Ende Juli 2007 wurden sieben Personen in Berlin von der Generalbundesanwaltschaft beschuldigt, Mitglieder einer 'terroristischen' Vereinigung, der 'militanten gruppe' (mg), zu sein (nach § 129a Strafgesetzbuch). Vier von ihnen wurden verhaftet. Drei befinden sich noch immer unter verschärften Haftbedingungen in Untersuchungshaft. Sie werden beschuldigt, an Fahrzeugen der Bundeswehr Brandsätze angebracht zu haben.
Die anderen vier werden einer Art intellektueller Täterschaft bezichtigt.
Ihre wissenschaftlichen und journalistischen Publikationen enthalten Begriffe, die auch in Bekennerschreiben der 'mg' zu finden sein sollen.
Bisher haben im In- und Ausland eine Vielzahl von Initiativen und Tausende von Einzelpersonen Aufrufe unterschrieben und die Generalbundesanwaltschaft aufgefordert, das Verfahren nach § 129a sofort einzustellen. Dennoch scheint die Tragweite dieser Geschehnisse noch nicht öffentlich wahrgenommen zu werden.
Es handelt sich hier nicht um einen Einzelfall. Vielmehr zeigen diese Ereignisse den Wandel des bürgerlichen Rechtsstaats zum präventiven Sicherheitsstaat - im Namen eines angeblichen 'Kampfes gegen den Terror'. Das Konstrukt einer 'terroristischen Vereinigung' durch die Bundesanwaltschaft mit Hilfe des § 129a ist für die breite Öffentlichkeit kaum verständlich. Noch weniger verstanden wird bisher jedoch, welche Folgen dieses Verfahren für kritische Wissenschaft, Kunst und politisches Engagement haben wird. Die Freiheit der Rede, des künstlerischen Ausdrucks und der politischen Praxis drohen in einem Klima der Angst zu ersticken.
Die Veranstaltung informierte über den aktuellen Fall und über Geschichte und Zweck des § 129a:
Ferner wurde die Frage aufgeworfen, was eine sogenannte »intellektuelle Mittäterschaft« für politisches Engagement und eine kritische Wissenschaft bedeutet.
Auf dem Podium diskutierten:
Christina Clemm (Rechtsanwältin) informiert zum aktuellen Stand des Verfahrens in Berlin.
Dr. Rolf Gössner (Rechtsanwalt, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte) klärt über die historische und gegenwärtige Bedeutung des § 129 a, seine justizpolitischen Implikationen und dessen europäische Dimension auf.
Dr. Fritz Storim (Politischer Aktivist und von mehreren Strafverfahren nach dem § 129a betroffen; Meßstelle für Arbeits- und Umweltschutz, MAUS eV, Bremen) verdeutlicht, welche Auswirkungen dieser Paragraf - ohne dass Straftaten nachgewiesen werden - auf die davon Betroffenen hat.
Prof. Dr. Roland Roth (Fachhochschule Magdeburg, Komitee für Grundrechte und Demokratie) beschreibt die gegenwärtigen Bestrebungen der Bundesregierung, über den § 129a hinaus weitere Überwachungsmaßnahmen, Strafgesetze und Kriminalisierungen einzuführen - und er zeigt, was derartige Kriminalisierungen bereits heute für soziale Bewegungen bedeuten.
Dr. Britta Grell (Moderation, INURA. International Network of Urban Research and Action, Berlin)
Eine zweite Veranstaltung fand unter dem Namen «Wir sind alle Terroristen» am 16.12.2007 in der Volksbühne statt
Ist jetzt alles Terrorismus?
Der Haftbefehl gegen den Wissenschaftler Andrej Holm ist endgültig aufgehoben. Die Überwachung geht weiter.
Videodokumentation der Informationsveranstaltung in der Berliner Volksbühne.
Als der ehemalige Promovend und Freie Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Andrej Holm, am 31. Juli diesen Jahres verhaftet wurde, löste dies eine Welle der Empörung und des Protests aus. National und international unterschrieben nicht nur WissenschaftlerInnen Aufrufe, die die Einstellung des unter dem Paragraphen 129a laufenden Verfahrens und die Freilassung aller in diesem Verfahren Inhaftierten forderten. Unter anderem aufgrund des öffentlichen Drucks wurde Andrej Holm nach drei Wochen gegen Auflagen von der Haft verschont.
Dagegen legte die Bundesanwaltschaft damals umgehend Beschwerde ein. Am 24. Oktober nun gab der Bundesgerichtshof (BGH) bekannt, dass er den Haftbefehl gegen Andrej ganz aufgehoben habe. Die Begründung laut Pressemitteilung des BGH: "Die aufgedeckten Indizien sprechen nicht hinreichend deutlich für eine mitgliedschaftliche Einbindung des Beschuldigten in die ‚militante Gruppe’, sondern lassen sich ebenso gut in anderer Weise interpretieren. Der Haftbefehl konnte schon aus diesem Grund keinen Bestand haben.“ Der BGH sah den für einen Haftbefehl nötigen dringenden Tatverdacht als nicht nachgewiesen an. Das sei eine „Ohrfeige für die Bundesanwaltschaft“, konstatierte nicht nur die frühere grüne Verbraucherschutzministerin und Rechtsanwältin Renate Künast. Die Anwältin von Andrej Holm sagte auf einer Pressekonferenz, es mute schon äußerst seltsam an, wenn die Bundesanwaltschaft erklärt bekommen müsse, dass auf Basis „bloßer Vermutungen“ ein solches Verfahren nicht in Gang gesetzt werden kann.
