Unser Bildungsverständnis

Lernen, um Gesellschaft zu verändern

Die Geschichte ist voll von Linken, die ihre Utopie einer befreiten Gesellschaft an eine Vision des freien Lernens koppeln. Trotz dieser schlüssigen Verbindung wird dabei von vielen kein eindeutiger Weg von der bestehenden Fremdbestimmung in eine autonome Gemeinschaft der Gleichen aufgezeigt. Oft bleibt es bei verkündeten Zielen und radikaler Pose – und damit einer Position, die für viele nicht anschlussfähig ist.

Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.

Theodor W. Adorno

Rosa Luxemburg hat darüber hinaus auf eine bedenkliche Tendenz in der politischen Linken hingewiesen, indem sie in der alten Arbeiter*innenbewegung einerseits eine «peinliche Angst» diagnostizierte, ja auf dem Boden des Marxismus bleiben zu wollen. Zudem machte sie  andererseits eine orthodoxe Bestrebung in den Apparaten aus, einen in sich geschlossenen theoretischen Bau zu errichten, der «schöpferische Weiterentwicklungen» nur innerhalb des bereits abgesteckten Rahmens zulassen kann. Sie wollte – zu Recht – anderes: «Es unterliegt keinem Zweifel, dass ein nur in den Hauptzügen entworfenes Ideensystem viel anregender wirkt als ein fertiger symmetrischer Bau, an dem nichts mehr auszuführen ist, an dem sich ein reger Geist nicht selbstständig versuchen kann».

Die Frage bleibt also: Mit welcher Art, Form und mit welchen Mitteln der Bildung können die Mächtigen demontiert – und die Unterdrückten gestärkt werden?

Interpretierend die Welt verändern

Dies war Marxens Maxime in der 11. Feuerbachthese. Klar ist: Interpretieren ohne Haltung führt zu Beliebigkeit – und ist der Sache nur dienlich, wenn sie letztlich auch ins Handeln führt. Interpretation zur Weltveränderung bedarf eines Zugangs zu vielfältigem Wissen – abseits kanonisierter Pfade. Daneben müssen die Lernprozesse selbst die Freiheit der Deutung und des Handelns abbilden und entwickeln.

Linke emanzipatorische Bildung hat demnach die Aufgabe, das bereits produzierte Wissen linker Praxis und Forschung gegen den kulturindustriellen Mainstream zu behaupten und zu mehren. Gleichzeitig muss eine emanzipatorisch ausgerichtete Bildungspraxis die Erfahrungen, die die Akteur*innen aus den unterschiedlichen politischen Kontexten mitbringen, ernst nehmen und in den Lernprozess einbinden. «Lehre» zeigt sich dabei vor allem als die Bereitstellung von Räumen und Mitteln, die die Teilnehmer*innen dabei unterstützen, ihre eigene Praxis zu reflektieren.

Will man ein Idealbild emanzipatorischer, kritischer linker Bildung zeichnen, müsste es so aussehen: Kritische Bildung liefert theoretische Bezugsrahmen als Angebote, die kritisch angeeignet und durch die jeweils Teilnehmenden verändert werden müssen. Dieser Prozess ist dann Praxis und Emanzipation selbst, da er auf Veränderung im Sinne von «interpretierend die Welt verändern» zielt. Linke Bildung braucht Praxisbezug auch in dem Sinne, Angebote für eine Entwicklung der politischen Handlungsfähigkeit zu machen  und Raum für Haltungsfragen zu geben. Nicht zuletzt sind Orte der Bildung immer auch Orte für  Begegnungen und Austausch unter verschiedenen Akteur*innen der pluralen Linken. Kritische Bildung bringt immer etwas Neues und Unerwartetes hervor, das nicht vorab geplant werden kann. Sackgassen im Lernprozess empfindet sie nicht als Scheitern, sondern als notwenigen Schritt im Fortkommen. Da sie auf eine wechselseitige Befruchtung der Akteur*innen setzt, versteht sie Lernen als etwas, das weit mehr horizontal als vertikal stattfindet. Lernen ist hier nicht die Unterweisung der Lernenden durch die Lehrenden, sondern ein wechselseitiger Prozess.

