Nachricht | Gesellschaftliche Alternativen - Sozialökologischer Umbau - COP 21 klimadiplomatie.de | So funktioniert eine Klimakonferenz

Nach vier Jahren Dauerverhandeln soll der Gipfel in Paris endlich den Durchbruch bringen und einen neuen Weltklimavertrag beschließen. Doch was passiert eigentlich auf so einer Konferenz?


Diesen Text veröffentlichen wir in Kooperation mit dem Portal www.klimadiplomatie.de


Diese Klimakonferenz wird ein Erfolg! Zumindest wenn es nach dem Verhandlungsmandat geht. 2011 beschlossen die Klimadiplomaten auf ihrer 17. Vertragsstaatenkonferenz im südafrikanischen Durban, bis zum Jahr 2015 einen neuen Weltklimavertrag auszuhandeln. Im Klimakonferenzsprech heißt das dafür eingesetzte Gremium Ad Hoc Working Group on the Durban Platform for Enhanced Action (ADP), übersetzt "Eigens eingerichtete Arbeitsgruppe zur Verhandlungsgrundlage von Durban für erweiterte (Klimaschutz-)Maßnahmen."

Verhandlungsmandate sind die Grundlage der Klimadiplomatie. Zuerst einmal verhandeln die Klimadiplomaten, worüber sie eigentlich verhandeln wollen – beziehungsweise mit welchem Ziel.

Das "Berliner Mandat" von 1995 – Konferenzpräsidentin war die damalige Umweltministerin Angela Merkel – führte zwei Jahre später zum Kyoto-Protokoll. Das auf der Klimakonferenz 2007 beschlossene Mandat von Bali, die Bali Roadmap, hätte zwei Jahre später in Kopenhagen zum Anschlussvertrag führen sollen.

Nach dem Scheitern von Kopenhagen dauerte es abermals zwei Jahre, bis ein neues Verhandlungsmandat formuliert war. In Durban fiel auf der Klimakonferenz 2011 die Entscheidung: In vier Jahren beschließen wir ein neues Abkommen!

Vier Konferenzen gleichzeitig

Und wenn man Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Glauben schenken mag, dann sieht es nach vier Jahren Dauerverhandelns auch ganz gut aus: "Viele Dinge sind in ihrer Grundstruktur klar, wir sind gut vorbereitet." Die Klimakonferenz von Paris, heißt das, wird ein Erfolg.

Aber welche Klimakonferenz?

Genau genommen besteht eine Klimakonferenz aus vier Konferenzen nebeneinander. Die wichtigste ist derzeit der beschriebene ADP-Prozess, jener Verhandlungsstrang, der in Durban 2011 begonnen wurde und den neuen Vertragstext bringen soll.

Daneben tagen zwei technische Arbeitsgruppen "unter Aufsicht der Konferenz", wie es heißt: Der SBSTA (Subsidiary Body for Scientific and Technological Advice), der sich mit wissenschaftliche Fachfragen befasst, und der SBI (Subsidiary Body for Implementation), der Verwaltungsfragen klärt.

Seit 2005 tritt außerdem die sogenannte CMP zusammen, die Vertragsstaatenkonferenz der Länder, die das Kyoto-Protokoll ratifiziert haben. Diese Staaten verhandeln darüber, wie dieses noch bis 2020 geltende Protokoll weiterentwickelt werden muss.

Nichtmitglieder haben nur Beobachterstatus. Neben den USA betrifft das die von Marokko besetzte Westsahara, Taiwan und einige Kleinstaaten wie Andorra, neuerdings aber auch Kanada, das 2013 aus dem Kyoto-Protokoll ausgetreten ist.

Seit der Klimakonferenz COP 10 in Montreal vor zehn Jahren werden die Weltklimagipfel deshalb auch immer in der Kombination COP/CMP gezählt. Die Klimakonferenz in Lima war 2014 beispielsweise COP 20/CMP 10.

Gibst du mir, geb ich dir

Dazu kommt ein gutes Dutzend sogenannter "Boards" und "Committees", die als Nebenorgane in die Konferenzarchitektur eingebaut wurden, um sich mit praktischen Fragen zur Klimaanpassung, zum Technologietransfer, zu Forschungsfragen und natürlich mit Geld zu befassen.

