Dokumentation "Die Nation beerdigen ..."

Ein Symposium zu Heiner Müllers GERMANIA 1-3

Information

Veranstaltungsort

Jüdisches Museum Berlin, Auditorium
Lindenstraße 9-14
10969 Berlin

Zeit

09.11.2002

Themenbereiche

Kultur / Medien, Kunst / Performance

veranstaltet von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Zusammenarbeit mit der

Internationalen Heiner Müller Gesellschaft.

Übertragung der Konferenz im offenen Kanal

Sendetermine:

die am 09.11.02 aufgezeichnete Veranstaltung "Die Nation beerdigen... Ein Symposium zu Heiner Müllers GERMANIA 1-3" soll im Fernsehen gesendet werden am:

15.11.02, 21:00 Uhr

12.12.02, 21:00 Uhr (Wdh.)

und im Radio:

19.11.02, ab 03:00 Uhr

16.12.02, ab 03:00 Uhr

Im Berliner Ensemble treten zwei Totengräber vor den Vorhang und sehen

sich das ruhmreiche Theater an, die goldenen Operettenengel und den roten

Samt, den von Brecht durchgestrichenen preußischen Adler über der Hofloge

und den unvermeidlichen Schild über der Loge der Arbeiterregierung. Erfreut

stellen sie fest, dass sie am rechten Ort sind: Das Mausoleum des deutschen

Sozialismus. Hier liegt er begraben. Das Stück aber, dessen Aufführung mit

dieser Szene begann, heißt Germania 3. Gespenster am Toten Mann, und es

arbeitet an der Beerdigung der deutschen Nation.

Die DDR sollte die Nation in eine sozialistische Zukunft führen; nach der

Lüge des National-Sozialismus die wahre Wahrheit: eine Illusion, die Folge

der Preisgabe des Internationalismus. Der Sozialismus in einem Land war es

gewesen, der sich einmauern musste, die eigene Bevölkerung kolonisieren,

insgeheim Freundschaft schließen von Woschd zu Woschd, Führer zu Führer,

und dann auch ganz offen die Internationale liquidieren, Rangabzeichen hervorholen

und vaterländischen Krieg führen. Aber von der Sowjetunion lernen

hieß siegen lernen.

Die Sieger der Geschichte starben langsam. Die euphemistische Bezeichnung

Stagnation war steigerungsfähig: real existierender Sozialismus war

der im unbewussten Gefühl der Unzulänglichkeit selbst gewählte Name.

Nach der Rückkehr in die kapitalistische Realität ist die Losung: Vom Resozismus

lernen heißt untergehen lernen.

Nächster Untergang ist der der Nationen in globalen Wirtschaften. Aber nach

deutschem Recht ist es immer noch eine Blutgrenze, die den Körper der

Nation vom Rest der Menschheit trennt. Täter und Opfer der Grenze sind

gefährliche Wiedergänger. Die Beerdigung ist die naheliegende Aufgabe. Das

Grab erst macht den glücklichen Satz möglich: Ich war ein Deutscher.

Übernächster Untergang soll der des egoistischen Wirtschaftens sein: die

Menschheit regelt ihren Stoffwechsel mit der Natur gemeinschaftlich. Die

Beerdigung der Nation ist die Voraussetzung der Gattungsutopie.

Aber Beerdigung ist eine unendliche Aufgabe: Damit etwas kommt, muss

etwas gehen.

Programm

I

10 bis 11.30 Uhr

Playstation Cordoba. Yugoslavia. Afghanistan. Ein Kriegsmodell

Klaus Theweleit, Schriftsteller (Freiburg)

12 bis 13 Uhr

»Germania« lesen

Christine Gloger, Schauspielerin (Berlin)

und B. K. Tragelehn, Schriftsteller und Regisseur (Berlin)

Mittagspause


II

14 bis 15.30 Uhr

»Germania« inszenieren

Gesprächsrunde mit Jean Jourdheuil, Autor, Regisseur, Übersetzer (Paris); Frank-Patrick Steckel, Regisseur (Berlin); B. K. Tragelehn, Schriftsteller und Regisseur (Berlin); Moderation: Stefan Schnabel, Dramaturg (Berlin/Bonn)

15.30 bis 17 Uhr

Totenreich Deutschland. Müller vergessen: Das Theater der Auferstehung

Günther Heeg, Theaterwissenschaftler (Frankfurt/M.)

Biopolitik und Potentialität. Zu Heiner Müllers Poetik der Zäsur

Nikolaus Müller-Schöll, Literatur- und Theaterwissenschaftler (Frankfurt/M., Paris)

III

17.30 bis 19 Uhr

»Die Nation beerdigen ...«

Klaus Heinrich, Religionswissenschaftler, Philosoph, Psychoanalytiker (Berlin) und Peter Kammerer, Soziologe (Urbino) im Gespräch

Abendimbiss


IV

20 bis 22 Uhr

»... der Zukunft zugewandt ...«

Gesprächsrunde mit Dirk Baecker, Soziologe (Düsseldorf); Gregor Gysi, Jurist (Berlin); Joseph Vogl, Literaturwissenschaftler (Berlin); K. D. Wolff, Verleger (Frankfurt/M.); Moderation: Lothar Müller, Publizist (Berlin)

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