Dokumentation Nachhaltigkeit als Forderung für die Wissenschaftsentwicklung

VIII. Interdisziplinäres Gespräch in Dahlen

Information

Veranstaltungsort

Käthe-Kollwitz-Hütte
Holzstr./Belgerner Str.
04774 Dahlen

Zeit

10.05.2002 - 12.05.2002

Mit

Prof. Dr. Kurt Reiprich, Prof. Dr. Rudolf Rochhausen, Dr. sc. Hans-Gert Gräbe ua.

Themenbereiche

Demokratischer Sozialismus

Unter diesem Thema fragen wir nach jenen Forderungen an Forschung und Lehre, welche Offenheit für den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt und soziale Verantwortung von Naturwissenschaft und Technik ermöglichen.

Eine Veranstaltung des Rohrbacher Kreises der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin

Programm

Freitag, 3.5.2002

 

16 - 18.30 Uhr


Vortrag:
Rudolf Rochhausen
Vorsitzender des Rohrbacher Kreises


Die Diskussion über die anwendungsorientierte Ethik und die Wissenschaftsentwicklung
 


Vortrag:
Eva Lehmann


Überlegungen zum Verhältnis von Ethik und Freiheit der wissenschaftlichen Forschung

  


Diskussion


20 Uhr


Rolf H. Rupp


Kinder malen Puschkin

 

Sonnabend, 4.5.2002

 


ab 8 Uhr


Vorträge und Diskussion

 
 


Ruth Milachowski


Globaler Wandel und die Herausforderungen an die Forschung
 


Herbert Hörz


Über die Einheit des naturwissenschaftlichen Weltbildes
 


Reinhold Krampitz


Tendenzen moderner Technikentwicklung
  
Gemeinsamer Spaziergang
  
Abendveranstaltung

 

Sonntag, 5.5.2002

 

8 bis 12 Uhr


Vortrag:
Rolf Löther


Genetik und ihre Anwendung
  
Diskussion über Gentechnologie mit Mitgliedern des Arbeitskreises Jugend und Zukunft der PDS-Fraktion des Sächsischen Landtages
   
   

Kommentar zum Programm des IX. interdisziplinären Gesprächs: Nachhaltigkeit als Forderung für die Wissenschaftsentwicklung

Unter Nachhaltigkeit versteht man nach dem Brundtland-Bericht von 1987 als Ziel unseres Handelns eine Entwicklung, welche die Bedürfnisse der heutigen Generation befriedigt, ohne die der kommenden Generationen zu beeinträchtigen. Die Bedürfnisse werden dabei als gleichrangige Einheit von ökologischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungsbedingungen aufgefasst. In der Literatur werden diese drei Säulen um Organisationsformen politischen Handelns erweitert. Zeitlich orientiert Nachhaltigkeit auf intergenerationelle Verantwortung, räumlich auf Handeln in einer globalisierten Welt.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts fasste man Nachhaltigkeit, als Teil einer forstwirtschaftlichen Konzeption, in einem viel engeren Sinne auf: Nur so viele Bäume durften in einem Areal gefällt werden, wie in einer bestimmten Zeit Wiederaufforstung gewährleistet ist.

Betrachtet man diese beiden Auffassungen von Nachhaltigkeit, so fallen folgende erkenntnismäßigen Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf: Es handelt sich in beiden Fällen um Modelle, für welche Ausgangs- und Randbedingungen zu definieren sind.

Das forstwirtschaftliche Modell ist hinsichtlich der Ausgangs- und Randbedingungen begrenzt und damit zumindest einigermaßen exakt optimierbar. Das globale Modell der Nachhaltigkeit ist höchstens in einem nicht genau fixierbaren Lernprozess optimierbar.

