Dokumentation "Bürger, ohne Arbeit"

Wolfgang Engler stellt sein Konzept radikaler Neugestaltung der Gesellschaft vor. Mit seinem breit diskutierten Buch „Bürger, ohne Arbeit“ greift er in die öffentliche Debatte über Arbeitslosigkeit, Reformpolitik und die Zukunft des Sozialstaats ein.

Information

Zeit

02.06.2005

Mit

Wolfgang Engler, Autor des Buches

Themenbereiche

Ungleichheit / Soziale Kämpfe, Demokratischer Sozialismus

Mit seinem unlängst veröffentlichten Buch „Bürger, ohne Arbeit“ greift Wolfgang Engler in die öffentliche Debatte über Arbeitslosigkeit, Reformpolitik und die Zukunft des Sozialstaats ein. Er diagnostiziert das Ende des arbeitsgesellschaftlichen Integrationsmodus: Immer weniger Menschen können ihr Leben auf Erwerbsarbeit aufbauen. Die gängigen Rezepte neoliberaler Ideologie und Politik – Lohn- und Gehaltsabsenkung, Verlängerung der Arbeitszeit, verstärkter Druck auf Arbeitslose, Verringerung von Sozialleistungen, Privatisierung der Sozialsysteme – weisen keinen Ausweg und sind mit Ansprüchen sozialer Gerechtigkeit unvereinbar. Engler plädiert für eine radikale Neugestaltung der Gesellschaft, die den Bürger vom Arbeiter emanzipiert, über das Bürgergeld sozial absichert und Sinnbezüge außerhalb der sich verengenden Arbeitssphäre entwickelt. „Bürger, ohne Arbeit“ wird breit diskutiert, Besprechungen erschienen u.a. in der taz (17.03.2005, Robert Misik), der Wochenzeitung Die Zeit (15/2005, Warnfried Dettling), der Süddeutschen Zeitung (16.03.2005, Jens Bisky) und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (16.03.2005, Christian Geyer).

Wolfgang Engler – Jg. 1952, Studium der Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin, Promotion zum Dr. phil. 1980 mit einer Analyse der philosophisch-ökonomischen Begrifflichkeit bei Marx, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR, Promotion zum Dr. sc. 1989 mit einer Studie zur Geschichte der Wissenssoziologie. Seit 1981 Lehrtätigkeit an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin, jetzt dort Professor für Kultursoziologie und Ästhetik. Zahlreiche Publikationen (u.a. Blätter für deutsche und internationale Politik, Süddeutsche Zeitung, taz, Die Zeit, Berliner Zeitung) zur DDR-Gesellschaft, zum Wandel von Demokratie, Politik und Öffentlichkeit in der Moderne, zu Entwicklungsproblemen und Perspektiven der Industriegesellschaft. Letzte Buchveröffentlichungen: „Die Ostdeutschen. Kunde von einem verlorenen Land“ (1999), „Die Ostdeutschen als Avantgarde“ (2002).

„Bürger, ohne Arbeit“ ist im Aufbau-Verlag erschienen, mit dem die RLS bei der Durchführung der Veranstaltung kooperiert.

Bericht zur Veranstaltung

Wolfgang Engler konzentrierte sich in seiner Einführung vor allem auf den Begriff der Gleichheit als zentralem Orientierungspunkt alternativer Politik. Dieser Begriff sei durch die staatssozialistische Praxis vielfach diskreditiert, aber dennoch notwendig. „Chancengleichheit“ oder „Fairness“ stellten keine ausreichenden Ansätze dar. Ernster zu nehmen seien Argumente von Ulrich Beck oder John Rawls, die Ungleichheit solange für akzeptabel hielten, wie alle Gruppen einer Gesellschaft von einer Verbesserung profitierten. Dieser Ansatz habe in Zeiten der Wachstumsökonomie eine gewisse Überzeugungskraft, selbst in solchen Phasen bestehe aber die Gefahr, dass die Erfahrungswelten und Kontakte unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen so weit auseinanderklafften, dass ein Zusammenhalt demokratischer Gemeinwesen gefährdet sei. In Zeiten ökonomischer Krisen könne von einem umfassenden „Fahrstuhleffekt“ ohnehin nicht mehr ausgegangen werden.

Gerade Länder wie Deutschland erleben laut Engler ein Anwachsen der Ungleichheit und einer „sozialen Vererbung“. Dies sei sowohl gesamtgesellschaftlich gefährlich, weil es Zerfallserscheinungen verstärke, als auch individuell inakzeptabel, weil Gleichheit (oder Ähnlichkeit) als Grundlage für die freie Entfaltung, die Würde des Einzelnen und damit die Grundlage von Demokratie in Frage gestellt seien.

Für Engler sind die skandinavischen Gesellschaften ein positiver Orientierungspunkt. Deutschland befinde sich hingegen in einem „selbstverschuldeten Entwicklungsrückstand“. Internationale Vergleichsuntersuchungen zeigten, dass ein positiver Zusammenhang zwischen einem aktiven Staat und einer starken Zivilgesellschaft bestehe, da ein Rückzug des Staates die Infrastruktur der Zivilgesellschaft beschädige und in einer sehr ungleichen Gesellschaft die Menschen buchstäblich in anderen Welten lebten.

Wenn auch eine rigide Gleichheit als Gleichförmigkeit im Sinne eines „rohen Kommunismus“ nicht wünschenswert sei, so sei doch eine „Gesellschaft der Ähnlichen“, die Differenzen anerkenne, nicht aber extreme Ungleichheit, notwendig und wünschenswert.

In der Diskussion der insgesamt über 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer ging es u.a. um eine Neuorientierung von Sozialstaatlichkeit weg von einer Bismarckschen Variante und hin zu einer steuerfinanzierten, von Arbeit entkoppelten Grundsicherung. Diese Grundsicherung, die für Engler deutlich von neoliberalen Modellen des Bürgergeldes o.ä. zu unterschieden sei, richte sich einerseits radikal gegen das kapitalistische, arbeitszentrierte System, können gleichzeitig aber auch systemerhaltend und systemnotwendig sein, um den Konsum zu erhalten. Weitere Aspekte in der Diskussion waren das Mensch-Natur-Verhältnis, die globale Dimension von Konsum, Existenzsicherung und Arbeit sowie die Frage, welche Akteure den Wandel befördern könnten. Auf kurze Zeit konnte Engler dabei wenig Anlass zu Optimismus bieten, doch längerfristig hielt er sowohl die Widerständigkeit vieler Menschen als auch die internen Widersprüche des neoliberalen Systems für groß genug, um radikale Veränderungen zumindest für möglich zu halten.

Texte und Rezensionen

Wolfgang Engler: Keine Zukunft ohne Bürgergeld, in: Berliner Zeitung vom 16.04.2005

Wolfgang Engler: Die Entmündigung des Bürgers, in: Berliner Zeitung vom 19.02.2005

Warnfried Dettling: Die Politik der Würde, in: Die Zeit 15/2005

Robert Misik: Frei und Spaß dabei, in: taz vom 17.03.2005Mit seinem unlängst veröffentlichten Buch „Bürger, ohne Arbeit“ greift Wolfgang Engler in die öffentliche Debatte über Arbeitslosigkeit, Reformpolitik und die Zukunft des Sozialstaats ein. Er diagnostiziert das Ende des arbeitsgesellschaftlichen Integrationsmodus: Immer weniger Menschen können ihr Leben auf Erwerbsarbeit aufbauen. Die gängigen Rezepte neoliberaler Ideologie und Politik – Lohn- und Gehaltsabsenkung, Verlängerung der Arbeitszeit, verstärkter Druck auf Arbeitslose, Verringerung von Sozialleistungen, Privatisierung der Sozialsysteme – weisen keinen Ausweg und sind mit Ansprüchen sozialer Gerechtigkeit unvereinbar. Engler plädiert für eine radikale Neugestaltung der Gesellschaft, die den Bürger vom Arbeiter emanzipiert, über das Bürgergeld sozial absichert und Sinnbezüge außerhalb der sich verengenden Arbeitssphäre entwickelt. „Bürger, ohne Arbeit“ wird breit diskutiert, Besprechungen erschienen u.a. in der taz (17.03.2005, Robert Misik), der Wochenzeitung Die Zeit (15/2005, Warnfried Dettling), der Süddeutschen Zeitung (16.03.2005, Jens Bisky) und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (16.03.2005, Christian Geyer).

Wolfgang Engler – Jg. 1952, Studium der Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin, Promotion zum Dr. phil. 1980 mit einer Analyse der philosophisch-ökonomischen Begrifflichkeit bei Marx, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR, Promotion zum Dr. sc. 1989 mit einer Studie zur Geschichte der Wissenssoziologie. Seit 1981 Lehrtätigkeit an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin, jetzt dort Professor für Kultursoziologie und Ästhetik. Zahlreiche Publikationen (u.a. Blätter für deutsche und internationale Politik, Süddeutsche Zeitung, taz, Die Zeit, Berliner Zeitung) zur DDR-Gesellschaft, zum Wandel von Demokratie, Politik und Öffentlichkeit in der Moderne, zu Entwicklungsproblemen und Perspektiven der Industriegesellschaft. Letzte Buchveröffentlichungen: „Die Ostdeutschen. Kunde von einem verlorenen Land“ (1999), „Die Ostdeutschen als Avantgarde“ (2002).

„Bürger, ohne Arbeit“ ist im Aufbau-Verlag erschienen, mit dem die RLS bei der Durchführung der Veranstaltung kooperiert.

Texte und Rezensionen

Wolfgang Engler: Keine Zukunft ohne Bürgergeld, in: Berliner Zeitung vom 16.04.2005

Wolfgang Engler: Die Entmündigung des Bürgers, in: Berliner Zeitung vom 19.02.2005

Warnfried Dettling: Die Politik der Würde, in: Die Zeit 15/2005

Robert Misik: Frei und Spaß dabei, in: taz vom 17.03.2005