Nachricht | Geschichte - Deutsche / Europäische Geschichte - GK Geschichte Neues Buch zur Avantgarde- und Dadaismus-Forschung

Beiträge haben hohen Neuigkeits- und Gebrauchswert

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Diese Neuerscheinung versammelt elf Beiträge zur kultur- und literaturwissenschaftlichen Avantgarde- und Dadaismus-Forschung, die aus einer Ringvorlesung an der Universität Zürich im Frühjahr 2016 resultieren. Sie zeigen vor allem, dass Dada Anfang 1916 nicht im luftleeren Raum entsteht, sondern Vorläufer hat und im Dialog mit anderen Kunstpraktiken steht – also eben nicht der radikale Bruch mit allem ist, wie es die Gründungslegenden oftmals beschreiben. Zum zweiten, und dies ist mindestens genauso interessant, geht es in diesem Buch gerade auch um diese Legenden und Bilder, die von den Dadaist*Innen selbst produziert, wenn nicht erfunden wurden und die dann in der Forschung und Literatur fortgeschrieben wurden und werden.

In mehreren Beiträgen werden Cabaret und Varieté als Vorläufer des Cabaret Voltaire in Zürich und dann nachfolgender Projekte an anderen Orten beschrieben: Störung, Provokation, Zufall, Experiment, Performanz  und das Einbeziehen des Publikums wurden ja nicht von den Dadaist*Innen erfunden, sondern sind auch in anderen Praktiken zu finden, ja selbst im Karneval üblich. Zu beachten ist, dass Anfang des 20. Jahrhunderts in Abgrenzung von der Hochkultur des Bürgertums und von der Volkskultur die moderne, urbane Populärkultur erst entsteht. Insofern war das Cabaret Voltaire nicht mehr als eine der vielen Künstlerkneipen dieser Tage, aber mit einem ambitionierteren Programm.

Ein weiterer Strang, der in einigen Aufsätzen verfolgt wird, ist, dass ein Bezug zu Religion und Mystik grundlegend für Dada gewesen sei. So seien viele Formen des Auftretens an liturgisch-rituelle angelehnt und die dadaistische „Kunst“ inszeniere die Körper als durch diese Kunst sakralisierte. So hätten die Dadaist*Innen, ähnlich wie die Lebensreformbewegung und andere, im Namen des Neuen zugleich für und gegen die Moderne gekämpft.

Weitere Texte berichten z.B. von Hans Richter (1888-1976) und seinem filmischen Schaffen, vom von männlichen Dadaisten inszenierten patriarchalen Schöpfer- und Geburtsmythos des Dadismus, der die wichtige Mitwirkung von Frauen wie Hanna Höch (1889-1978) oder Emmy Hennings (1885-1948) entnennt; oder davon, wie Höch, Sophie Taeuber-Arp (1889-1942) und Baroness Elsa von Freytag-Lothringen (1874-1927) Kleidung und Mode zur Präsentation und Umdeutung von Identität und Geschlecht einsetzten. Sie machten so zwar auf eine Art das Leben zur Bühne, wiesen aber auch darauf hin, dass Kleidung von sozialen Kräften strukturiert wird und sozialen und moralischen Zwängen unterliegt.

War Dada also jetzt doch eine Kulturrevolution oder nur Fortsetzung des Karnevals mit radikaleren Mitteln? Diese Frage muss hier offen bleiben, und gerade dieses Offenhalten und die Spannung zwischen verschiedenen Sichtweisen auf Dada und die Avantgarden macht dieses Buch so lesenswert. Die Texte dieses mit einigen Illustrationen versehenen Buches haben fast alle einigen bis hohen Neuigkeits- und deswegen hohen Gebrauchswert.

Ursula Amrein/Christa Baumberger (Hg.): dada. Perfomance und Programme, Chronos Verlag, Zürich 2017, 240 Seiten, 34 EUR