Nachricht | Asien - Geschlechterverhältnisse - Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Feminismus «Approaches to Social Reproduction»

Wenke Christoph und Katharina Pühl berichten von einem Workshop zum Thema «Gender & Migration» in Peking.

Information

Der Workshop eröffnete Fragen auf das Verhältnis von Gender & Migration in Europa und China mit Engführung auf Aspekte sozialer Reproduktion. Dieses Konzept sollte in chinesische akademische Diskurse und auch zivilgesellschaftliche Debatten eingeführt werden und auf seine Brauchbarkeit im Kontext chinesischer Gesellschaft und Transformationsprozesse überprüft werden. Damit fügte sich die Veranstaltung in eine Reihe vorangegangener Konferenzen und Workshops in den Büros der RLS in Asien und auch der Stiftung in Berlin seit 2012 ein, die das Themenfeld Gender & Migration untersuchten bzw. beleuchteten.
Herausforderung dabei war, ein Analysekonzept, hervorgegangen aus westlichen Debatten marxistischer und feministischer Ökonomie- und Kapitalismuskritik, für gesellschaftspolitisch engagierte Analysen und aktivistische Praxen aufzuschließen – im dialogischen Austausch mit den Teilnehmer_innen des Workshops.

Zum Auftakt ging es deshalb darum, sich des gemeinsamen Terrains zu versichern, von dem aus überhaupt Anschlussstellen zu Fragen sozialer Reproduktion zu identifizieren sind. Soziale Reproduktion weit verstanden, umfasst alle Bereiche menschlicher Daseinsvorsorge wie Wohnen, Mobilität, Pflege, Bildung, aber auch Gesundheit und Ernährung sowie soziale Sicherung. Unter Bedingungen unterschiedlich ausgebauter Systeme staatlicher Sorgepolitiken in diesen sehr verschiedenen Bereichen sozialer Reproduktion ging es folglich darum, mit Migration verbundenen Fragen nach spezifischen Möglichkeiten bzw. Grenzen der Bereitstellung und Organisation von Ressourcen, Zugang, sozialer bzw. rechtlicher Ansprüche in China und Europa aufzuwerfen. Im Kontext transformativer Prozesse in europäischen Wohlfahrtsstaaten ist aktuell durch neoliberale Politiken eher eine Rücknahme staatlicher Leistungen im Bereich Care, Sorge und soziale Sicherung zu beobachten, die Fragen einer Vielfachkrise sozialer Reproduktion aufwerfen. Demgegenüber ist die chinesische Entwicklungsdynamik seit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik von Prozessen der Marktöffnung, Privatisierung und Kommodifizierung von Dienstleistungen, auch im Bereich Sorgearbeit, gekennzeichnet. Durch die Entstehung und Konzentration industrieller Produktionszentren in bestimmten Regionen des Landes und durch Prozesse der Urbanisierung mit dadurch entstehenden Bedürfnissen der Reproduktion in den Städten ist das massive Anwachsen auch eines Sektors haushalts- und personennaher Dienstleistungen zu beobachten, der vor allem eine Umverteilung von Arbeit von Mittelklasse-Frauen hin zu Hausarbeiterinnen auslöst. Diese Dynamiken haben massive interne Migrationsströme ausgelöst; aktuelle Schätzungen gehen von ca. 250 Mio. Wanderarbeiter_innen in China aus, davon die Hälfte Frauen.

Fragen, die im Workshop bearbeitet wurden, waren entsprechend auf die Veränderung von Haushalten und Familienstrukturen in den Städten und in den ländlichen Gebieten unter Geschlechtergesichtspunkten gerichtet. Dafür ist es notwendig, zwischen unterschiedlichen Motiven, Gruppen von Migrierenden und deren jeweiliger persönlicher Lebenssituation zu unterscheiden. Verstärkt migrieren auch junge Frauen alleine in die Stadt, um für einige Jahre und vorübergehend ein eigenes Einkommen zu haben. Für die Heirat und Gründung eines Haushaltes kehren viele von ihnen in die Herkunftsregionen aufs Land zurück. Andere versuchen, als Familien in der Stadt zu überleben, obwohl das chinesische Haushaltsregistrierungssystem (hukou) und der damit verwehrte Zugang zu sozialen Leistungen (Bildung, Gesundheitsversorgung etc.) dies erschweren. In jedem Falle ist die Frage nach multilokalen Lebens- und Haushalts- bzw. Familiensituationen in allen diesen Fällen relevant – von der Frage der Unterstützung der zurückbleibenden Kinder und Familie durch Überweisungen bis hin zu Betreuungsfragen und Sorgeverhältnissen gegenüber Kindern und älteren Verwandten, die lokal delegiert werden.

In den Beiträgen und Diskussionen spielten deshalb folgende Fragstellungen eine zentrale Rolle: Welche Einfluss hat die Migration in die Städte auf die Geschlechterverhältnisse und –rollen bzw. Geschlechtervorstellungen in migrantischen Haushalten? Welche sozialen Ambitionen verbinden die Akteur_innen mit der Migration? Wie kommen dabei auch traditionelle Geschlechterkonzepte unter Druck? Welche neuen Möglichkeiten ergeben sich aber auch insbesondere für junge Frauen außerhalb ihrer Herkunftskontexte auf neue Weise?

Unter Gesichtspunkten von Geschlechtergerechtigkeit lassen sich potentiell öffnende Erfahrungen, verbunden mit der Steigerung des sozialen (und ökonomischen) Kapitals, beschreiben. Andererseits verschärfen sich in den städtischen mittelständischen Haushalten über die neue Arbeitsteilung zwischen Frauen unterschiedlicher Klassenzugehörigkeit und Herkunft soziale Konflikte und die Un-/Möglichkeit, individuell für eine ausreichende ökonomische Basis der Existenz und sozialen Sicherung zu sorgen. Hausarbeiterinnen leben bspw. unter Bedingungen hochindividualisierter Arbeitssituationen mit langen Wochenarbeitszeiten, kaum Freizeit und wenig Gelegenheit zum Austausch mit anderen oder Zugang zu arbeitsrechtlichem Schutz. Sie sind infolgedessen sozial hoch verletzlich. Die Arbeit der unterstützenden NGOs in diesem Feld sowie auch der Partnerprojekte der RLS China konzentriert sich entsprechend auf die Ermöglichung von peer-bezogenem Austausch der Hausarbeiterinnen, Skill Trainings und Weiterbildung in Fragen rechtlicher und sozialer Ansprüche, der persönlichen Lebenssituation in Bezug auf Gesundheit und Reproduktion und Selbstorganisierung.

Die Diskussionen im Workshop haben sowohl für die empirische basierten Studien aus dem wissenschaftlichen Bereich wie für die Arbeit der NGO vor Ort Bedarfe gezeigt, umfassender über die Situation von Hausarbeiterinnen zu berichten. Vor allem stehen aber Fragen von Empowerment, advokatorischer Unterstützung und Öffentlichkeitsarbeit sowie Aufklärung über die Notwendigkeit der Veränderung ihrer Lebens- und Arbeitssituation im Mittelpunkt weiterer Aktivitäten. Dies betrifft insbesondere zwei Ebenen der Partnerarbeit vor Ort, nämlich vertiefende wissenschaftliche Analysen, die mit Konzepten wie u.a. dem der sozialen Reproduktion umfassender gestaltet werden können sowie die Unterstützung der Arbeit von NGOs vor Ort bzw. der Selbstorganisierung von Hausarbeiterinnen.