Für die Anwendung der Modellmethode bei komplexen probabilistischen Systemen gilt, was Bechmann/Gloede in ihrem Aufsatz „Erkennen und Anerkennen“ hervorheben: Es sind notwendige Versuche, globale, dynamische und zugleich probabilistische Systeme zu entwerfen, die für das heutige und künftige Handeln strategische Orientierung geben. Sie sind notwendig, wenn wir heute den Anforderungen an die Zukunft gerecht werden wollen. Allerdings umfassen diese Modelle deskriptive Aussagen und Sollsätze (wirtschaftliche, soziale, ethische und politische Wertungen). Sie beziehen sich auf Prozesse, welche möglicherweise an uns heute noch nicht bekannten Bifurkationspunkten eine unerwartete Richtung annehmen können. Genau deshalb sind alle Nachhaltigkeitsüberlegungen für die Zukunft offen. Dieser Sachverhalt hat zur Folge, dass einerseits Nachhaltigkeitsmodelle relativ stark auf definierte Teilobjekte reduziert werden. Dies ist als Teil eines Lernprozesses notwendig, kann jedoch globales Denken nicht ersetzen. Andererseits müssen wegen ihrer Komplexität, Dynamik und Probabilistik globale Nachhaltigkeitsmodelle zumindest genauer als dies meistens geschieht, den Unterschied zwischen verwendeten Decissionen und Deskriptionen sowie die angewendeten Modellverfahren angeben.

Für das IX. interdisziplinäre Gespräch „Nachhaltigkeit als Forderung für die Wissenschaftsentwicklung“ wird deshalb zunächst eine Beschreibung des Istzustands der Erkenntnisentwicklung von Natur- und technischen Wissenschaften angestrebt. Daraus kann vielleicht an einigen Punkten abgeleitet werden, welche Trends aus dem gegenwärtigen Zustand zu extrapolieren sind.

Auf dieser Grundlage ist zu fragen, welche Entwicklungen ökonomisch, sozial und ethisch wünschbar sind und welche Konsequenzen sich daraus für politische Programme ergeben.

Nachhaltigkeit ist eine Zielvorstellung für unser ökologisches, ökonomisches und soziales Handeln, das auf der Überzeugung beruht, dass wir Menschen nicht Objekte sondern entscheidungsfähige aktive Subjekte unserer eigenen Geschichte sind. Auf dieser Überzeugung beruht unser Verständnis von Nachhaltigkeit als Herausforderung an unsere Bildung.

Inhalt und Form der Bildung sind durch widersprüchliche Ausgangsbedingungen gekennzeichnet:

a) Ökologische, soziale, wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Entwicklungsprobleme vollziehen sich unter prinzipiell neuen raum-zeitlichen Bedingungen. Sie entwickeln sich in einem widersprüchlichen Geflecht von globalen und regionalen natürlichen und gesellschaftlichen Bedingungen, in welchen die weltwirtschaftlich stärksten Industrieländer immer stärker dominieren. Im Unterschied zu früheren Epochen verläuft dieser historische Prozess außerordentlich schnell, woraus besondere Schwierigkeiten für die Regulierung sozialer, ökologischer, ökonomischer, wissenschaftlicher und kultureller Prozesse entstehen. Diese neuen Probleme des weltgeschichtlichen Prozesses drängen zu raumzeitlich nachhaltigen Lösungskonzepten. Nachhaltigkeit setzt dabei voraus: Lösungskonzepte, welche sich einerseits nicht voraussehbaren Entwicklungen anzupassen vermögen, andererseits nach Stabilitätsbedingungen im historischen Prozess suchen.

b) Die moderne Wissenschaftsentwicklung basiert auf einem neuen Rationalitätsparadigma: Der Überzeugung von der Fähigkeit des Menschen durch ein System der wissenschaftlichen Erkenntnis natürliche und soziale Prozesse zu erkennen und zu manipulieren. Dieses Paradigma ist nach zwei Problemen zu hinterfragen: Auf welchen theoretischen und methodischen beruht es, worauf gründet sich seine Leistungsfähigkeit? Gilt es unbegrenzt und welche Gefahren resultieren aus der unkritischen Akzeptanz desselben?