Dokumentation Der Neoliberalismus und sein Einfluß auf die Prekarität heutiger Arbeitsverhältnisse

Für viele politische und ökonomische Entwicklungen hat sich der Begriff «Neoliberalismus» eingebürgert – der «Kritische Bewegungsdiskurs» versucht, die theoretische Behandlung dieser Konzepte in der sozialen Bewegung vorantreiben. Dies ist der Auftakt zu einer ganzjährigen Veranstaltungsreihe.

Information

Veranstaltungsort

Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalder Str. 4
10405 Berlin

Zeit

01.02.2006

Themenbereiche

Globalisierung

Neoliberalismus, organisatorische und rechtliche Neustrukturierung der Arbeitsverhältnisse, schlanker Staat, Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge, Entbürokratisierung, Hartz IV und 'working poor' – Begriffe, die die Veränderungen im real existierenden Kapitalismus beschreiben. Das alte Akkumulationsmodell des 'rheinischen Kapitalismus' ist offenbar historisch und national überlebt; jedoch charakterisiert auch der Begriff des 'amerikanisch-angelsächsischen Kapitalismus' die gegenwärtigen globalen und nationalen Transformationsprozesse des postfordistischen Kapitalismus nur unzureichend. Für die aus einer Vielzahl von Komponenten bestehenden ökonomischen und politischen Maßnahmen hat sich bei uns der Name 'Neoliberalismus' eingebürgert und versucht, ein hegemoniales Projekt zu umreißen, das allmählich die Poren der gesamten Gesellschaft durchdringt. Worin bestehen aber genau diese ökonomischen und politischen Komponenten dieses 'neuen' Akkumulationsmodells, auf welche aktuellen ökonomischen und sozialen Verhältnisse sind sie ausgerichtet und welche möglicherweise auch widersprüchlichen Strategien werden verfolgt?

Mit der Veranstaltungsreihe 'Kritischer Bewegungsdiskurs' rund um die Begriffe 'Prekarität' und 'Neoliberalismus' soll diesen Fragestellungen nachgegangen und die aktuelle Transformation des Kapitalismus einer kritischen Analyse unterzogen werden. Dieser Diskurs soll aber nicht nur einer sozialwissenschaftlichen Selbstverständigung dienen, sondern auch eine theoretische Behandlung dieser aktuellen Themen in der sozialen Bewegung vorantreiben.

Dies erscheint umso wichtiger, da der Widerstand gegen die 'Agenda-Politik' und gegen Hartz IV, die Aktionen der Globalisierungskritiker, die Auseinandersetzungen um Betriebschließungen und –verlagerungen, sowie um Löhne, Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen, und nicht zuletzt die alltäglichen Kämpfe und die spektakulären Aktionen der Erwerbslosen bei den Arbeitsagenturen nur unzureichend aufeinander bezogen waren.

Hier stellt sich gleichzeitig zum theoretischen Diskurs immer die Frage, ob und welche Perspektiven des Widerstands sich für diejenigen ergeben, die als Akteure politisch eingreifen wollen: genügt es, den 'alten' Sozialstaat zu verteidigen; welche Alternativen kann der Keynesianismus unter neoliberalen Bedingungen noch eröffnen; welche gesellschaftlichen Interventionspunkte können im neoliberalen Akkumulationsmodell identifiziert werden; und nicht zuletzt: müssen sich die 'traditionelleren' politischen Akteure wie Parteien und Gewerkschaften sowie die sozialen Bewegungen nicht neu aufeinander beziehen, sich neu 'zusammensetzen', um Widerstände entwickeln zu können?

Die ganzjährige Reihe wird gemeinsam veranstaltet von: Rosa Luxemburg Stiftung, DGB-Jugend, Aktionsbündnis Sozialproteste, attac Berlin und dem Haus der Demokratie und Menschenrechte.

Die Veranstaltungen finden statt an jedem 1. Mittwoch im Monat, 19h im Robert-Havemann-Saal des Hauses der Demokratie und Menschenrechte.


1. Der Neoliberalismus und sein Einfluß auf die Prekarität heutiger Arbeitsverhältnisse
01. 02. 2006 – Christina Kaindl

Dieser Abend ist die Auftaktveranstaltung. In ihr soll der Zusammenhang zwischen der durch die industriellen Beziehungen erzeugten Prekarität und ihrer vor- oder nachgelagerten Rechtfertigung durch neoliberale Theorien deutlich gemacht werden. Gleichzeitig wird hier der inhaltliche Rahmen für die nachfolgenden Veranstaltungen angerissen.