Diese Nebenorgane treffen sich oft auch außerhalb des Klimakonferenzrhythmus. Das Adaptation Committee konferierte beispielsweise Anfang September 2015 in Bonn zum achten Mal, das Advisory Board of the Climate Technology Centre and Network tagte im Oktober 2014 in Kopenhagen zum vierten Mal.

Soll aber das Verhandlungsergebnis dieser Boards und Committees Gesetz werden, dann ist auch dafür ein Beschluss der Vertragsstaatenkonferenz COP oder – falls es Organe des Kyoto-Protokolls betrifft – der CMP notwendig. Das Problem dabei: Die Beschlüsse können nicht einzeln gefasst werden.

Weil bei den Abstimmungen das UN-Prinzip der Einigkeit gilt, wird ein Gesamtpaket beschlossen, und zwar nur dann, wenn sich kein Staat gegen das Paket ausspricht. Der pazifische Inselstaat Palau hat mit seinen 21.000 Einwohnern dieselbe Stimme wie das Milliardenvolk der Inder. Es ist ein Geben und Nehmen zwischen den einzelnen Verhandlungssträngen – und alles ist politisch miteinander verknüpft.

Immer mehr Verhandlungsstränge bedeuten natürlich auch immer mehr diplomatisches Personal. Reisten auf der ersten Klimakonferenz in Berlin 1995 noch 869 Klimadiplomaten an, so waren es zehn Jahre später auf der COP 10 bereits 2.222. Auf der Vertragsstaatenkonferenz in Kopenhagen 2009 waren erstmals mehr als 10.000 Klimadiplomaten akkreditiert. In Paris werden nun noch mehr Delegierte erwartet.

Reiche Staaten am längeren Hebel

Dabei sind die Delegationen so ausgestattet, wie die Länder reich sind. Die Kampagne Unfairplay legte auf der Klimakonferenz in Cancún 2010 eine Untersuchung über die ungleichen Kräfteverhältnisse vor. Mehr als die Hälfte aller Regierungsdelegationen hatte demnach 17 Mitglieder oder weniger, während Schwergewichte wie Deutschland mit 80 Diplomaten oder China mit 97 Experten angereist waren.

Die Vereinigten Staaten schickten 155 Vertreter nach Cancún, Spitzenreiter Brasilien sogar 591 Delegierte. Sechs Verhandlungsstränge liefen bei der Konferenz, viele davon gleichzeitig. 15 Prozent aller Länder hatten aber nur Delegationen mit fünf Klimadiplomaten oder weniger entsandt.

Das UN-Klimasekretariat bezahlt die Anwesenheit von einem Delegierten pro Land, damit sichergestellt werden kann, dass jedes Land tatsächlich auch an Verhandlungen teilnimmt und über die Zukunft der Welt abstimmt. Zwar gibt es einen freiwilligen Kooperationsfonds, aus dem Anreise und Unterkunft für Delegierte armer Staaten bezahlt werden soll. Aber bislang haben nur fünf Länder eingezahlt. Norwegen ist mit 630.000 Euro größter Geber. Deutschland ist nicht dabei.

Auch bei den Nichtregierungsorganisationen sind die armen Staaten klar benachteiligt. 82 Prozent aller Nichtregierungsvertreter stammen aus einem Industrieland, die Hälfte davon aus der EU. Beobachter aus den am wenigsten entwickelten Ländern machen dagegen nur zwei Prozent aus.

Minister am Rande der Zurechnungsfähigkeit

In der ersten Woche einer Konferenz haben die Klimadiplomaten das Sagen: "Ziel ist, den Text fertig zu machen", wie der deutsche Chefunterhändler Karsten Sach erklärt. Derzeit enthält der Vertragsentwurf für Paris noch gut 1.500 Klammern, "also Vertrags-Optionen", sagt Sach, "und die müssen auf ein Mindestmaß reduziert werden, damit der Vertragstext für die Minister in der zweiten Woche handhabbar wird".

Denn in der zweiten Woche reisen die zuständigen Umwelt-, Energie- oder Wirtschaftsminister an, um die Verhandlungsführung zu übernehmen. Nur sie können im UN-Prozess Beschlüsse fassen.

Deshalb bringt die zweite Woche in der Regel eine völlig neue Dynamik in die Verhandlungen. Kann ja sein, dass die Diplomaten zuvor mühsam einen Kompromiss gezimmert haben. Das Mandat eines Staates, diese Kompromisse zu beschließen, haben aber nur die Minister.

