Von der aktuell viel beschworenen Rückkehr der Klassenfrage ist in der deutschsprachigen Filmkritik nicht viel zu spüren. Klassenverhältnisse werden zwar benannt, wenn ein Film – etwa Bong Joon-Hos erfolgreicher Parasite – diese zum Thema macht. Eine systematische Auseinandersetzung mit der Repräsentation von Klassen in Filmen findet aber nur selten statt. Zugleich geht das Schreiben über Film häufig von einer vermeintlich allgemeingültigen ästhetischen Erfahrung aus, die Position der Schreibenden bleibt unmarkiert.
Dabei beeinflussen gerade solche Filme gesellschaftliche Vorstellungen von Klassenverhältnissen, die diese gar nicht ausdrücklich zum Thema machen. Zugleich gibt es keine neutrale Schreibposition, die nicht von persönlichen Erfahrungen und der eigenen gesellschaftlichen Position geprägt ist – und damit auch von der sozialen Herkunft. In ihrem Buch The Melancholia of Class zeigt die Autorin und Dichterin Cynthia Cruz an vielen Beispielen, dass Zuschauer*innen je nach Klassenperspektive gänzlich unterschiedliche Dinge im gleichen Film sehen können.
Ausgehend von diesen Beobachtungen veranstaltet die Woche der Kritik in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Schreibwerkstatt zur kommenden Berlinale 2025. Anhand des Film-Programms der Berlinale sowie der Woche der Kritik wollen wir gemeinsam die Möglichkeiten eines klassenbewussten Schreibens über Film ausloten. Folgende Leitfragen sind dabei zentral:
- Wie legitimieren oder kritisieren Filme bestehende Klassenverhältnisse? Welche Vorstellungen von Klassen und der Klassengesellschaft lassen sich in Filmen wiederfinden?
- Inwiefern greifen Filme auf klassistische Stereotype zurück oder können diese sichtbar machen?
- Welche ästhetischen Zugänge zum Thema Klasse finden sich in Filmen aus dem Berlinale-Programm und der Woche der Kritik wieder?
- Wie könnte ein «klassenbewusstes» Schreiben über Film aussehen, das sich der eigenen Position innerhalb einer Klassengesellschaft bewusst ist?
- Welche sozialen Codes müssen gelernt und bedient werden, um sich in einem kulturellen Raum wie der Berlinale bewegen zu können?
Die Teilnehmenden werden eigenständig Texte verfassen, teilweise zu vorher festgelegten Filmen des Programms von Berlinale und Woche der Kritik, teilweise zu selbst gewählten Themen. Die Texte werden professionell lektoriert und im Online-Magazin der Woche der Kritik veröffentlicht.
Die Werkstatt wird aus drei Teilen bestehen. In einem ersten Treffen am 5. Februar 2025 lernen wir uns als Gruppe kennen, diskutieren erste Texte und besprechen das weitere Vorgehen. Während der Berlinale wird es vier Redaktionssitzungen geben (am 12., 14., 17. und 19. Februar, jeweils von 10-14 Uhr), zwei dieser Sitzungen werden jeweils von einem Input eines Gasts eingeleitet. Nach der Berlinale wird es eine Nachbesprechung geben, die wir gemeinsam terminieren. Es ist außerdem gewünscht, dass die Teilnehmenden am 12. Februar gemeinsam die Auftaktkonferenz der Woche der Kritik zum Thema «Filmkultur und soziale Ungleichheit» (ab 18 Uhr in der Akademie der Künste) besuchen.
Voraussetzungen
Der Workshop ist auf 10 Teilnehmende beschränkt und richtet sich an alle, die bereits erste Erfahrungen mit dem Schreiben über Filme und/oder andere Kulturbereiche gesammelt haben und Interesse am Thema haben. Erfahrungen oder Expertise im Bereich der Filmkritik oder der Filmwissenschaft sind nicht nötig. Die Sprache für Inputs, Diskussionen und Texte ist deutsch, ein muttersprachliches Niveau ist aber keine Voraussetzung. Das Mindestalter für eine Teilnahme ist 18 Jahre, ansonsten sind alle Altersgruppen willkommen.
Die Teilnahmegebühr für den Workshop beträgt 70 Euro, damit den Teilnehmenden der Zugang zur Berlinale ermöglicht werden kann. Wer an dem Workshop teilnehmen möchte und diese Gebühr nicht bezahlen kann, kann sich trotzdem bewerben und wir werden gemeinsam eine Lösung finden.
Bewerbung
Wenn ihr interessiert seid, meldet euch bitte bis zum 17. Dezember 2024 unter till@wochederkritik.de mit einer kurzen Schreibprobe und einer Notiz über euch und eure Motivation: Warum möchtet ihr euch mit der Klassenperspektive im Schreiben beschäftigen? Welchen Bezug habt ihr zur Filmkultur? Was interessiert euch an der Schreibwerkstatt besonders?
Aufgrund der begrenzten Teilnehmer*innenzahl können wir nicht garantieren, dass alle Interessierten am Workshop teilnehmen können.
Eine Kooperation mit der «Woche der Kritik».
Erste Lektürehinweise:
- Cynthia Cruz: The Melancholia of Class. A Manifesto for the Working-Class.
- Drehli Robnik (Hg.).: Klassen sehen. Soziale Konflikte und ihre Szenarien (v.a. die Texte von Ruth Sonderegger und Jens Kastner)
- Francis Seeck/Brigitte Theißl (Hg.): Solidarisch gegen Klassismus.