Publikation Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Wirtschafts- / Sozialpolitik Die politische Produktion ungleicher Kindheiten

Kritik aktueller neoliberaler Transformationsprozesse in der deutschen Sozialpolitik aus menschenrechtlicher und gerechtigkeitstheoretischer Perspektive. Von Klaudia Kachelrieß, Berlin.

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Erschienen

Mai 2010

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit für Kinder
2.1 Kinderrechte und Kindheitsverständnis
2.1.1 Die UN-Kinderrechtskonvention
2.1.2 Das Verständnis von `Kind´ und `Kindheit´ aus Sicht der neuen Kindheitswissenschaften
2.1.3 Kritik am Kindheitsverständnis in der KRK
2.2 Soziale Menschenrechte für Kinder: Das Recht auf angemessenen Lebensstandard und Schutz gegen Armut - subjektbezogene Dimension
2.2.1 Soziale Menschenrechte 9
2.2.2 Das Recht auf angemessenen Lebensstandard in der KRK und im IPwskR
2.2.3 Das Recht auf Fürsorge und auf Schutz gegen Armut und soziale Ausgrenzung in der Europäischen Sozialcharta
2.2.4 Menschenrechtliche Ansprüche von Kindern auf Wohlfahrt
2.3 Umsetzung der Menschenrechte
2.3.1 Status der Menschenrechte: Zwischen moralischem und juridischem Recht
2.3.2 (Para-) Staatliche Verpflichtungen zur Umsetzung der Menschenrechte
2.3.3 Soziale Menschenrechte im deutschen Recht
2.4 Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit - gesellschaftsbezogene Dimension
2.4.1 Menschenrechtliches Gleichheitspostulat und soziale Gerechtigkeit
2.4.2 Gerechtigkeitstheorie nach John Rawls
2.4.3 Soziale Gerechtigkeit für Kinder
2.5 Fazit: Der Staat in der Verantwortung

3. Die neoliberale Transformation des Sozialstaates
3.1 Neoliberalismus
3.2 Kontext und diskursiver Rahmen des Sozialstaatsumbaus
3.2.1 Die neoliberale ‚Modernisierung’: „Globalisierung als Zwangsgesetz“
3.2.2 Neoliberale Sozialstaatskritik
3.3 Der „aktivierende Sozialstaat“
3.4 Fazit: Ökonomisierung von Sozialpolitik

4. Kinder im „aktivierenden Sozialstaat“ – Diskurse, Maßnahmen und Folgen neoliberaler Sozial- und Familienpolitik
4.1 Kindbezogene neoliberale Diskurse
4.1.1 Kinder als „rares Gut“
4.1.2 Kinder als „Humankapital”
4.1.3 Fazit: Soziale Ein- und Ausschlüsse durch die Ökonomisierung von Kindheit
4.2 Kindbezogene neoliberale sozial- und familienpolitische Maßnahmen
4.2.1 Kinderarmut per Gesetz: „Sozialpolitik“ unter Rot-Grün (1998-2005)
4.2.2 Wohltaten für Wohlhabende: Familienpolitische Maßnahmen der großen Koalition von CDU und SPD (2005-2009)
4.2.3 Fazit: Soziale Ein- und Ausschlüsse durch die Ökonomisierung von Sozialpolitik
4.3 Folgen neoliberaler Sozialpolitiken: Ungleiche Kindheiten – Gespaltene Gesellschaft
4.3.1 Zunehmende Kinderarmut durch die Hartz IV- Reform
4.3.2 Wohlfahrt von Kindern in Zeiten neoliberaler Sozialpolitik
4.3.4 Fazit: Neoliberale Politik produziert ungleiche Kindheiten
4.4 Kinderarmut und soziale Ungleichheiten als Menschenrechtsverletzung
4.4.1 Armutsbegriff
4.4.2 Kinderarmut
4.4.3 Machtbedingte Ausblendung sozialer Menschenrechte
4.4.4 Verständnis von sozialen Menschenrechten als Freiheitsrechte
4.4.5 (Kinder-)Armut und soziale Ungleichheiten als Menschenrechtsverletzung
4.4.6 Fazit: Neoliberale Politik als Widerspruch zur Menschenrechtsethik

5.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
5.2 Ausblick und Gegenmodelle: Forderungen an die Politik bzw. Plädoyer für eine
menschenrechtlich begründete Sozialpolitik für Kinder
5.2.1 Menschenrechte als Philosophie und als politisches Instrument
5.2.2 Konkrete politische Maßnahmen bzw. Ansätze
5.2.3 Weitere Instrumente zur Erreichung einer menschenrechtlich begründeten Kindersozialpolitik
5.3 Persönlicher Blick über den kapitalistischen Tellerrand
Literaturverzeichnis

