Nachricht | TECHNOSEUM, Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim (Hrsg.): Unser täglich Brot ...: die Industrialisierung der Ernährung; Mannheim 2011

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„Unser täglich Brot … Die Industrialisierung der Ernährung“ heißt die Sonderausstellung, die vom 29. Oktober 2011 bis zum 29. April 2012 in Mannheim im TECHNOSEUM, dem baden-württembergischen Landesmuseum für Technik und Arbeit, zu sehen war. Zu dieser Ausstellung erschien auch ein umfangreicher Begleitband. Dieser ist durchweg farbig und reichhaltig illustriert und in zwei Abschnitte untergliedert.

Nach einem relativ umfangreichen und schon in die Tiefe gehenden Einführungsartikel finden sich 14 wissenschaftliche Beiträge. In der zweiten Hälfte ist dann die Ausstellung dokumentiert, wobei nicht klar wird, ob alle im Buch als Fotografie dokumentierten Objekte auch in der Ausstellung zu sehen waren.

Der Herausgeber Budde schreibt: „Die Ausstellung umschreibt zeitlich den Bogen vom Aufkommen der ersten Konserven im 19. Jahrhundert bis hin zur computergesteuerten Nahrungsproduktion heute. Der Einfluss von Nahrungskrisen auf die Lebensmittelindustrie, die Einführung neuer Produkte sowie neue Konservierungs- und Zubereitungstechniken sind ebenso Thema der Ausstellung wie die Beziehung von Ernährung und Gesundheit oder der zukünftigen Welternährung (…)“.

Heute können standardisierte und verpackte Nahrungsmittel unabhängig von Standort und Jahreszeit gekauft und konsumiert werden. Gleichzeitig sind die VerbraucherInnen psychologisch und geographisch immer weiter von dem entfernt, was sie essen, sie sind sozusagen (zu) ernährungskulturellen Analphabeten (gemacht worden). Einzelne, der in den Texten reichlich genannten Zahlen sind frappierend, teilweise unglaublich. So wurden 2007 in Deutschland im Durchschnitt 87 Kilo Fleisch pro Person und Jahr verzehrt, was knapp 240 Gramm pro Tag entspricht und auch bedeutet, dass im Durchschnitt mittlerweile mehr Fleisch als Brot konsumiert wird. Gab ein Haushalt vor 50 Jahren noch 40 Prozent des Einkommens direkt für Nahrung aus, so sind es 2008 nominell nur noch 11 Prozent, hinzu kommen, so könnte man ergänzen, die direkten und indirekten Kosten der industrialisierten Nahrungsproduktion und der dazugehörigen Agrarwirtschaft. Global stützt sich die Welternährung mittlerweile auf nur sieben Kulturpflanzen: Reis, Mais, Weizen, Gerste, Kartoffeln, Zuckerrohr und Soja.

Die nachfolgenden Artikel untersuchen in sozial- und mentalitätsgeschichtlicher Perspektive Brot, Konservierung und Kühlung, Mangel und Überfluss im Laufe der letzten 100 Jahre, sowie den Beginn der industriellen Nahrungsproduktion am Beispiel der baden-württembergischen Firmen Knorr und Maggi. Danach werden einzelne Produkte aus Übersee – wie etwa Kakao und Gewürze – und Zucker als Import- und einheimisches Produkt vorgestellt. Zuckerrüben werden in Deutschland ab ca. 1800 in größerem Maßstab angebaut.

Die letzten vier Artikel thematisieren die Gegenwart (und teilweise die Zukunft) der Ernährung. Im Exkurs „Die Suppe lügt“ wird die immense Bedeutung künstlicher Aromen dargestellt. Danach sind die drei großen Trends im Lebensmittelkonsum Thema, die sich auch teilweise überlappen: Gesundheit und Wellness, die mit Bequemlichkeit verknüpfte Zunahme der Convenience-Produkte und drittens der „grüne“ Konsum der Öko- und Bio-Welle, dessen Bedeutung sich in den letzten Jahren immerhin verdreifacht hat. In zwei explizit politischen Texten wird zum einen von zwei AutorInnen von „Brot für die Welt“ die Welternährung dargestellt. Der nicht überraschende Tenor: „Es ist genug da“, niemand müsste hungern. Politischen und gesellschaftlichen Wandel, auch in Form staatlicher Regulation, fordert zum anderen der letzte Beitrag, der auch darlegt, dass die vielbeschworene Einkaufsmacht der VerbraucherInnen nicht für den Umbau des gesamten Ernährungssystems ausreicht.

Im zweiten Teil des voluminösen Bandes ist der Textanteil niedriger. Hier sind Plakate, Reklameschilder, Küchengeräte, Rechnungen, Dosen und andere Verpackungen, Geschirr oder Kochbücher abgebildet. Die Anordnung der Texte folgt der thematischen Gliederung des ersten Teils. Erweitert wird die zweite Hälfte des Buches mit einzelnen, auch grafisch aufbereiteten Ergänzungen, etwa zum Thema Lebensmittelsicherheit, zu Kantinenessen oder zur Macht der Lebensmittelkonzerne.

„Unser täglich Brot“ enthält im ersten Teil wissenschaftliche Texte, die gut lesbar sind. Der Katalog ermöglicht insgesamt einen guten Eindruck in die Installation des Regimes industrialisierter Nahrungsproduktion, dessen Ursachen und Begleitfaktoren und in den korrespondierenden Umbruch in den Ernährungsgewohnheiten. Die Leserin erhält einen anschaulichen Eindruck davon, wie dieser Prozess stufenweise von statten ging. Solche Kataloge leben immer von ihrer Illustration, dies ist auch bei diesem eindeutig der Fall.

 Bernd Hüttner (Referent für Zeitgeschichte und Geschichtspolitik der Rosa Luxemburg Stiftung)

 TECHNOSEUM, Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim (Hrsg.): Unser täglich Brot ...: die Industrialisierung der Ernährung; Katalog zur Großen Landesausstellung 2011 Baden-Württemberg (Katalogred.: Kai Budde u.a.), Mannheim 2011, 454 S., 24 EUR, ISBN 978-3-9808571-6-1

Diese Rezension erscheint auch im Rural History Newsletter des Institut für die Geschichte des ländlichen Raumes (St. Pölten/Österreich).