Publikation International / Transnational Die Europäische Union bläst zur Jagd auf Steuersünder

In der EU gehen pro Jahr schätzungsweise eine Billion Euro durch Steuerbetrug verloren. Die EU-Kommission will das jetzt ändern. Axel Troost stellt die aktuellen Vorhaben vor und überprüft ihre Wirksamkeit.

Information

Reihe

Online-Publ.

Erschienen

Oktober 2013

Bestellhinweis

Nur online verfügbar

Zugehörige Dateien

Vergangenes Jahr hat die EU-Kommission mit der Ausarbeitung einer Gesamtstrategie zu Steuerflucht begonnen, in der auf einmal eine ganze Reihe von Forderungen zivilgesellschaftlicher Akteure wie Tax Justice Network und Attac aufgegriffen wurden. Die EU will weit über die Bekämpfung der Steuerhinterziehung durch reiche Privatpersonen (etwa mithilfe eines Kontos in der Schweiz) hinausgehen, die früher fast allein im Fokus der europäischen Politik stand, und künftig auch ernsthaft die Steuervermeidungstricks der Unternehmen ins Visier nehmen.

Lange galt die Steuerflucht in Richtung Luxemburg oder Schweiz als Kavaliersdelikt, das nicht ernsthaft verfolgt wurde. Dies änderte sich erst mit der Festnahme des Ex-Post-Chefs Klaus Zumwinkel. Auch dass der Staat glaubte, immer stärker sparen zu müssen, ließ eine öffentlichkeitswirksame Verfolgung von Steuerflüchtlingen opportun erscheinen. Doch zugleich betrachtete man in der Politik die Tolerierung von unternehmerischen Steuervermeidungsstrategien häufig durchaus als legitime Form der Wirtschaftsförderung. Dabei dürften sich groben Schätzungen zufolge die Verluste durch die Nichtversteuerung von Unternehmensgewinnen in Deutschland auf das Zwanzigfache dessen belaufen, was der Fiskus durch die private Steuerhinterziehung in Steueroasen verliert.

Die in Großbritannien aufgedeckten Fälle von dreister Gewinnverschiebung durch Konzerne wie Google und Starbucks mithilfe von Tricks mit so schönen Namen wie «Double Irish with Dutch Sandwich» machen es der EU und ihren Mitgliedsstaaten inzwischen allerdings schwer, großzügig auch noch über die unverschämtesten Unternehmenspraktiken zur Steuervermeidung hinwegzusehen. So machen viele US-Konzerne ihre Gewinne hauptsächlich im Ausland, um den in den USA geltenden Körperschaftsteuersatz von bis zu 35 Prozent zu umgehen – doch auch im Ausland zahlen sie kaum Steuern. Unter anderem hatte sich gezeigt, dass beispielsweise Apple (hauptsächlich unter Ausnutzung irischer Steuerschlupflöcher) auf seine Auslandsgewinne nur einen Steuersatz von 1,9 Prozent zahlt. Dass auch deutsche Unternehmen mit irischer Hilfe ihre Steuerlast senken, zeigte die Nachrichtenagentur Reuters anhand des Beispiels SAP. Der Softwarekonzern spare auf diese Weise jährlich über 100 Millionen Euro Steuern, wovon nach Schätzungen des Tax Justice Network etwa 17 Millionen Euro zulasten des deutschen Fiskus gehen dürften.

Überdies macht nun das Europäische Parlament der Kommission und den EU-Mitgliedstaaten Druck. Zu Recht weist es darauf hin, «dass es ein Skandal ist, dass in der EU pro Jahr schätzungsweise eine Billion Euro durch Steuerbetrug, Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und aggressive Steuerplanung verloren geht, zumal dieser Betrag einer jährlichen Kostenbelastung von annähernd 2.000 Euro pro EU-Bürger entspricht und bisher keine geeigneten Gegenmaßnahmen getroffen werden».5 Zusätzliche Einnahmen für die Mitgliedsstaaten, die zur Bekämpfung der Eurokrise und zur Senkung der Defizite schließlich unabdingbar sind, sollten demnach in erster Linie durch die Schließung der Steuerlücke – also der Differenz zwischen theoretisch fälligen und faktisch gezahlten Steuern – und nicht durch neue oder höhere Steuern erzielt werden. Da weiß sich das Europaparlament ganz mit der SPD (zumindest in Wahlkampfzeiten) einig.

Der EU-Gipfel im Mai 2013 setzte daraufhin die Frage der Konzernbesteuerung erstmals als thematischen Schwerpunkt. «Es ist wichtig, besonders im derzeitigen Kontext der Haushaltskonsolidierung wirksame Schritte zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug zu unternehmen, um die Einnahmen zu sichern und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Gerechtigkeit und Wirksamkeit der Steuersysteme zu gewährleisten,» heißt es in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates.6 An konkreten Maßnahmen nennt der Rat die Ausweitung des automatischen Informationsaustauschs, die Rechnungslegung nach Ländern und die Veröffentlichung der wirtschaftlich Berechtigten (vgl. hierzu die Abschnitte 3, 7 und 8 im Text).

Die OECD hat unterdessen unlängst einen eigenen Aktionsplan zur Bekämpfung von «Base Erosion and Profit Shifting» (BEPS), auf Deutsch: Aushöhlung der Bemessungsgrundlage und Gewinnverschiebung, vorgelegt, den sich die G20 auf ihrem Gipfel im September 2013 zu Eigen gemacht hat (vgl. Abschnitt 5). Dies wirkt sich unmittelbar auf die EU aus, da diese selbst ein Mitglied der G20 ist.

Also alles auf bestem Wege? Im Folgenden sollen die aktuellen Vorhaben zur Bekämpfung von (legaler) Steuervermeidung und (illegaler) Steuerhinterziehung auf der Ebene der EU vorgestellt und auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden. Zunächst werden die neueren Initiativen, mit denen erstmals die Steuervermeidung durch Konzerne angegangen wird, dargestellt und bewertet. Im Anschluss erfolgt eine Evaluierung der oft nicht mehr ganz neuen Ansätze zur Bekämpfung der «klassischen» Steuerhinterziehung mithilfe der Steueroasen.