?

Das tatsächliche Limit müssen 1,5 Grad sein

Im Spätsommer veröffentlichte der Weltklimarat IPCC einen Sonderbericht. Hierin wird deutlich, dass ein katastrophaler Klimawandel – also eine Heißzeit mit unabsehbaren Folgen - zwar technisch und naturwissenschaftlich noch aufzuhalten ist, dies aber nur möglich sei, wenn die globale Erhitzung auf 1,5 Grad beschränkt werde. Dies sei nach Meinung des IPCC nur mit «beispiellosen Veränderungen in allen Sektoren der Weltwirtschaft» möglich – denn auf dem derzeitigen Entwicklungsweg steuert die Erderhitzung auf mindestens 3 Grad zu – mit unabsehbaren Folgen für das Leben auf diesem Planeten. Der IPCC-Sonderbericht wurde in Katowice dennoch nicht von allen Staaten begrüßt, sondern nur wohlwollend «zur Kenntnis genommen».

Das Problem der nun von der EU-Kommission vorgelegten Strategie ist, dass diese das 1,5-Grad-Ziel nicht erreichen wird. Selbst die ambitioniertesten Szenarien sehen eben erst eine dekarbonisierte Gesellschaft ab 2050 vor – das ist zwar auch nach Meinung von Expert*innen möglich, kommt für Menschen im globalen Süden und für die von der Klimakrise am stärksten betroffenen Regionen aber zu spät. Der IPCC-Sonderbericht hatte eben auch unmissverständlich klar gemacht, dass die Klimakrisenfolgen schon bei einer Beschränkung der Klimaerhitzung auf 2 Grad zerstörerischer sein werden, als bisher angenommen. Zudem sind die neuen Ziele der EU eben nur mit Technologien erreichbar, die entweder stark umstritten sind oder eben noch gar nicht so weit vorangeschritten sind. Darüber hinaus sieht keines der EU Szenarien vor, das Klimaziel bis 2030 schon stark zu erhöhen, wobei der IPCC Bericht deutlich macht, dass die Entscheidungen der nächsten zehn Jahre die wichtigsten sein werden. Der größte Teil der Emissionen soll in der EU also erst ab 2030 gekürzt werden, nicht jetzt und heute, wo es am dringendsten geboten wäre, wie die Wissenschaft betont.

Darüber hinaus sind die politischen Instrumente der EU für die Erreichung der Klimaziele mehr als mangelhaft. Der wichtigste Hebel europäischer Klimapolitik bleibt nämlich der umstrittene Emissionshandel (ETS). Seit 2005 werden die Obergrenzen für klimaschädliche Emissionen aus energieintensiven Industriezweigen jährlich gesenkt, sodass Unternehmen einen Anreiz für die Verringerung ihrer Emissionen haben sollen. Dieses System wird aber schon seit langem zu Recht kritisiert: So deckt der europäische Emissionshandel nur 45 Prozent der tatsächlich produzierten klimaschädlichen Gase ab und er basiert auf einer rein marktwirtschaftlichen Strategie. Statt mit Verboten soll eine Umsteuerung allein über finanzielle Anreize gelingen. Bisher funktioniert das eher mangelhaft, die zusätzlich benötigten Zertifikate sind so günstig, dass kaum finanzielle Anreize bestehen. Ganz im Gegenteil sogar: Einige Unternehmen profitieren finanziell vom ETS, obwohl sie klimaschädliche Gase produzieren. Es ist bereits absehbar, dass dieses Instrument weit davon entfernt ist, für die notwendige Beschränkung der Emissionen zu sorgen. Außerdem spielen fossile Energien nach wie vor eine entscheidende Rolle in den Plänen der Energieunion. So setzt die EU maßgeblich auf Gas als Brückentechnologie, obwohl die Gefahren bei der Extraktion enorm sind und die Klimabilanz nicht ausreicht, um die Klimakrise einzudämmen. Mit dem Fokus auf Gas setzt die EU die eigenen Klimaziele sogar aufs Spiel und widerspricht damit der eigenen Klimarhetorik. Ferner sieht die EU die Zukunft der Energieversorgung nach wie vor in privater Hand von multinationalen Unternehmen, obwohl es zahlreiche Vorschläge für eine demokratische Kontrolle über nachhaltige Energieversorgung gibt, die den Bedarf an Energie und einen ökologischen Umgang mit vorhandenen Ressourcen über die reinen Profitmargen stellen würden.

Nicht zuletzt bleibt die Frage offen, ob sich die EU mit diesen zwar ambitionierten, aber nicht ausreichenden Vorschlägen politisch überhaupt durchsetzen kann. Denn soll die Netto-Null-Strategie bindend werden, muss sie von den Mitgliedstaaten und dem Europaparlament im kommenden Jahr angenommen werden. Angesichts kohlefreundlicher Regierungen wie Deutschland und Polen und einer von der Automobilindustrie abhängigen Exportwirtschaft in Europa ist diese Zustimmung mehr als fraglich. Der enge Kampf um die neuen Grenzwerte bei PKW, der starke Einfluss der deutschen Autoindustrie oder der Kohlelobby sind jüngste Beispiele von der Schwierigkeit klimapolitischer Begrenzungen. Auch die immer stärker werdenden rechtspopulistischen Parteien sind eine große Hürde – denn vielen von ihnen sind die Klimaschutzmaßnahmen ein Dorn im Auge. Deshalb ist es auch und gerade bei klimapolitischen Fragen entscheidend, welche Parteien im Europaparlament dazu abstimmen werden.