Christina Kaindl, Dipl.-Psych., Arbeitsgebiet Kritische Psychologie, promoviert in Politikwissenschaften an der FU Berlin zum Thema: „Rechtsextremismus und Neoliberalismus“, RLS-Stipendiatin. Arbeitsschwerpunkte: Kritische Wissenschaften, Rechtsextremismus, neoliberale Produktions- und Lebensweise Mitglied der Redaktion von »Das Argument«, im Vorstand des BdWi


2. Prekarität der Arbeit
01. 03. 2006 – Dirk Hauer

Wie lässt sich Prekarität definieren, welche Auswirkungen hat diese auf die Lebensverhältnisse und welche konkreten politischen Forderungen und Schritte sind notwendig, um Prekarität zu beheben, ohne die Illusion eines neuen „Normalarbeitsverhältnisses“ zu schüren ?

Dirk Hauer, promovierter Volkswirt, ist Redakteur von „analyse und kritik“, verfaßte zahlreiche Veröffentlichungen zur Prekarität der Arbeits- und Lebensverhältnisse


3. Bedarfsorientiertes Grundeinkommen
05. 04. 2006 - Werner Rätz

Schon die Reformbewegung des frühen 20.Jahrhunderts setzte sich mit dem Grundeinkommen auseinander. Seit den 80er Jahren beschäftigen sich Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen mit Konzepten eines bedarfsorientierten Grundeinkommens unter verschiedenen Bezeichnungen. Durch die Einführung von „Hartz IV“ und die Anti–Hartz–Proteste wurde die Forderung allgemein wieder in die Öffentlichkeit gerückt.

Die Forderung nach einem Grundeinkommen bewegt sich zwischen konkreten, realpolitischen und systemüberwindenden Tendenzen. Werner Rätz hält es für eine systemüberwindende Forderung. Diese These soll kontrovers diskutiert werden.

Werner Rätz studierte Politikwissenschaft, arbeitet in der Informationsstelle Lateinamerika, sitzt für die ila im Koordinierungskreis von attac


4.Arbeitsregulation, betriebliche Herrschaft und Gewerkschaftspolitik
03. 05. 2006 – Bernd Röttger

Das in der fordistischen Nachkriegsordnung ausgebildete System der industriellen Beziehungen hat seine Regulationskraft unwiederbringlich eingebüßt. Einst erstrittene Formen überbetrieblicher Arbeitsregulation sind geschliffen. Erkämpfte Arbeitsrechte werden in betrieblichen Standortpakten gebrochen. Die Krise der Gewerkschaften ist in ihrem „Kerngeschäft“ – der Tarifpolitik – angekommen. Gewerkschaftliche Betriebspolitik muss unter diesen Bedingungen mit neuen Strategien der Arbeits- und Gesellschaftspolitik verknüpft werden, um der Verallgemeinerung interessenpolitischer Rückschritte und der fortschreitenden Unterwerfung unter die ökonomischen „Zwänge“ entgegen wirken zu können. Eine Revitalisierung der Gewerkschaftsbewegungen wird nur gelingen, wenn sich die Gewerkschaftspolitik von ihren tradierten Politikmustern emanzipiert und Gewerkschaften versuchen, ihre Handlungsräume (Betriebe, Tarifvertragssystem, Regionen, Nationalstaaten, EU) politisch neu zu verknüpfen.

Bernd Röttger, promovierter Politikwissenschaftler, ist heute als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie an der Universität Jena beschäftigt. Er arbeitet seit längerem zu gewerkschaftspolitischen Themen. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Politischen Ökonomie der Globalisierung, zur materialistischen Staatstheorie, insbesondere zur politischen Theorie Antonio Gramscis, zur Regulationstheorie, zur Regionalisierung der Politik, zu neuen Formen der Arbeitspolitik und zu den Gewerkschaften.