Doch auch wenn die Entscheidung des BGH nun allerorten Erleichterung auslöst und als Teilerfolg gewertet wird, hinterlässt das Vorgehen der Bundesanwaltschaft und des Bundeskriminalamtes einen mehr als fahlen Nachgeschmack. Der Republikanische Anwältinnen- und Anwaltsverein (RAV) erklärt dazu: „So erfreulich die Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist, so erschreckend ist die Tatsache, dass Herr H. aufgrund eines ‚Anfangsverdachts’ drei Wochen in Haft gehalten wurde.“ Und nicht nur das: fast ein Jahr wurde das Telefon von Andrej abgehört, sein Handy geortet, seine E-Mails gelesen und die Eingänge seines Wohnhauses gefilmt. Gleiches gilt für die Mitbeschuldigten dieses Verfahrens. Wie weit die Überwachungsmaßnahmen in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen eingreifen und welche Folgen dies für den Alltag hat, lässt sich übrigens plastisch nachlesen im Webblog der Freundin von Andrej (http://annalist.noblogs.org/).
Abgesehen davon, dass die Ermittlungen nach dem Paragrafen 129a nach wie vor nicht eingestellt sind, werfen die jüngsten Ereignisse für die Zukunft kritischer Wissenschaft und politischer Praxis tiefschwarze Schatten voraus. Als einer der wenigen stellt der RAV „den Fall Andrej H.“ in den Kontext des gegenwärtigen Wandels des Staates hin zum präventiven Sicherheitsstaat unter Schäuble. Der RAV weist darauf hin, dass die Ermittlungen im Falle Andrejs vom Bundeskriminalamt geführt wurden. Im Zuge der 2006 verabschiedeten Föderalismusreform seien dem Bundeskriminalamt neue Kompetenzen bei der „Terrorismusbekämpfung“ zugewachsen (Art. 73 Abs.1 Ziff. 9a GG). Zur Ausgestaltung dieser Kompetenzen habe Bundesinnenminister Schäuble im Juli den „Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des Internationalen Terrorismus durch das BKA“ vorgelegt, der massiv gegen das 1949 von den Alliierten vorgegebene Trennungsgebot verstoße. Dieses Gebot sieht eine strikte Trennung zwischen präventiver geheimdienstlicher und verfolgender polizeilicher Tätigkeit vor und war als Konsequenz des Missbrauchs dieser Institutionen in der Zeit des deutschen Faschismus installiert worden. Es soll verhindern, dass jemals wieder Menschen wegen eines vagen, unbewiesenen Verdachts von einer Geheimpolizei festgehalten und verfolgt werden. „Es drängt sich der Verdacht auf, dass im Fall Andrej H. - in Vorwegnahme der im Gesetzesentwurf neu definierten Begehrlichkeiten - genau dies passiert ist“, so der RAV.
Vor diesem Hintergrund ist die von einem breiten Bündnis (unter Mitwirkung der RLS) gemeinsam organisierte Informationsveranstaltung „Ist jetzt alles Terrorismus?“ in der Berliner Volksbühne vom 30. Oktober 2007 nach wie vor brandaktuell. Darin informierten vor über 600 Gästen: Christina Clemm (Rechtsanwältin) zum aktuellen Stand des Verfahrens in Berlin, Dr. Rolf Gössner (Rechtsanwalt, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte) zur historischen und gegenwärtigen Bedeutung des Paragraphen 129a, seinen justizpolitischen Implikationen und dessen europäischer Dimension, Dr. Fritz Storim (politisch aktiver Physiker und Philosoph und von mehreren Strafverfahren nach dem Paragraphen 129a betroffen; Messstelle für Arbeits- und Umweltschutz, Bremen und Universität Bremen) über das Ausmaß der Überwachung und die Auswirkungen der politischen Verfolgung auf das private, soziale und berufliche Umfeld, Prof. Dr. Roland Roth (Hochschule Magdeburg-Stendal, Komitee für Grundrechte und Demokratie) zu gegenwärtigen Bestrebungen der Bundesregierung, über den § 129a hinaus weitere Überwachungsmaßnahmen und Strafgesetze einzuführen – er zeigte, was derartige Kriminalisierungen bereits heute für soziale Bewegungen bedeuten. Moderiert wurde die Veranstaltung von: Dr. Britta Grell (INURA. International Network of Urban Research and Action, Berlin).