Nachricht | COP 23 Tödlich versus politisch machbar

Was müssen wir fordern für den Kohleausstieg?

Der Kohleausstieg ist als politisches Thema gesetzt. Die Frage danach, wann das ganz konkret passieren soll, ist aber nicht unumstritten. Ein Ausschnitt aus dem Abendpodium der Rosa-Luxemburg-Stiftung auf dem People‘s Climate Summit vom 3.-7. November in Bonn.

"Bei allem Respekt - das, was du vorschlägst, tötet Menschen." So bringt Tetet Lauron von IBON International eine zentrale Spannung innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegung auf den Punkt. Es geht um die Frage: Welches ganz konkrete Datum können und sollen wir politisch für den Kohleausstieg im globalen Norden fordern? Das ist eine der zentralen Fragen, die das von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierte Panel auf dem People‘s Climate Summit am 4. November, einen Tag vor den Ende Gelände-Protesten gestellt hat. Das „Ob“ des Kohleausstiegs steht dabei klar außer Frage. Jenseits dessen aber herrscht in der Bewegung noch Diskussionsbedarf.

Mit auf dem Panel sitzt Charlotte Loreck vom Öko-Institut, die eine der derzeit ambitionierteren Kohleausstiegsstudien für die Bundesrepublik mit erarbeitet hat. Ausstiegsdatum 2035; die Hälfte der Kohlekraftwerke soll sofort vom Netz gehen, die anderen noch ein gewisses Emissionsbudget bekommen, über das die Kraftwerksbetreiber frei verfügen können. "Der Kreis von Menschen, die uns mit der Studie beauftragt hatten, war schockiert, als wir die Ergebnisse vorgestellt haben. Die haben gesagt: Die Leute werden uns auslachen, wenn wir 2035 fordern für den Kohleausstieg." Gemeint ist: Angesichts dessen, was gegenwärtig politisch diskutiert wird, ist dies das Ambitionierteste, was gerade geht.

Kohleausstieg sofort?

Hinter denjenigen Positionen, die die Kohleverbrennung nicht von heute auf morgen auf Null herunterfahren wollen, stehen zum Teil große Fragezeichen, nicht feste Überzeugungen : "Würde das nicht dem Rechtspopulismus, der uns ohnehin schon im Griff hat, weiteres Futter geben?" fragt Tadzio Müller, Referent für Klimagerechtigkeit und Energiedemokratie bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. "Die Rechte wird immer stärker. Ist das dann wirklich die richtige Position, die Arbeitsplätze, die an der Kohle hängen, zu streichen? Können wir uns diese Debatte leisten?"

Und es steht wieder die Frage im Raum: Wie schnell und radikal lässt sich der kapitalistische Lebensstil überwinden? "Es wäre schön, den ganz schnell loszuwerden", sagt Charlotte Loreck. "Wir haben aber die Zeit nicht. Das Budget für die Einhaltung des 1,5-Grad-Limits ist 2020 aufgebraucht." Jenseits der 1,5 Grad aber treibt der Klimawandel viele Länder im globalen Süden schon in die Katastrophe oder – wie bei den Pazifischen Inselstaaten – tatsächlich in den Untergang. "Wir können den Kohleausstieg nur mit der Regierung zusammen machen", sagt Charlotte. "Das müssen Politiker*innen jetzt im Parlament beschließen und den Energiekonzernen die entsprechenden Vorgaben machen." Dahinter steht: Wir können den Kohleausstieg nur mit den politischen Playern machen, die jetzt eben da sind. Und wenn wir es richtig anstellen, lässt sich das auch nicht mehr zurückdrehen.

Ist euer Leben hier mehr wert als das von jemandem auf den Philippinen?