Nicht selten agieren die am Rande der Zurechnungsfähigkeit. Falls in der Heimat zum Beispiel gerade ein Wahlkampf tobt, ist die Nachricht "Brasiliens Umweltministerin bleibt hart in der Frage der ..." unter Umständen wichtiger als ein Konferenzerfolg. So entließ im November 2013 der innenpolitisch unter Druck geratene polnische Premierminister Donald Tusk – heute EU-Ratspräsident – seinen Umweltminister Marcin Korolec, obwohl dieser gerade als Konferenzpräsident die Geschicke der COP 19 in Warschau leitete.

"Wir brauchen neue Energie und eine Beschleunigung", erklärte Tusk damals vor Journalisten in Warschau. Damit meinte er aber nicht die stockenden Weltverhandlungen im polnischen Nationalstadion, die ihm herzlich egal waren. Tusk meinte seine neue Regierungsmannschaft, denn auf die schlechten Umfragewerte im Wahlvolk hatte Polens Regierungschef mit einer Kabinettsumbildung reagiert. Sieben Minister mussten gehen, unter ihnen Marcin Korolec.

Tusk nahm billigend in Kauf, dass er damit seinen Konferenzpräsidenten enorm schwächte – drei Tage bevor die COP 19 einen Beschluss fassen musste. Diese drei Tage abzuwarten, um den Erfolg in der internationalen Klimadiplomatie zu sichern, das fiel dem konservativen Politiker Tusk gar nicht ein.

Gleich und gleich gesellt sich

Auf dem Konferenzparkett haben sich die Staaten nach ihren Interessen zu Verhandlungsgruppen zusammengeschlossen. Es gibt zum Beispiel die Allianz der kleinen Inselstaaten AOSIS, die Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder LDC oder die Gruppe G77 + China, die sich als Stimme des globalen Südens versteht.

Die USA haben sich mit Japan, Kanada, Neuseeland, Island, Australien und – erstaunlicherweise – Russland und der Ukraine zur Umbrella Group zusammengeschlossen.

Bolivien, Venezuela, Nicaragua, Kuba und etliche Inselstaaten der Karibik bilden die Bolivarische Allianz der Völker unseres Amerika, kurz ALBA.

Mexiko, Südkorea, die Schweiz, Liechtenstein und Monaco gründeten die Environmental Integrity Group, die zwischen Entwicklungs- und Industrieländern vermitteln will.

Die Länder Zentralasiens organisierten sich mit Albanien, Moldawien und den Kaukasusstaaten zur CACAM-Gruppe. Die Afrikaner verhandeln als African Group, Auch die Arabische Liga, die EU und der asiatische Staatenbund ASEAN bilden jeweils einen Block.

Wenn es notwendig wird, finden sich aber auch kurzfristig neue Bündnisse zusammen: die USA und die Staaten der OPEC, wenn es um die Zukunft der Ölförderung geht; Brasilien, Indonesien, Papua-Neuguinea oder Peru, wenn der Schutz des Regenwaldes verhandelt wird.

Beobachter und Beobachter der Beobachter

Mit der wachsenden Bedeutung der Klimaverhandlungen entwickelten sich auch die Beobachterzahlen auf den COPs. Entwicklungsorganisationen wie Care, Oxfam oder Brot für die Welt schicken Fachleute auf die Konferenzen, um zu prüfen, wie ihre Arbeit in den Projektländern – beispielsweise zur Anpassung an die Erderwärmung – von den Diplomaten beeinflusst wird.

Wissenschaftler reisen an, um den Delegierten bei Fachfragen zur Seite zu stehen und um sicherzustellen, dass "das wissenschaftlich Notwendige" nicht aus dem Blick gerät. Wirtschaftslobbyisten versuchen die Verhandlungen zu beeinflussen, denn mittlerweile greifen die Klimadiplomaten mit ihren Weichenstellungen oft stark in die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ein, ähnlich nationalen Wirtschaftsministern.

Das wiederum ruft noch mehr Klimaschützer auf den Plan, um die Lobbyisten mit ihren Partikularinteressen vor der Weltöffentlichkeit bloßzustellen. Frauengruppen beobachten die Klimaverhandlungen unter dem Geschlechteraspekt, Indigene schicken ihre Vertreter, um die Berücksichtigung ihrer Minderheitenrechte zu überwachen.