Dialektik des «Besser werden und Anders sein»

Was meint diese These? Die Spannungsbeziehung zwischen den beiden Momenten betrifft sowohl die Form als auch den Inhalt linker Bildung. Linke Bildung will von ihrem Anspruch her eine bessere Form aufweisen. Sie will emanzipatorisch sein – und damit anders als klassische Bildungsformate. Sie will schulkritisch sein, also die Bildungsinteressen der Teilnehmenden ins Zentrum der Lernprozesse stellen, diese weder frontal belehren, noch sie in festgezurrte Kursmodule einzwängen. Sie will den Lernenden weitreichende Gestaltungsspielräume im Lernprozess zur Verfügung stellen. Wissensvermittlung alleine reicht ihr nicht aus, sie will auch Handlungskompetenzen ausbilden – und zwar gerade auch in Hinblick auf die Ausgestaltung des Lernprozesses selbst. 

Linke Bildung betrachtet sich in ihrer inhaltlichen Zielsetzung als Teil eines Politikprojekts, das durch Eigenschaften wie Aufklärung, Autonomie und soziale Gerechtigkeit gekennzeichnet ist. Dieses will sie unterstützten, indem sie gemachte Erfahrungen und Wissen weitergibt, Kritikfähigkeit anregt und die Fähigkeiten der Teilnehmenden entwickelt, um in politische Auseinandersetzungen erfolgreich eingreifen zu können. Erfolgreich werden solche Interventionen aber nur sein, wenn sie handwerklich gut sind – im Idealfall besser als die der politischen Konkurrenz. Da ein linkes Politikprojekt wesenhaft auf Solidarität und Selbstbestimmung zielt, können ihre Politikmuster nicht einfach dieselben sein, wie die der Kräfte, die auf Beharrung ausgerichtet sind. Linke Politik muss sich sowohl im Inhalt wie auch in der Form von jener unterscheiden, die von ihr kritisiert wird. Dies liegt in der Natur der Sache, wenn Ausbeutung, soziale Ungleichheit, Rassismus, Sexismus und andere Diskriminierungsformen überwunden werden sollen.

Herausforderungen unserer Bildungspraxis

Da emanzipatorische Bildung das horizontale Lernen innerhalb der pluralen Linken im Blick hat und dieses befördern will, steht sie gleichzeitig auch vor nicht unproblematischen Schwierigkeiten. Sie bringt Akteur*innen aus unterschiedlichen Politik- und Handlungsfeldern zusammen, die auch unterschiedlichen Logiken folgen. Einige von ihnen, vor allem komplexe Organisationsformen wie Parteien und Gewerkschaften, sind in starker Weise auf Machtgewinn und Machterhalt fixiert. Mit relativ größeren Ressourcen ausgestattet als andere Akteur*innen entsteht schnell die Gefahr, dass durch sie offen angelegte Lernprozesse wieder abgedichtet werden, um sie in den kurzfristigen Dienst der Organisation zu stellen. Hingegen folgt die Organisationslogik von sozialen Bewegungen oft einem Konsens- und Autonomieprinzip. Zugleich sind sie, besonders wenn sie ein bestimmtes Themenfeld fokussieren (z.B. Frauen-, antirassistische Bewegungen), weniger auf einen gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozess und auf den Ausgleich von divergierenden Interessen in ihren Organisationen orientiert.

Unser Verständnis des Politikbegriffs reicht daher weit über das des Parlamentarischen hinaus. Wir wenden uns an politisch Bildende, Vernetzende, Gestaltende und Handelnde, an Mitstreitende in Partei(en), Nichtregierungsorganisationen (NRO) und Akteur*innen in sozialen Bewegungen, an Engagierte mit Mandaten, in Funktionen, im lokalen Ehrenamt sowie in politischen Gruppen, an Neueinsteigende, Fortgeschrittene und Erfahrene. Kurz: An Menschen, die ein hohes Maß an Bereitschaft zeigen, sich mit Gesellschaft auseinander zu setzen und diese auf emanzipatorischen Wegen zu verändern. In dieser Arbeit wollen wir sie unterstützen, qualifizieren, Erfahrungen teilen, verschiedene gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse in den Blick nehmen und solidarisches Agieren anstoßen.