Tetet aber, die von den Philippinen kommt, wo die Klimakrise schon jetzt mit großer Härte zuschlägt, wirft ein: „All dieses Reden darüber, dass das nicht passt, dass die Mehrheit bei euch ihren Lebensstil als nicht verhandelbar ansieht, dass das den Rechten Auftrieb gibt … Ich weiß, ihr erlebt nicht, was wir erleben. Wir aber ertrinken, wir verlieren unsere Häuser. Ist euer Leben hier mehr wert als das von jemanden auf den Philippinen?“

Die Antwort der Klimagerechtigkeitsbewegung lautet ganz klar: Nein! Verschwinden aber damit die politischen Hürden für einen sofortigen Kohleausstieg im globalen Norden? Hinter all dem steht die zentrale Bewegungsfrage: Was ist jetzt möglich innerhalb des jetzigen Rahmens? Und: Wie verändert man diese Rahmenbedingungen? Und das möglichst umfassend und möglichst schnell?

Eine Antwort liegt in den sozialen Bewegungen. Das hat der Atomausstieg in der Deutschland gezeigt, der durch die sozialen Bewegungen erkämpft wurde. "Die Bewegungen können die Grenzen dessen, was politisch möglich ist, erweitern", sagt Charlotte Loreck. Das zeigt auch die Diskussion um den Kohleausstieg in Deutschland in den letzten Jahren. "Wir reden nicht mehr über das ‚ob‘, sondern nur noch über das ‚wann‘ und ‚wie‘. Wir sind schon weit gekommen." Aber eben nicht weit genug. Wie also kann man den Prozess voranbringen und beschleunigen?

Heather Milton-Lightening, die als Teil von Indigenous Climate Action gegen den Extraktivismus in Kanada kämpft und ebenfalls auf dem Panel sitzt, glaubt an die Kraft von Communities und Selbstbestimmung. "Wir reden über einen großen Wandel, ja, das macht vielen Angst. Dieser Wandel aber kann nur in Gemeinschaften stattfinden." Und Heather wirbt dafür, für diesen Prozess eine Vision für die Zukunft zu haben. Man müsse das vor Augen haben, wie schön und wichtig es ist, wenn Menschen Zugang zu sauberem Wasser haben, sich selbst versorgen können in ihren Gemeinschaft, Zugang zu einer guten Gesundheitsversorgung haben. Oder einfach: "Es wäre schön, wenn sich unsere Beziehung zu Mutter Erde wieder ändern könnte." Und damit das gelingt braucht es Beispiele dafür, wo die "Just Transition" in diesem umfassenden Sinne funktioniert. Als Beispiel führt Heater Communities an, die sich dafür einsetzen, auf dem toten Land, dass die Minen hinterlassen, Solaranlagen zu bauen, die ihnen sauberen Strom bringen. "Ja, wir brauchen den politischen Druck durch soziale Bewegungen. Aber der eigentliche Wandel muss mit den Leuten auf der Community-Ebene stattfinden."

Hat das aber die Kraft, ganze Ökonomien zu verändern? Fragt Tetet Lauron. "Wir sagen, dass soll jetzt passieren. Aber wie kommen wir mit den Communities auf ein Level, das hierfür ausreicht?" Für Heather Milton-Lightening ist das der Weg: Wenn es darum geht, dass der Lebensstil eben doch verhandelbar sein soll, dann müssten wir uns selbst in den Blick nehmen und die Frage stellen: Inwiefern bin auch ich verantwortlich als Teil des globalen kapitalistischen System? Inwiefern können wir gemeinsam von globalen Konzernen unabhängig werden? "In diesem Sinne ist unsere Idee von Just Transition sehr umfassend und geht an die Wurzeln von Kapitalismus und Kolonalismus." Vertrauen auf umfassende Transformation, das Veränderungspotenzial selbstbestimmter Gemeinschaften & Druck durch soziale Bewegungen? Durchsetzen, was gerade noch machbar ist und den Möglichkeitsrahmen durch Druck von unten erweitern? Und wie passt all das zu dem sich rasant schließenden Zeitfenster? Auf dem Panel bleibt das für den Moment so stehen. Die Diskussionen dazu aber gehen weiter.