Jugendorganisationen beanspruchen ein offizielles Mitspracherecht, schließlich verhandeln die Klimadiplomaten über ihre Zukunft. Wenn die Wirtschaftslobbyisten vertreten sind, müssen natürlich auch die Gewerkschaften ihre Interessensvertreter auf das Verhandlungsparkett schicken.

Die Bewegung der Landlosen hat genauso Zugang zu den Verhandlungen wie die Organisation für Islamische Zusammenarbeit oder die Weltbank, das Internationale Verkehrsforum, die Weltnaturschutzunion IUCN oder die Organisation erdölexportierender Länder OPEC.

RINGOs, BINGOs und WOMGOs

Um etwas Struktur in diesen Beobachterpulk zu bringen, hat die UNO Interessengruppen gebündelt und ihnen Büros und Infrastruktur auf den Konferenzen zur Verfügung gestellt. Wissenschaftler haben sich als RINGOs zusammengeschlossen, als Research and Independent Non-Governmental Organisations. Wirtschaftslobbyisten firmieren als BINGOs – Business and Industry Non-Governmental Organisations.

Für die Arbeitsrechtler und Gewerkschafter gibt es die TUNGOs, die Trade Union Non-Governmental Organizations, Klimaschützer und Environmental Organisations firmieren als ENGOs, Frauenorganisationen unter WOMGOs. Zuletzt kamen 2009 die YOUNGOs hinzu, das Zentrum für die Jugendorganisationen.

In diesen Büros koordinieren die Interessengruppen ihre Aktionen auf den Klimagipfeln. Die Wissenschaftler stellen beispielsweise am Rande der Konferenz immer wieder wichtige Studien zur Erderwärmung vor, um so die Nachrichten und damit die Verhandlungen zu beeinflussen.

Die Klima- und Umweltschützer geben mit Eco eine eigene Konferenzzeitung heraus, in der sie Knackpunkte der Verhandlungen widerspiegeln. Seit 1999 verleihen sie an jedem Konferenztag den Fossil of the Day – einen Negativpreis für die übelste Position auf dem Konferenzparkett. Der Dinosaurier auf einem Silberfuß ging fast immer an ein Industrieland oder einen Erdöl fördernden Staat.

Die Jugendorganisationen starteten die Aktion "Negotiation Tracker". Blogger aus Industriestaaten heften sich an die Fersen ihrer jeweiligen Verhandlungsführer, um möglichst zeitnah darüber zu berichten, welche Rolle die Staaten im Verhandlungsprozess einnehmen. Mit welchen Lobbyisten sie sich treffen. Was sie nach Ende der offiziellen Verhandlungen machen.

Musterbeispiel für Transparenz

Nach den Terroranschlägen in Paris fragen sich viele, ob die Weltklimakonferenz tatsächlich in Frankreichs Hauptstadt stattfindet. "Jetzt erst recht", sagt Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth.

Es sei zwar noch nicht klar, in welcher Stimmung die Konferenz beginnen werde. Aber die 21. Vertragsstaatenkonferenz werde eine "Conferenz of the Parties" wie jede andere. "Alles, was auf dem COP-Gelände stattfindet, findet wie auf jeder Klimakonferenz statt", sagt Flasbarth.

Sprich: Auch die Vertreter der Zivilgesellschaft – also die Konferenz-Beobachter – werden ganz normal zugelassen wie in jedem Jahr. Ohne diese Beobachter, so Flasbarth, "könnte man die Konferenz gleich ganz absagen".

Kein anderer politischer Prozess verläuft transparenter als die UN-Klimaverhandlungen. Die Beobachter – 1992 auf dem Erdgipfel in Rio erstmals zugelassen – sind wichtiger Teil dieser Transparenz.

Neu auf der Klimakonferenz von Paris ist die Rolle der Staats- und Regierungschefs. Anders als 2009 in Kopenhagen kommen sie diesmal am ersten Verhandlungstag, nicht an den letzten. "Wir haben schlechte Erfahrungen gemacht", so Staatssekretär Flasbarth.

Kopenhagen war auch an der Unfähigkeit von Obama, Putin, Berlusconi oder Gordon Brown gescheitert, zu verstehen, wie ein Klimagipfel funktioniert – und seine Instrumente für die eigenen Ziele zu nutzen. Und die Klimadiplomaten hatten alle darauf vertraut, dass "ihr Boss" die Kuh dann doch noch vom Eis holen wird. Diesmal müssen sie den Rindermord verhindern.