5. Arbeit und Leben zwischen erweiterter Autonomie, Selbstvermarktung und Unterwerfung
24. 05. 2006 - Mario Candeias

Die Wucht der Veränderungen verführt dazu, die Flexibilisierung und Prekarisierung von Arbeit und Leben als einfachen Prozess der Verelendung zu fassen. Neue Arbeitsformen und die Zersetzung und Neuzusammensetzung des gesellschaftlichen Gesamtarbeiters erscheinen als von ›oben‹ ins Werk gesetzt und wirken sich mehr oder weniger negativ auf die ›Betroffenen‹ aus. Eine solche Sicht neigt zur Entsubjektivierung der Betroffenen als Handelnde in den Verhältnissen. Prekarisierung als durch äußere Kräfte erzwungenen, aber von gesellschaftlichen Individuen aktiv betriebenen Prozess zu begreifen, heißt herauszufinden, wie die Einzelnen sich darin einbauen und dabei sich selber formen, herrschende Verhältnisse reproduzieren, während wir sie zugleich widerständig zu verändern suchen. Ohne konsequente Orientierung auf diese Widersprüche besteht die Gefahr, auf vereinfachende Lösungen zu setzen, die verallgemeinerte Handlungsfähigkeit behindern und Subalternität festschreiben.

Mario Candeias ist Politologe, Seine Dissertationsschrift lautete: »Neoliberalismus – Hochtechnologie – Hegemonie. Grundrisse einer transnationalen kapitalistischen Produktions- und Lebensweise« , wiss. Mitarbeiter am Lehrstuhl für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie der Universität Jena. Redakteur der Zeitschrift »Das Argument« sowie des Historisch- Kritischen Wörterbuches des Marxismus.


6. Bedeutung der Arbeitszeitverkürzung
07. 06. 2006 – Roland Klautke

Ist ein grundsätzlich anderer Arbeitsbegriff denkbar? Schaffen Produktivitätssteigerung und Rationalisierung nicht ausreichenden Freiraum, von der kapitalistischen Lohnarbeit weg, hin zu selbstbestimmtem Tätigsein zu kommen? Der gesellschaftliche Reichtum wäre groß genug, jeden mit einem Grundeinkommen abzusichern. Arbeitszwang ist sinnlos, da nicht einmal für die, die Erwerbsarbeit anstreben, ausreichend davon vorhanden wäre. Damit alle, die Erwerbsarbeit wollen, sie ausüben können, wäre eine drastische Arbeitszeitverkürzung notwendig. Jedoch ist die Arbeitsum'fair'teilung noch kein bereits vollständig entwickeltes und geschlossenes Konzept, zumal sich hier nicht nur Fragen des verstärkten 'Rationalisierungsdrucks', der Arbeitsorganisation und der Gegenstrategien des Kapitals stellen. Dabei darf keinesfalls aus den Augen verloren werden, welche Arbeit als Lebensmittel gesucht wird. Auf keinen Fall darf sie die individuelle Freiheit untergraben.

Roland Klautke ist Politikwissenschaftler, attac – Mitglied, beteiligt an verschiedenen sozialen Bewegungen und war bei den Montagsdemonstrationen 2004 / 2005 aktiv


7. Alternative Produktion
05. 07. 2006 – Christoph Spehr

Schon seit den siebziger Jahren gab es in der Bundesrepublik Deutschland Ansätze alternativer Produktionsweisen, entstanden oft aus Betriebskämpfen, Betriebsabwicklungen, aber auch durch Alternativprojekte. Ist es in letzter Zeit auch etwas ruhiger um diese Projekte geworden, soll doch der Versuch einer Bilanz gewagt und strukturelle Gemeinsamkeiten aufgezeigt werden, um für zukünftige Auseinandersetzungen gewappnet zu sein.

Christoph Spehr, Historiker und promovierter Sozialwissenschaftler, ist der erste Rosa-Luxemburg-Preisträger. Unter anderem beschäftigt er sich mit den gesellschaftlichen Perspektiven der emanzipativen Linken. Redakteur von »alaska – Zeitschrift für Internationalismus« sowie freier Mitarbeiter der Rosalux

 
02. 08. 2006 - 8. Sommerpause

 
9. Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge
06. 09. 2006 – Alexis Passadakis

Infrastruktur in öffentlicher Hand bedeutet die kollektive Sicherstellung angemessener Lebensverhältnisse für alle. Es ist gesellschaftlich erarbeitetes Gemeineigentum. Wir dürfen nicht zulassen, wird dieses nun an die Privatwirtschaft „verscherbelt“.

