Dokumentation Eine andere Welt ist möglich – Nachlese zum Weltsozialforum Porto Alegre 2005

TeilnehmerInnen aus der RLS-Delegation werden über ihre Eindrücke und Erkenntnisse berichten und die auf der Veranstaltung im Vorfeld des WSF begonnene Diskussion zu Perspektiven des Forums fortsetzen.

Information

Veranstaltungsort

Museum der Arbeit
Wiesendamm 3
22305 Hamburg

Zeit

10.02.2005

Themenbereiche

Soziale Bewegungen / Organisierung

Das Weltsozialforum in Porto Alegre ist vorbei – welche Ergebnisse brachte es?

Wie auch in den vergangenen Jahren trafen sich AktivistInnen der verschiedenen globalisierungskritischen Bewegungen, um ihre Kämpfe und Projekte vorzustellen sowie Erfahrungen und Ansichten auszutauschen. Gleichfalls, und auch dies gehört schon dazu, steht das Forum auch unter Kritik verschiedener Seiten. Die Erwartungen und Ansprüche sind vielfältig wie die Bewegungen selbst.

Wie sind diese Erwartungen erfüllt worden? Was waren besondere Höhepunkte des Forums? Welche Verabredungen wurden im Forumskontext getroffen? Welche neuen Debatten gab es? Gab es neue Impulse für die Vernetzung sozialer Bewegungen?

TeilnehmerInnen aus der Delegation der Rosa-Luxemburg-Stiftung berichteten über ihre Eindrücke, Diskussionen und Erkenntnisse und setzten die auf der Veranstaltung im Vorfeld des Forums begonnene Diskussion zu den Perspektiven des WSF fort.

Einführend fasste der Moderator das Presseecho zum WSF in Deutschland dahingehend zusammen, dass einerseits eine gewisse Krise oder Orientierungsunsicherheit des WSF konstatiert wurde, andererseits aber im Laufe des WSF auf einen Abgesang auf das Sozialforum  verzichtet wurde. Positiv wurde gelegentlich die Vielfalt, kritisch eine Beliebigkeit sowie insbesondere der Auftritt von Hugo Chavéz kommentiert.

Anschließend kommentierte Christiane Schulte, RLS-Teilnehmerin am WSF, eine gut 100 Bilder umfassende, von Cornelia Hildebrandt zusammengestellte Fotostrecke zum WSF, die einige Impressionen von Stimmung und Zusammensetzung des WSF vermittelte. Andreas Trunschke, ehemaliger PDS-MdL aus Brandenburg, verglich in seinem Einführungsbeitrag die Weltsozialforen 2004 in Mumbay (Bombay) und 2005 in Porto Alegre, wobei er mit einer Ausnahme (der Sprachbarriere, die für ihn und viele andere TeilnehmerInnen in Indien wegen der Dominanz des Englischen geringer gewesen sein) das jüngste WSF deutlich positiver bewertete. So sei in Porto Alegre das WSF z.B. stärker in die Stadt integriert gewesen als in Mumbay. In Bezug auf sein inhaltliches Hauptfeld in den Weltsozialforen, partizipativen Haushalts- und generell Beteiligungsmodellen, sei konkreter diskutiert und ein höherer Vernetzungsgrad erreicht worden. Europa sei in diesen Fragen eher ein Schwellen- denn ein entwickeltes Land, doch entwickele sich auch hier unter dem Eindruck brasilianischer und anderer Beispiele etwas.

Christiane Schulte gab einen Überblick über die zahlreichen Initiativen und Bewegungen, die in Porto Alegre vertreten waren. Neben analytischen Seminaren hob sie besonders auf die Vernetzungsfunktionen des WSF ab, die sowohl in zentralen Treffen der sozialen Bewegungen als auch in vielen kleineren, thematisch zugeschnittenen Formen (v.a. im Kampf gegen Freihandelszonen, aber auch gegen Privatisierungen, etwa der Wasserversorgung, im Einsatz für einen umfassenden Schuldenerlass, der gleichzeitig die anders gearteten Schulden der ehemaligen Kolonialmächte und heutigen ökonomisch dominierenden Staaten berücksichtigen müsse, usw.) ihren Niederschlag fand. Ihrem positiven Eindruck von der Vitalität des WSF stimmte auch Erhard Crome (RLS) zu, der an der Koordinierung dieses WSF beteiligt war. Das WSF habe nicht an Kraft eingebüßt, es sei vielmehr weiter gewachsen. Im Unterschied zum WSF in Porto Alegre 2003 seien diesmal  zentrale Großveranstaltungen und Prominente weniger prägend gewesen. Das WSF befinde sich in einem ständigen Spagat – einerseits ein offener Raum zu sein, ohne verbindliche Erklärungen, Ein- und Ausschlüsse, andererseits dem Bedürfnis Rechnung tragen zu wollen, Verbindendes, Bündelung, auch Aktivierung  zu schaffen.

Für 2006 sind zeitlich abgestimmte, aber regional dezentralisierte Weltsozialforen geplant, 2007 soll es dann in Afrika wieder ein zentrales WSF geben. Eine Rolle während des WSF spielte natürlich die Ernüchterung vieler politischer Aktiver über die Entwicklung der „Lula“-Regierung in Brasilien. Lulas Vorschlag, ein Treffen zwischen WSF-VertreterInnen und OrganisatorInnen des Weltwirtschaftsforums von Davos abzuhalten, spielte in der weiteren Debatte eine Rolle, ohne dass die TeilnehmerInnen der RLS-Abendveranstaltung eine klare Ablehnung oder Unterstützung formulierten. Von den TeilnehmerInnen wurden zahlreiche Nachfragen u.a. zur Beteiligung deutscher, osteuropäischer, nordamerikanischer und anderer Gruppen und Einzelpersonen am WSF, zum „partizipativen Haushalt“, zur Rolle Kubas im WSF gestellt. Kritisch diskutiert wurde u.a. die Frage, ob das WSF schon zu stark institutionalisiert sei, ob nicht das Jugendcamp mit seiner geringen Institutionalisierung oder größeren methodischen Offenheit innovativer sei.

Seitens der RLS wurde abschließend auf das Sozialforum in Deutschland, dass vom 21. bis zum 24. Juli in Erfurt stattfinden soll, sowie auf den europäischen Aktionstag am 19. März hingewiesen. Die RLS versteht sich in solchen Foren, Prozessen und Bewegungen als Akteurin, aber auch als Mittlerin, die ohne Dominanzanspruch die Breiten emanzipatorischer Impulse bildungsseitig begleiten und nach Möglichkeit zu ihrer Verknüpfung beitragen will. Aktivitäten zum WSF und ESF haben dabei einen zentralen Platz, es gibt aber auch andere Foren linker Analyse und Vernetzung von Gruppen, die sich nur zum Teil im WSF-/ESF-Prozess aufgehoben fühlen. „Die“ einheitliche, alles umfassende Bewegung wird es kaum geben, und das muss nicht unbedingt ein Nachteil sein. Der Umgang mit Widersprüchen, auch innerlinken, ist in einer widersprüchlichen Welt eine zentrale Aufgabe linker politischer Bildung.    

>>Dokumentation der RLS-Aktivitäten auf dem WSF