Publikation Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Kapitalismusanalyse - Gesellschaftstheorie Zukunft Eigentum.

Wem gehört die Republik? RLS Texte 70 von Jürgen Leibiger

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Reihe

Texte (Archiv)

Autor

Jürgen Leibiger,

Erschienen

Juli 2011

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Inhalt

 

Vorbemerkung

Die Eigentumsfrage

  • Eigentumsobjekte
  • Subjekte des Eigentums
  • Der Inhalt der Eigentumsverhältnisse
  • Eigentumsformen

Wem gehört die Republik?

Lehren der Krise. Lehren der Geschichte

  • Die Gestaltung von Eigentumsvielfalt
  • Ein neuer Typ der Gouvernementalität
  • Selbstbestimmheit und gesellschaftliche Rationalität
  • Kriterien für öffentliches Eigentum
  • Öffentliche Daseinsvorsorge
  • Wissenseigentum in der Wissensgesellschaft
  • Finanzwirtschaft

Transformationsformen des Eigentums

  • Verstaatlichung
  • Kauf privater Unternehmen
  • Gründung gemeinwohlorientierter Einrichtungen und Betriebe
  • Keynes’ Sozialisierung der Investitionen
  • Indirekte Formen der Transformation
  • Entstaatlichung
  • Die innere Ausgestaltung von Eigentumsverhältnissen
  • Öffentliches Eigentum
  • Gemeineigentum
  • Nichtstaatliches Gemeineigentum
  • Privatisierung gestalten

Eigentum und Eigentumstransformation im Grundgesetz

Der Autor



Vorbemerkung

Als 1989 der osteuropäische Staatssozialismus implodierte und die gesellschaftliche Transformation zur Restauration des Kapitalismus begann, wurde mit größter Selbstverständlichkeit als Erstes die Eigentumsfrage geklärt. Viel Federlesens wurde nicht gemacht; das Staatseigentum, bestehend aus Betrieben, Banken, Immobilien usw. wurde zwar nicht vollständig, aber weitgehend zerschlagen. Zumeist wurde es privatisiert, ein Teil landete bei den verschiedenen Gebietskörperschaften, ein anderer Teil wurde liquidiert. Die in den führenden kapitalistischen Ländern mit dem neoliberalen Umbau der Gesellschaft Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre in Gang gesetzte Privatisierung öffentlichen Eigentums erhielt einen gewaltigen Schub. »Alles muss raus!« lautete der ironische Titel einer kritischen Analyse dieser Vorgänge.
Wieder einmal wurde dem Publikum die Relevanz der Eigentumsfrage als einer Grundfrage der sozialen und institutionellen Ordnung und Struktur der Gesellschaft praktisch eingehämmert. Was die Bürger im privaten Leben täglich erfahren, den Unterschied von Mein und Dein, gewann mit einem Mal auf einem Feld an Bedeutung, über das sie sich lange Zeit wenig Gedanken gemacht zu haben schienen, das dennoch ihr Alltagsleben fundamental prägt: Kommt der Strom von einem privaten oder einem kommunalen Anbieter? Soll der Kindergarten städtisch bleiben, oder soll er privatisiert werden? Was bedeutet das für die Gebühren und die Bildungs- und Erziehungsinhalte? Sollen profitorientierte Unternehmer über die Wohnungsmiete entscheiden oder haben Kommunalpolitiker ein Wörtchen mitzureden? Sollen Leistungen der Daseinsvorsorge, z. B. des Gesundheitswesens, öffentlich oder privat erbracht werden? Auch die wissenschaftlichtechnische Entwicklung erfordert regelmäßig aufs Neue eigentumspolitische Entscheidungen: Wem gehören wissenschaftliche Entdeckungen, der Meeresboden, die Arktis, das Erbgut von Pflanzen und Tieren, die Rundfunkfrequenzen? Wem sollten sie gehören? Musikkonzerne und Pharma-Riesen senden »Scouts« aus; die einen, um in den musikalischen, die anderen, um in den medizinischen Überlieferungen naturnaher Völker nach Verwertbarem zu forschen, den natürlichen und kulturellen Besitz dieser Völker also faktisch zu enteignen. Hier wird auf ganz praktische Weise klargemacht, dass Fragen der Umweltpolitik, der Kultur, der Nutzung des Internets oder des Zugangs zum geistigen Reichtum der Gesellschaft mit der Frage nach dem Eigentum eng verknüpft sind. Die enorme Ausdehnung des menschlichen Wissens gleicht der Schaffung neuer, virtueller Räume. Aber auch die wirtschaftlich nutzbaren stofflichen Räume erweitern sich; der Mensch dringt tiefer in die Erdkruste vor, er erschließt sich die Tiefen des Ozeans, die Arktis und die Antarktis, das All und andere Himmelskörper. Die Eigentumsfrage stellt sich heute auch in Bezug auf diese neuen Räume, die scheinbar Niemandsland sind. Den Erstzugriff realisiert aber oft nicht die menschliche Gemeinschaft, vielmehr sichern sich private, profitorientierte Verwerter diesen Zugriff.

