Nachricht | Rosa-Luxemburg-Stiftung Jahresbericht 2011

Die Stiftungsarbeit im Rückblick. Schwerpunkte: 140 Jahre Rosa Luxemburg, Geschichte- und Erinnerungspolitik, Die Linke in der Krise: Was hat sie zu sagen?

Krise(n) und kein Ende. 2011 und, wie es scheint, 2012 noch mehr hat die «Krise» viele Länder, gerade im Süden Europas, fest im Griff. Was als Banken-, Finanzmarkt- und zum Teil Immobilienkrise begann, ist längst auch eine soziale Krise geworden und entwickelt sich zunehmend zu einer Krise demokratischer Institutionen.

Mit kaum einer Publikation hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung in den letzten Jahren eine solche Resonanz erfahren wie mit der Argumentationsbroschüre «‹Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen!› 20 beliebte Irrtümer in der Schuldenkrise». Sie erfährt bis heute zahlreiche Neuauflagen, Fortschreibungen («‹Schummel-Griechen machen unseren Euro kaputt› – Beliebte Irrtümer in der Schuldenkrise»), Übersetzungen ins Englische und Griechische, Hörfassungen usw. Mit diesem neuen Format der «luxemburg argumente» verfolgt die Stiftung das Anliegen, linke Deutungen zu aktuellen Themen, die eine breite mediale Berichterstattung erfahren, welche aus unserer Sicht aber allzu einseitig ist, in knapper Form anzubieten; dabei dienen vorherrschende Argumente als Ausgangspunkt, die dann kommentiert und korrigiert werden.

Die vielfachen, miteinander verflochtenen Krisen, die weit über die ökonomische Sphäre hinausreichen, gefährden die Entwicklung eines demokratischen und sozialen Europa in einer vermutlich seit der Entstehung des europäischen Einigungsprozesses noch nicht da gewesenen Weise. Nationalismus und Rassismus – erinnert sei hier nur an die Mordserie des terroristischen «Nationalsozialistischen Untergrunds» –, aber auch weniger manifeste, jedoch wachsende Vorurteile fordern eine linke Bildungs- und Analyse-Einrichtung wie die Rosa-Luxemburg-Stiftung heraus. Uns geht es dabei um alternative Deutungen von Krisen ebenso wie um die Suche nach transformatorischen Alternativen zu einem zunehmend instabilen kapitalistischen Modell.

Seit 2011 erhält die Rosa-Luxemburg-Stiftung sowohl für ihre Inlands- als auch für ihre Auslandsarbeit mehr Mittel. Auf dieser Basis beschloss ihr Vorstand 2011 die Einrichtung neuer Büros in Ägypten für den nordafrikanischen Raum sowie in der Türkei. Die Vorbereitungen für Büros in Tansania für Ostafrika und in den USA für die Arbeit sowohl in Nordamerika als auch bei der UNO wurden vorangetrieben, so dass ihre offizielle Eröffnung noch im laufenden Jahr erfolgen können. Dank zusätzlicher Mittel des Auswärtigen Amtes wird die Rosa-Luxemburg-Stiftung nun auch ihre Arbeit in Griechenland deutlich ausweiten können und dabei insbesondere mit Gewerkschaften, Kommunalpolitikerinnen und -politikern und linken Akteuren der Zivilgesellschaft kooperieren.

Auch in der analytischen und Bildungsarbeit, die die Stiftung selbst und unsere Landesstiftungen anbieten, erfolgte sowohl eine quantitative als auch eine thematische Ausweitung. 2011 bot der gesamte Stiftungsverbund der Rosa-Luxemburg-Stiftung rund 2.500 Veranstaltungen bundesweit an, zu denen annähernd 100.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen. Auf den folgenden Seiten werden einige dieser Veranstaltungen und Projekte exemplarisch vorgestellt, wobei hier insbesondere auf geschichts- und erinnerungspolitische Fragen sowie das in der Stiftung seit über einem Jahrzehnt intensiv bearbeitete Feld des historisch-biografischen Lernens hingewiesen werden soll. Ausbauen und vor allem systematisieren konnte die Stiftung 2011 ihre Arbeit auch in drei anderen Themenbereichen: Migration, Arbeit/Gewerkschaften und Geschlechterverhältnisse, die in der Akademie für Politische Bildung sowie im Institut für Gesellschaftsanalyse im Zusammenwirken mit Landesstiftungen, Gesprächskreisen, Vertrauensdozentinnen und -dozenten sowie Stipendiatinnen und Stipendiaten bearbeitet werden.