Einleitung

Seit einigen Jahren wird in Deutschland anhand sozialpolitischer Entscheidungen der jeweiligen Regierungen ein massiver Umbau des Sozialstaates vorangetrieben. Dieser
Umbau ist maßgeblich auf die neoliberale Ideologie, die sich großer gesellschaftlicher Wirkungsmächtigkeit erfreut, zurückzuführen. Sozialpolitik ist seit jeher ein hart
umkämpftes Politikfeld. (Vgl. Rosa-Luxemburg-Stiftung 2009) Über Sozialpolitik werden Werte vermittelt, sie bestimmt Lebenschancen von Menschen und ist ein wichtiges
Machtinstrument. (Vgl. ebd.) Sozialpolitik vermittelt Gesellschaftlichkeit - oder führt zu Isolierung und Marginalisierung. Sozialpolitik als eigenständiger politischer Bereich
bestimmt maßgeblich den allgemeinen Wohlstand einer Gesellschaft mit. „Neben materiellen Zuwendungen, öffentlichen Dienstleistungen und sozialen Infrastrukturen
determiniert das (sozial-) politische Klima die Lebenslagen der einzelnen BürgerInnen.“ (Butterwegge 2005: 25-26) Sozialpolitik bestimmt in erheblichem Maße, ob der Mensch das bekommt, was er zum Menschsein braucht...

Die Folgen, die die neu ausgerichtete Sozialpolitik für die soziale Gruppe der Kinder mit sich bringt, werden bereits von KindheitswissenschaftlerInnen, Kinderschutzorganisationen und Sozialverbänden analysiert und scharf kritisiert. Für die Bewertung von Sozialpolitik wird bisher allerdings selten die Kritik am neoliberalen Hintergrund der sozialstaatlichen Veränderungen mit menschenrechtsethischen Ansätzen verbunden. Der sozialpolitische Diskurs über Armut kommt beispielsweise „noch weitgehend ohne Menschenrechtsbezüge aus. In Deutschland besteht eine gewisse Scheu, die Überwindung sozialer Missstände und struktureller Benachteiligungen als eine menschenrechtliche Verpflichtung auszuweisen.“ (Krennerich 2007: 129 zit. nach Möhring-Hesse in Debus, Kreide, Krennerich 2008: 12-13)

Genau diese Scheu will die vorliegende Arbeit überwinden. Aus dem Grundverständnis heraus, dass politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen die individuellen Lebensverhältnisse maßgeblich mitbestimmen, möchte ich die aktuellen sozialpolitischen Transformationsprozesse aus menschenrechtsbeszogener und gerechtigkeitstheoretischer Perspektive analysieren und bewerten. Im Mittelpunkt der Analyse stehen kindbezogene Diskurse neoliberaler Politik, konkrete sozialpolitische Maßnahmen und ihre Auswirkungen. Als Ausblick soll der neoliberalen Stoßrichtung und der ihr zu Grunde liegenden Philosophie eine menschenrechtlich begründete Sozialpolitik entgegengesetzt werden.

Leitend für die Analyse sind folgende Fragestellungen: Welche Logik steht hinter den kindbezogenen Diskursen und Maßnahmen neoliberaler Sozialpolitik? Welche Folgen hat die Transformation vom aktiven zum „aktivierenden Sozialstaat“ für die soziale Gruppe der Kinder? Wie wirken sich die aktuellen Entwicklungen auf die Verwirklichung der individuellen sozialen Menschenrechte von Kindern und auf die soziale Gerechtigkeit aus? Wie sind der sozialpolitische Transformationsprozess und seine Folgen in Bezug auf Kinder aus menschenrechtlicher und gerechtigkeitstheoretischer Sicht zu bewerten?

Die Thesen der vorliegenden Arbeit lauten:

  • Der neoliberale sozialpolitische Kurs bestärkt die Tendenz zur Ökonomisierung von Kindheit, welche mit dem zunehmenden sozialen Ausschluss bestimmter Gruppen einhergeht.
  • Die neoliberale Sozialpolitik führt zu zunehmender sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit innerhalb der sozialen Gruppe der Kinder.
  • Die neoliberalen Transformationsprozesse wirken sich negativ auf die Verwirklichung subjektiver (sozialer) Rechte für ohnehin schon sozial benachteiligte Kinder aus.