Das Grundproblem der Klimakrise wird nicht in Frage gestellt

Bei allen ambitionierten und hoch gesteckten Zielen von Emissionsgrenzwerten, Jahres- und Gradzahlen bleibt aber eines oft unangetastet: Die Frage nämlich, wie diese Klimakrise überhaupt entstanden ist und wo also die ursächlichen Probleme zu suchen sind. Die Klimakrise ist maßgeblich ein Produkt des fossilen Kapitalismus und einer ungerechten Wohlstandsverteilung, die wiederum durch die Folgen der Erderhitzung nur noch verstärkt werden. Eine Wirtschaftsform, die auf unendlichem Wachstum, und damit auf stetigem Ressourcenverbrauch und steigenden Treibhausgasemissionen beruht, wird niemals «grün» oder klimaneutral sein. Sie kann es schlicht nicht sein, denn selbst effiziente, grüne, smarte und konsistente Wirtschaftskreisläufe beruhen immer auf einer materiellen Basis. Eine kapitalistische Wirtschaftsform wird also immer auf die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und die Externalisierung der Umweltkosten angewiesen sein.

Die zentrale Frage muss also immer auch sein, wie wir diese klimaschädliche Wirtschafts- und Gesellschaftsform überwinden. Obwohl sowohl der IPCC Sonderbericht als auch die EU-Kommission von «beispiellosen Veränderungen in allen Sektoren der Weltwirtschaft» bzw. einem «massiven Umbau der europäischen Volkswirtschaften» sprechen, so bleiben diese Aussagen leer, wenn nicht an den kapitalistischen Grundfesten unserer Gesellschaften gerüttelt wird. Insbesondere die EU verfolgt die Strategie der weiteren Konsistenz und Effizienz eines grünen Kapitalismus, d. h. Technologien sollen dafür sorgen, dass vorhandene Ressourcen besser genutzt werden, um den hohen Wirtschafts- und Lebensstandard zu erhalten und gleichzeitig Jobs zu schaffen. Dieser Weg hat bisher aber nicht dazu geführt, die nötigen Emissionseinsparungen zu erzielen.

Es braucht daher einen stärkeren politischen Willen für einen gesellschaftlichen Umbau, um die Klimakrise zu bewältigen. Eine echte Energiewende würde z.B. auch bedeuten, weniger Strom und Energie zu verbrauchen und sich vor allem damit von fossilen Energieträgern unabhängig zu machen. Es braucht eine demokratische und erneuerbare Energieversorgung, die von den Menschen kontrolliert wird, die sie auch nutzen. Schmutzige Kraftwerke fossiler Energieträger werden nicht durch Strafzahlungen, sondern nur durch Gesetze und Verbote heruntergefahren. Doch für die Bewältigung der Klimakrise braucht es mehr. Ein weiteres Beispiel ist der Verkehrssektor, wo die Emissionseinsparungen bisher zu gering sind. Eine echte Verkehrswende gelingt nicht nur mit der Erhöhung von CO2-Grenzwerten und der Einführung von Elektroautos, sondern mit der Verbannung von Autos aus Innenstädten und durch einen Ausbau öffentlicher Verkehrsinfrastrukturen, wie sie viele lokale Initiativen seit Jahren einfordern.

Nur der Ansatz also einer sozial-ökologischen Transformation wird die Mammutaufgabe unserer Zeit – die Begrenzung der Klimakrise – tatsächlich bewältigen. Dies aber wird bisher nur von sozialen Bewegungen von unten ernsthaft eingefordert, die die kritische Analyse des klimaschädlichen Kapitalismus mit Aktionen gegen die fossilen Industrien verbinden.

Es wurde von der Europäischen Kommission richtig erkannt, dass die EU im Klimaschutz eine ganz besonders wichtige Rolle einnehmen muss. Denn in der EU bestehen nicht nur die finanziellen und technischen Voraussetzungen, um unsere Wirtschaft klimafreundlich umzubauen. Hier sind auch die Länder vertreten, die den fossilen Kapitalismus begründet und ihren Reichtum darauf aufgebaut haben. Es liegt genau hier die größte historische Verantwortung, um die Klimakrise jetzt abzuwenden. Es braucht mehr als Ambitionen, wenn die Auslöschung ganzer Nationen auf dem Spiel steht. Dafür muss sich die EU nicht nur zum 1,5-Grad-Ziel bekennen, sondern sich noch viel stärker von einer auf Wachstum basierten Wirtschaft abwenden.
 

Janna Aljets ist Projektmanagerin bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Brüssel. Die Politikwissenschaftlerin arbeitete mehrere Jahre bei einer Umweltorganisation und war dort für die Themen Klimagerechtigkeit, Postwachstum und den Dialog mit Gewerkschaften zuständig. Sie hat die Degrowth-Konferenz 2014 und die folgenden Degrowth Sommerschulen mitorganisiert und beschäftigt sich mit Fragen nach einer ökologisch nachhaltigen und sozial gerechten gesellschaftlichen Transformation.