Dokumentation Stadt, Prostitution, Vertreibung – Vom schwindenden Recht auf Straße für Sexarbeiterinnen

Dokumentation eines Tagesworkshops der RLS Hamburg in Kooperation mit ragazza. e.V.

Information

Veranstaltungsort

Kulturladen St. Georg
Alexanderstraße 16
20099 Hamburg

Zeit

02.12.2011

Mit

Referentinnen aus Linz (Maiz), Amsterdam (Tampep), Wien und verschiedenen Städten in Deutschland

Themenbereiche

Kapitalismusanalyse, Wirtschafts- / Sozialpolitik, Geschlechterverhältnisse, Ungleichheit / Soziale Kämpfe

Die aktuelle Politik um Sexarbeit zwischen Repression, Vertreibung und Vereinnahmung für städtische Aufwertungsprozesse diskutierten 70 Teilnehmer_innen in einem Tagesworkshop, den die RLS in Kooperation mit dem Hamburger Verein ragazza e.V am 2. Dezember 2011 im Kulturladen in Hamburg St. Georg veranstaltete. Einigkeit bestand für die Teilnehmenden darin, dass die Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit, die anderen Formen von Erwerbsarbeit gleichwertig ist, ein dringendes politisches Ziel bleibt. Dazu braucht es auch eine Kritik der sozialen Fragmentierung innerhalb der Gruppe der Sexarbeiter_innen.

Der Verkauf sexueller Dienste hat Geschichte. In ihm hat stets ein Ringen um ökonomische, rassifizierende Verhältnisse und Geschlechterverhältnisse, um Vorstellungen von Ordnung und Moral stattgefunden. Diese Konflikte fanden ihren Ausdruck in gesellschaftlichen Regulierungen und in stadträumlichen Ordnungen. Seit den selbstorganisierten Kämpfen der Hurenbewegung  in den 1980ern und aktuellen Positionsbestimmungen politischer Akteur_innen zeigen sich in Europa unterschiedliche Umgangsweisen mit Sexarbeit. Für eine – potentiell solidarische – Linke in Deutschland lässt sich heute jedoch ein weitgehendes Schweigen zu dem Thema feststellen. Mit dem Prostitutionsgesetz von 2002 wurde Prostitution zwar legalisiert und als Beruf anerkannt, gleichwohl bietet es nur für wenige Sexarbeiter_innen eine Absicherung und hat kaum Auswirkungen auf eine gesellschaftliche Anerkennung der Arbeit gehabt.

„Bislang wurden jedoch [mit dem Prostitutionsgesetz] keine großen Erfolge verzeichnet, weil einerseits die dichotomen Gegenüberstellungen von Selbstbestimmung, Freiwilligkeit, positiver und negativer Freiheit versus Abhängigkeit, Zwang und sexuelle Ausbeutung der Komplexität von Prostitution nicht gerecht werden und andererseits die Verschränkungen verschiedener Gesetzgebungen zu neuer Marginalisierung führt. Es ist erforderlich, die Heterogenität der Sexarbeit aufzuzeigen und auch die Marginalisierten entlang der Achse des Prostitutionsgesetzes sichtbar zu machen.“

Im Rahmen von städtischen Aufwertungs- und Gentrifizierungsprozessen wird der Straßenstrich nach wie vor als „Schmuddel-Ecke“ betrachtet und mit repressiven Maßnahmen zu verdrängen versucht. Als Alternative hierzu stellt eine stabilisierende rechtliche Rahmung der Sexarbeit eine notwendige Basis dar, auf der  dann weitere Forderungen formuliert und umgesetzt werden müssen, soll Sexarbeit ein Gewerbe werden, in dem abgesicherte Arbeitsbedingungen bestehen. 70 Teilnehmer_innen diskutierten diese Zusammenhänge im Rahmen des Tagesworkshops „Stadt, Prostitution, Vertreibung“, den die Rosa-Luxemburg-Stiftung im Rahmen des Hamburger Projekts „Prekarisierung und kollektive Organisierung“ zusammen mit der Einrichtung ragazza am 2.Dezember 2011 im Kulturladen St. Georg veranstaltete. Die lokalen Bestandsaufnahmen zu Situationen und Strategien der Sexarbeiter_innen und ihren Unterstützer_innen zeigten, dass diese Perspektive gesicherter Arbeitsverhältnisse für Sexarbeiter_innen derzeit in vielen europäischen Städten durch einen Trend zu repressiver staatlicher Politik und medienträchtiger Skandalisierung konterkariert wird.

Anlass für den Workshop war, dass sich Sexarbeiter_innen in St. Georg und damit auch die Einrichtungen, die sie unterstützen, derzeit mit einem städtischen Aufwertungsdruck konfrontiert sehen, unter dem das Viertel St. Georg seit Jahren steht. Im Rahmen dieser Entwicklung wurde im letzten Jahr die Repression gegen Sexarbeit massiv verstärkt. Ein weiterer Grund dafür, die aktuelle Situation in St. Georg zum Ausgangspunkt eines internationalen Workshops zu machen, war das 20jährige Bestehen der Einrichtung ragazza, die Angebote und politische Unterstützung für drogengebrauchende Sexarbeiterinnen in Hamburg St. Georg bietet.