Wie andere Träger der politischen Bildung steht auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung vor der Herausforderung, in einer zunehmend ausdifferenzierten Gesellschaft mit teilweise auseinanderklaffenden Lebenswelten unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen. Wir tasten uns erst an eine auch der digitalen Welt angemessene Bildungs- und Netzwerkarbeit heran. Auch experimentieren wir eher mit Angeboten für und mit Menschen, die nicht klassische akademische und/oder organisationspolitische Ausbildungen und Erfahrungen haben, als dass wir schon durchweg überzeugende Formen anbieten können.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung fühlt sich als parteinahe Stiftung der LINKEN gleichzeitig einer pluralen und demokratischen, einer «Mosaiklinken» verpflichtet. Darüber hinaus ist sie mittlerweile uneingeschränkt gleichberechtigte Partnerin im Kreise aller parteinahen Stiftungen. Dies findet auch in gemeinsamen Positionierungen der Politischen Stiftungen zu Fragen der Bildungsarbeit im Inland wie der internationalen Aktivitäten ihren Ausdruck. Die Arbeit aller deutschen Politischen Stiftungen – öffentlich gefördert, gemeinsamen Spielregeln verpflichtet, öffentlich hinsichtlich der Mittelverwendung kontrolliert, aber politisch unabhängig sowohl von Regierungs- als auch Parteihandeln – bleibt durchaus modellhaft für eine plurale Demokratie, die existierende politische Gegensätze nicht verkleistert, die Diskussion über sie aber mit Mitteln von Bildung und Analyse versachlicht und gleichberechtigt Meinungen im demokratischen Spektrum zu Wort kommen lässt.

In diesem Sinne übergaben die Vorsitzenden der Politischen Stiftungen im Juli 2011 dem Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich ein Positionspapier zur politischen Bildungsarbeit in Deutschland, das gemeinsam von den entsprechenden Bereichen der Stiftungen erarbeitet worden war, wobei die Federführung in der Rosa-Luxemburg-Stiftung bei der Direktorin der Akademie für Politische Bildung, Evelin Wittich, lag. Die Stiftungen formulierten dabei übereinstimmend folgenden Grundsatz:

«Ziel der Bildungsarbeit der Politischen Stiftungen ist es, den Bürgerinnen und Bürgern basierend auf den politischen Strömungen in Deutschland Werte und Orientierungsrahmen anzubieten, Grundlagenwissen über politische Themen, über Entscheidungsverläufe aber auch politisches Rüstzeug zu vermitteln und sie vor allem zur Übernahme von gesellschaftspolitischer Verantwortung zu befähigen und zu ermutigen. Dabei gehen die Politischen Stiftungen von einem umfassenden Bildungsbegriff aus: Die berufliche Aus- und Weiterbildung und die politische Bildung sind seitens des Staates gleichermaßen zu fördern. Denn eine Demokratie braucht politisch gebildete Bürgerinnen und Bürger!»

Im Februar 2012 verabschiedete der Deutsche Bundestag aus Anlass aktueller Entwicklungen in Ägypten einstimmig einen Antrag, in dem es unter anderem heißt:
«Eine politische Einflussnahme auf die Projektarbeit der Stiftungen durch die Bundesregierung findet nicht statt. Deutsche Stiftungsarbeit ist in ihrer Arbeit unabhängig und nur an Recht und Gesetz sowie die Stiftungsrichtlinien gebunden.» Bedarf an einer solch eigenständigen, ebenso transparenten wie unabhängigen Stiftungsarbeit besteht auch und gerade in Deutschland und Europa, denn sinkende Wahlbeteiligungen und eine generelle «Krise der Repräsentanz», manchmal auch als «Postdemokratie» beschrieben, betreffen in wachsendem Maße auch die Bundesrepublik und die EU. Nicht weniger Demokratie zugunsten schneller Entscheidungswege, sondern mehr Demokratie im Kontext sozialer Gerechtigkeit und internationaler Solidarität in Deutschland, in Europa und global – dies bleibt eine zentrale Herausforderung auch für die künftige Arbeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Heinz Vietze
Vorsitzender des Vorstands

Dr. Florian Weis
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied