Dokumentation Islam – Islamismus – „islamischer“ Widerstand

Gemeinsame Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW, der Marx-Engels-Stiftung, und der Föderation demokratischer Arbeitervereine aus der Türkei (DIDF)

Information

Veranstaltungsort

Alte Feuerwache
Gathe 6
42107 Wuppertal

Zeit

23.04.2005 - 24.04.2005

Themenbereiche

Krieg / Frieden, International / Transnational

(Konferenzbericht von Karin Rührdanz)

Obwohl sich die Entwicklung in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bereits abzeichnete, erstaunt doch, wie schnell und problemlos nach 1990 das zentrale Feindbild „Kommunismus“ durch ein neues ersetzt wurde, das bei minimaler Differenzierung „Islamismus“ heißt, aber im Alltag auf den Islam als Ganzes, auf muslimisch geprägte  Kulturen und schließlich auch auf jeden ihrer Angehörigen bezogen wird. Waren die aggressivsten Vertreter eines weitgehend von Stammesgesetzen bestimmten islamischen Fundamentalismus in Afghanistan gerade noch die von Brzezinski gelobten „Freiheitskämpfer“, avancierten sie fast über Nacht zu Erzfeinden, die als Terroristen die westliche Zivilisation bedrohten. Die realen ökonomischen, politischen und militärstrategischen Interessen eines Teils der US-amerikanischen politischen Elite hinter dem Rauchvorhang aus anti-islamischer Propaganda sichtbar zu machen, ist eine Seite der Aufklärung. Eine andere sollte darin bestehen, ein besseres Verständnis des Islam, der von ihm beeinflußten Kulturen und des Phänomens Islamismus zu vermitteln. Sie gewinnt angesichts des Umstands, daß ca. 3 Mio MigrantInnen aus muslimischen Ländern in Deutschland leben, besonderes Gewicht. Daß praktizierende Muslime lediglich einen Teil dieser Bevölkerungsgruppe ausmachen, ist für das grobschlächtige Feindbild kaum relevant. Kulturelle „Unvereinbarkeitsbeschlüsse“ werden aber nicht nur an Stammtischen gefaßt. Erschreckend ist auch, wie Jahrzehnte nach der Veröffentlichung von Edward Saids „Orientalism“ (1978) und der dadurch ausgelösten Diskussion von der Publizistik oft genug noch eine abwertende Einschätzung von Islam und muslimischer Kultur verbreitet wird.

Die Konferenz in Wuppertal hatte sich deshalb die Aufgabe gestellt, diesem Feinbild mit Informationen zu einigen Fragen aus diesem Problemkomplex entgegenzuwirken. Wie zu erwarten, konnte die Konzeption an den beiden zur Verfügung stehenden Tagen nicht in dem geplanten Umfang realisiert werden. Immerhin wurden wichtige Aspekte zur Sprache gebracht und von den 35 TeilnehmerInnen lebhaft diskutiert.

Der einleitende Vortrag „Wandlungen des Feindbildes Islam vom europäischen Mittelalter bis zum ‚American Empire‘“ zeichnete die Entstehung der negativen Stereotype im hohen Mittelalter und ihre Einbeziehung in ein zunehmend entsakralisiertes Weltbild nach, das in ahistorischer Weise dem muslimischen Kulturbereich wesensmäßige zivilisatorische Defizite zuschreibt (Karin Rührdanz).

Grundsätzliche Informationen vermittelte der Beitrag „Der Islam und sein Verhältnis zu anderen Religionen“ (Michael Kiefer) über die Entwicklung von Rechtsauffassungen, die im Mittelalter ein relativ reibungsloses, wenn auch nicht gleichberechtigtes Zusammenleben religiöser Minderheiten mit den Muslimen ermöglichten.

Mit den Ausführungen zu „Hamas und Hisbollah zwischen Fundamentalismus und Realpolitik“ (Alexander Flores) wurden zwei oft einseitig dargestellte politische Bewegungen analysiert. Die Betonung der nationalistischen Komponente bei beiden fundamentalistischen Bewegungen verweist darauf, daß Zusammenhänge zwischen arabischem Nationalismus und islamischem Fundamentalismus allgemein größere Aufmerksamkeit verdienten.

Auf Beziehungen zwischen beiden verwies auch der Vortrag „Der (politische) Islamismus, seine Erscheinungsformen und die Ursachen seiner Entstehung“ (Sabah Alnasseri). Hier wurde die Bedeutung der globalen Entwicklung für das Scheitern des nationalstaatszentrierten Projekts der arabischen Bourgeoisie und für ihr daraus resultierendes Einschwenken auf den islamistischen Diskurs hervorgehoben, innerhalb dessen sie einen reformistischen Weg verfolgt.

Antwort auf eine Reihe konkreter Fragen gab der Beitrag „Islamistische und laizistische Kräfte im Widerstand gegen die Besatzung des Irak“ (Joachim Guilliard), indem er ein von der üblichen Berichterstattung der Medien abweichendes Bild von der Zusammensetzung des bewaffneten Widerstands und seinem Vorgehen zeichnete und auf bezeichnende Informationslücken hinwies. Diese betreffen beispielsweise die Maßnahmen zur permanenten Stationierung US-amerikanischer Truppen.

Zu Beginn des zweiten Konferenztages erinnerte der Vortrag „Der Islam im Spiegel der marxistischen Religionskritik“ (Hans-Peter Brenner) an die nach wie vor gültige grundsätzliche Religionskritik bei Marx. Deutlich wurden aber auch die Versäumnisse in der späteren Auseinandersetzung mit dem Islam, die marginal blieb.

In den Ausführungen „Zur aktuellen Entwicklung im Libanon und der Rolle des Hisbollah“ (Abu Elias) berührte der Referent u.a. Fragen der Bündnispolitik in dem noch immer konfessionell gespaltenen Land.

Bündnispolitik im weiteren Sinne war auch Gegenstand des Vortrags „Möglichkeiten einer friedlichen Konfliktregelung im Umgang mit der islamischen Welt“ (Arne Seifert), der sich mit den Zielen des „Botschafterbriefs“ an den Präsidenten des EU-Parlaments beschäftigte, in dem auf das Scheitern einer Antiterrorstrategie hingewiesen wird, die kaum über militärische Interventionen hinausreicht, und in beiderseitigem Interesse eine Neuorientierung der Politik gegenüber den islamischen Staaten gefordert wird.

Von den Auswirkungen der anti-islamischen Stimmung in der deutschen Mehrheitsgesellschaft auf das Verhältnis zu den MigrantInnen handelte der Vortrag „Deutschland und die Muslime“ (Gazi Ates). Gegen die Tendenz, soziale Probleme in ethnisch oder religiös begründete umzudeuten, dürfen um Integration bemühte Migrantenvereine wie DIDF berechtigterweise mehr Unterstützung von linken Organisationen erwarten.

Das Spektrum der Beiträge zeigt, daß manches in der Öffentlichkeit viel diskutierte Thema wie die Rolle der Frau nicht behandelt wurde. Andere Fragen konnten in den interessanten Diskussionen zumindest angeschnitten werden. Auch wenn darauf verwiesen wurde, daß wir uns möglicherweise bereits in einer post-islamistischen Periode befinden, so wird es doch immer nötiger, auch durch eine produktive Auseinandersetzung mit dem Islam und muslimischen Kulturen der Intergration der muslimischen Minderheit in Deutschland bessere Voraussetzungen zu schaffen.

Die Konferenzbeiträge werden in Heft 4/05 der „Marxistischen Blätter“ publiziert.