Alexis Passadakis ist Politikwissenschaftler, Mitglied der bundesweiten WTO-AG bei attac, Experte für Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge. Mitarbeiter bei weed


10. Prekarität der Lebensverhältnisse – eine Studie orientiert an Pierre Bourdieu
04. 10. 2006 – Alessandro Pelizzari

Aus dem „Elend der Welt“ bzw. den sozialen Verhältnissen erwächst keinesfalls automatisch politisches Handeln oder gar Widerstand, dies dürfte für die meisten politisch Handelnden mittlerweile eine Binsenweisheit sein. Pierre Bourdieu und sein Kollektiv haben mit ihrer damaligen Studie eine beispielhafte Analyse des Alltagsbewußtseins von prekär Beschäftigten, Fabrikarbeitern und anderen „lohnabhängig Beschäftigten“ erstellt, deren Konzept mit der Studie von Franz Schultheis und anderen jetzt auf die Bundesrepublik Deutschland übertragen wurde.

Alessandro Pelizzari ist Diplom-Soziologe, arbeitet an der Universität Fribourg in der Schweiz. Zur Zeit schreibt er, bei Franz Schultheis, seine Dissertation zu dem Thema: »Erosion des Normalarbeitsverhältnisses und milieuspezifische Krisenstrategien«, zahlreiche Veröffentlichungen zu Deregulierung und Prekarität, im Vorstand von attac Schweiz


11. Wirtschaftsdemokratie und Herrschaft
01. 11. 2006 – Alex Demirovic

Die Diskussion über die Veränderung des Staates unter dem Druck von Neoliberalismus und Globalisierung hat deutlich gemacht, daß es zu einer Aushöhlung der politischen Demokratie kommt. Die Schwächung der Formen sozialer Demokratie, wie sie sich in den vergangenen Jahrzehnten zaghaft ausgebildet hatten, geriet dabei in den Schatten. Doch Unternehmensreorganisation, Arbeitslosigkeit, Krise der Gewerkschaften haben zu einer Veränderung auch auf dieser Ebene der betrieblichen und unternehmerischen Beteiligung geführt. Die Frage nach Möglichkeiten der Demokratisierung der Wirtschaft ist erneut zu stellen.

Alex Demirovic, Sozialwissenschaftler, Dr. habil., arbeitet als PD am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Frankfurt/Main, war Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung in Frankfurt/Main, zahlreiche Veröffentlichungen zu, Kritischer Theorie, Staatstheorie sowie Demokratie und Herrschaftsverhältnisse im Neoliberalismus, Redakteur der Prokla


12. Globale Soziale Rechte
06. 12. 2006 – Corinna Genschel

Soziale Rechte gelten für alle, unabhängig von Geschlecht, Staatsbürgerschaft und Erwerbstätigkeit (unabhängig heißt hier u.a.: sie gelten für alle, auch unabhängig davon, an welchem Ort sie leben); sie sind als Bedingungen zu denken, um das eigene Leben würdevoll zu bestehen und als menschenrechtliche und demokratiepraktische Voraussetzung an der Gestaltung der Gesellschaft und ihrer Zukunft umfassend teilzuhaben (d.h. es geht damit auch nicht um eine Stellvertreterpolitik, sondern darum, über Bedingungen einer Politik von unten nachzudenken); sie nehmen Bezug auf Wünsche und Bedürfnisse nach einem befriedigenden Leben, statt lediglich Reproduktion für und in kapitalistischen Verhältnissen zu leisten; sie sind nicht abstrakt und für immer und überall gleichermaßen einzulösen, sondern ihre konkrete Ausgestaltung ist Ergebnis sozialer Kämpfe und politisch-gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse. Es geht um neue Formen von Vergesellschaftung und nicht einfach um individuelle oder subkulturelle Selbstbestimmungsmomente. Diese können an konkrete soziale Kämpfe anknüpfen, nehmen diese auf, artikulieren sie aber in einem größeren Rahmen.

Corinna Genschel ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Potsdam, arbeitet beim Komitee für Demokratie und Grundrechte sowie bei der Initiative für ein Sozialforum Berlin, Wiss. Mitarbeiterin der Fraktion „Die Linke.PDS“