Gegen diese »Akkumulation durch Enteignung«, wie David Harvey das nennt,1 treten jedoch auch Gegenkräfte auf den Plan. Als die Firma Google begann, Straßen und Häuser zu filmen und die Ergebnisse im Internet privat zu verwerten, schlug die Empörung hohe Wellen: Google garantiert zwar open access, öffentlichen Zugang, was sehr bequem für mich als Nutzer ist, aber ich werde auch enteignet, wenn Google Bilder von mir und von meinem Grundstück veröffentlicht! In anderen Zusammenhängen wurde eine Bewegung für einen völlig anderen open access, für den freien Zugang zu den Quellen des Internets geboren. In die Auseinandersetzung über den Schutz geistigen Eigentums im Rahmen des internationalen TRIPS-Abkommens (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights), über das Investitionsschutzabkommen MAI (Multilaterales Abkommen über Investitionen) und die europäische Dienstleitungsrichtlinie DLR schalteten sich tausende kritische Aktivisten ein, weil damit massiv in öffentliche Eigentumsrechte zugunsten privater Verwerter eingegriffen werden sollte. Im Prozess der Privatisierung kommunalen Eigentums entstanden da und dort Bürgerinitiativen gegen diese Politik. Nicht zuletzt hat schließlich die jüngste Weltwirtschaftskrise, die mit der Verstaatlichung einiger Finanzinstitute verbunden war, die Frage nach dem Eigentum aktuell werden lassen.
Auch die Wissenschaft reagierte auf die neu aufgeworfenen Fragen. Der Nobelpreis für Ökonomie wurde 1993 unter anderem an den Amerikaner Douglas C. North vergeben, der versuchte, die Bedeutung institutioneller Grundlagen der Gesellschaft, darunter auch des Eigentums, für die wirtschaftliche Entwicklung zu klären. Im Rahmen des United Nations Development Programms wurde eine Reihe von Studien zur Thematik der Global Public Goods in Auftrag gegeben. Die deutsche Max-Planck-Gesellschaft gründete 1997 in Bonn ein Institut zur Forschung über Kollektive Güter. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung initiierte 2003 ein internationales Netzwerk zu diesem Thema und entwickelte die Internet-Plattform wemgehörtdiewelt.de, who-owns-the-world.de. Dort sind auch eine Reihe anderer Arbeiten zu diesem Thema aus jenen Jahren aufgeführt.

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Jürgen Leibiger:
Zukunft Eigentum. Wem gehört die Republik?
Reihe: Texte / Rosa-Luxemburg-Stiftung; Bd. 70
Berlin: Karl Dietz Verlag 2011
ISBN 978-3-320-02256-3