Sexarbeit wird in St. Georg seit 1980 über eine Sperrgebietsverordnung reguliert, welche es untersagt, innerhalb der darin aufgeführten Gebiete „auf öffentlichen Straßen, Wegen, Plätzen und Anlagen sowie an sonstigen Orten, die von dort aus eingesehen werden können“ der Prostitution nachzugehen. Eine neue interne Anordnung der Polizei in St. Georg hat es sich seit Anfang des Jahres 2011 zum Ziel gesetzt, diese Sperrgebietsverordnung schärfer umzusetzen. Letztlich steht die Verdrängung des Straßenstrichs als Teil der Prozesse der Stadtteilaufwertung an; das Mittel hierfür sind Bußgelder über mehrere hundert Euro. Zudem ist das Viertel als Gefahrengebiet ausgerufen. Dies  ermöglicht es der Exekutive, Aufenthaltsverbote oder Ingewahrsamnahmen zu verhängen – dieses Mittel der Repression wird dabei vorzugsweise auf drogengebrauchende Sexarbeiterinnen angewandt. Effekt dieser Politik ist eine Potenzierung der Prekarität von Sexarbeit in mehrerer Hinsicht: Durch den Druck, klandestiner zu arbeiten, werden weniger Kunden erreicht und somit weniger Einkommen erzielt. Gleichzeitig müssen steigende Ausgaben, die durch die hohen Bußgelder und im Zuge der Aufwertung teurer werdende Hotels entstehen, ausgeglichen werden. Auf diese Weise verschwindet nicht die Sexarbeit, aber die Möglichkeit, selbstbestimmt über Arbeitsorte und -zeiten, Kunden und Praktiken zu entscheiden. Auf dem Rücken einer prekären Arbeiter_innenschaft wird hier eine Stadtpolitik durchgesetzt, die Gewerbe, Tourismus und Wohnen nach bürgerlichen Ansprüchen bereitstellen will. Politische Durchsetzungsmacht wird ebenso repressiv wie diskursiv bewiesen. Dagegen stehen Widerstände der Sexarbeiter_innen, die sich durch Kommunikation untereinander, die Inanspruchnahme juristischer Mittel und einen langen Atem ihre Arbeitsplätze und Möglichkeiten erhalten und immer wieder erkämpfen.  

Auf dem Workshop zeigten rund 70 Teilnehmende – 90% Frauen, etwa Zweidrittel der Anwesenden war unter Dreißig – ein Interesse an der vertieften thematischen Auseinanderzusetzung mit diesen Zusammenhängen. Studierende, Mitarbeiter_innen aus sozialen oder wissenschaftlichen Einrichtungen und Aktivist_innen fanden sich ein, um Positionen zu Sexarbeit und Handlungsperspektiven gegen Vertreibungspolitiken zu diskutieren. Der Vormittag war in Form von Vorträgen und Diskussionen im Plenum organisiert, am Nachmittag fanden drei Workshops parallel statt. Im Abschlusspodium wurden noch einmal die politischen, juristischen und sozialen Perspektiven zusammengefasst, die für Sexarbeiter_innen bestehen, sowie die Frage möglicher Formen der Solidarität mit ihnen und der notwendigen Bündnisse diskutiert.

 

Der Workshop ist in zwei Teilen dokumentiert:

Teil 1: Workshopbericht und Zusammenfassung der Beiträge

Teil 2: Dokumentation der einzelnen Vorträge und Parallelworkshops

(Dokumentation: Stella Gaertner, Tina Habermann, Iris Nowak)

 

Programmablauf:

10.00  Begrüßung

10.15 - 11.30 Inputs mit Diskussion

 I. „Konfliktlinien um Sexarbeit in St. Georg. Die überflüssigen, verworfenen, gefährlichen Subalternen & der alltägliche Rassismus“,, Kathrin Schrader (TU Harburg)

II. Links-feministische Perspektiven und Aktionsformen in St. Georg, Bündnis „Recht auf Straße“ (Hamburg)

11.45 – 12.45 Inputs mit Diskussion

 I. Konflikte um Sexarbeit global betrachtet, Jenny Künkel (Uni Frankfurt)

II. Straßenprostitution und Nachbarschaften - Konfliktlinien und Lösungsansätze – Ergebnisse einer Akteursanalyse auf dem Berliner Straßenstrich, Christiane Howe (TU Berlin)

14.00 – 16.15 Parallele Gruppen

Gruppe 1: Sexarbeit, Migration und Rassismus: Migrantische Sexarbeiterinnen in Linz und Hamburg. Mit Gergana Schrenk (Maiz, Linz), Katharina Hille (indoors Hamburg), Sonja Obermüller (ragazza)

Gruppe 2: Gentrifizierung und Sexarbeit - Amsterdam und Hamburg - St. Georg im Vergleich. Mit Licia Brussa (Tampep, Amsterdam), Cora Funk und Michaela Neumann (La Strada, Hannover), Claudia Lange (ragazza, Hamburg)

Gruppe 3: Grenzen und Möglichkeiten der politischen (Lobby)Arbeit im Kontext der Sexarbeit. Mit Simone Kellerhof (Hydra, Berlin), Kirsten Cordes (Beratungsstelle Kober, Dortmund), Gudrun Greb (ragazza)

16.30 – 18.00 Abschlussdiskussion

Was sind (zukünftige) Perspektiven für Sexarbeiterinnen? Was heißt das für die, die sie unterstützen?  Mit Gergana Schrenk (Maiz, Linz), Licia Brussa (Tampep, Amsterdam), Jenny Künkel (Uni Frankfurt), Gudrun Greb (ragazza, Hamburg)