Nachricht | Lötzsch (Hg.): Texte zur DDR-Geschichte im "Neuen Deutschland"; Berlin 2011

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Zu Beginn des Jahres 2011 stand DIE LINKE und speziell Gesine Lötzsch, eine ihrer Vorsitzenden wegen ihrer Äusserungen im Zentrum der sogenannten Kommunismusdebatte. Das wird in dem hier vorliegenden Buch zur Geschichtsdebatte der LINKEN, genauer, der PDS aber nicht erwähnt.

Sicher ist es so, dass die Bemühungen der damaligen PDS und später der LINKEN sich vom Stalinismus zu befreien und einer Debatte über die Verbrechen des Sozialismus zu stellen, in der eigenen Mitgliedschaft, geschweige denn darüberhinausgehend, ausreichend zur Kenntnis genommen worden sind – und im Westen der Bundesrepublik schon gar nicht. Wer kennt schon die Erkärungen der Historischen Kommission der LINKEN, die selbst auch wenig dafür tut, dass ihre Texte eine breitere Öffentlichkeit erreichen. Insofern ist das Buch eine hilfreiche Zusammenstellung von mehr oder minder kurzen Texten, die allesamt im ND bereits erscheinen sind. Themen sind die individuelle und kollektive Verantwortung, die autoritären Strukturen in der DDR, die (in der DDR immer unterdrückten) Utopien eines anderen, demokratischen Sozialismus. Es gibt Texte zum historischen Ort der SED oder zum Katechismus des Marxismus-Leninismus. Einige stellen die Existenz der DDR und das Agieren der SED in internationale Machtstrukturen und ökonomische Zwänge, andere sind weit (selbst-)kritischer.

Die Texte sind eine Auswahl, und man kann sich nur vorstellen, was da alles noch an eher apolegetischen und relativierenden Texten im fraglichen Zeitraum im ND erschienen ist. Schaut die Leserin sich aber die 30 Texte näher an, wird es etwas schief. Der jüngste Autor, der hier vertreten ist (von 30 AutorInnen sind exakt fünf Frauen), ist bei Erscheinen des Buches 51 Jahre alt, nur die mit einem Interview vertretene Sahra Wagenknecht ist jünger.  Absolut dominierend ist die Generation derjenigen AkademikerInnen, deren geistiges Leben in der DDR stattfand. Selbstredend ist kein einziger Beitrag von einem West-Linken, was man jetzt dem ND oder dem Redaktionsteam vorwerfen kann. Hinzu kommt: Die Texte behandeln vor allem Debatten aus der Anfangszeit der PDS, und nicht die heutige Debatte oder gar Positionen oder Defizite einer gesamtdeutschen LINKEN, die es ja seit 2007 nominell gibt: 21 Texte stammen aus dem Zeitraum von vor 1998, ja sogar, wenn man weitergeht, stammen 26 aus der Zeit von 2001 und früher. Danach kommen nur noch vier Texte aus dem Zeitraum 2007 bis 2009. Gab es also in den letzten 10 Jahren keine (anderen?) Texte, die eine Wiederveröffentlichung wert gewesen wären?

Nicht zuletzt fehlt wegen des Dokumentationscharakters des Buches eine Auseinandersetzung über die Wirkung solcher Texte. Eine Untersuchung dessen, was "angekommen" ist in der Gesellschaft - und selbst wenn darüber nur Vermutungen angestellt werden könnten - oder auch nur der eigenen Partei, wäre aber unabdingbar, um die politische Bedeutung von Geschichtsdebatten reflektieren zu können.

Summa summarum: Als Dokumentation gewesener Debatten ist das Buch sehr hilfreich, für eine wirkliche und weitergehende Geschichtsdebatte der LINKEN ziemlich unnötig.

Gesine Lötzsch (Hrsg.): Alles auf den Prüfstand. Texte zur DDR-Geschichte im "Neuen Deutschland"; Verlag Neues Deutschland 2011, 154 Seiten, 14,99 EUR