Dokumentation »Kriegsverrat« – ein letztes Tabu des Umgangs mit dem Nationalsozialismus?

Information

Zeit

05.05.2008

Veranstalter

Florian Weis,

Mit

Prof. Dr. Joachim Perels, Hannover und Jan Korte, MdB

Themenbereiche

Geschichte, Rassismus / Neonazismus, Erinnerungspolitik / Antifaschismus

Zugehörige Dateien

»Unrecht kennt keinen Verrat« Diese Aussage des berühmten Hessischen Generalstaatsanwalts und Anklägers im Auschwitz-Prozess, Fritz Bauer, findet bis heute keine Anwendung auf diejenigen, die in der Zeit des Nationalsozialismus als »Kriegsverräter« angeklagt und von der Nazijustiz mit unnachgiebiger Härte verurteilt wurden. Als »Kriegsverräter« wurden solche Menschen bezeichnet, die – zumeist als einfache Soldaten – zu den alliierten Truppen überliefen, Flugblätter innerhalb der Wehrmacht verteilten und zur Beendigung des Krieges aufriefen, die sich für Kriegsgefangene einsetzten, Mitglieder der Widerstandsgruppe Rote Kapelle waren oder die versuchten, Juden zu retten. Bis heute sind diese Menschen nicht pauschal rehabilitiert worden, wie es seit vielen Jahren von engagierten Vertretern gefordert wird und wie es z.B. für die »Wehrmachtsdeserteure« vor einigen Jahren endlich durchgesetzt werden konnte.

Eine Initiative der Fraktion DIE LINKE im Bundestag fordert aktuell die pauschale Aufhebung der Urteile nach dem Kriegsverratsparagrafen, der in einer neuen Studie von Wolfram Wette und Detlef Vogel als ein wichtiges Terrorelement der NS-Herrschaft charakterisiert wird. Am 5. Mai 2008 beschäftigt sich der Deutsche Bundestag in einer Anhörung mit diesem Thema.

Warum tun sich Teile der bundesdeutschen Politik und Öffentlichkeit immer noch so schwer mit manchen juristischen Nachwirkungen  des Nationalsozialismus? Welchen Sinn hat die Aufhebungsforderung überhaupt, welchen Nutzen bringt sie ehemaligen Opfern? In der Veranstaltung sollte es um diese Fragen, um den aktuellen Stand der Rehabilitierung dieser NS-Justizopfer und schließlich um die generelle Frage des juristischen Umgangs mit der NS-Vergangenheit gehen.  

Jan Korte schilderte eingangs die Hintergründe der Gesetzesinitiative der LINKEN für eine pauschale Rehabilitierung früherer Wehrmachtsangehöriger, die als „Kriegsverräter“ verurteilt wurden. Er stützte sich dabei in der historischen Einschätzung inhaltlich im Wesentlichen auf das Buch von Wolfram Wette und Detlef Vogel. Weiterhin stellte er die verschiedenen Gutachten der Anhörung im Rechtausschuss des Deutschen Bundestages dar und setzte sich insbesondere kritisch mit den Standpunkten von Prof. Müller und Prof. Neitzel auseinander.

In der Debatte gab es unterschiedliche Einschätzungen, ob die Initiative der LINKEN langfristig eine Chance habe, was z.B. Jan Korte und Hans Coppi unter Verweis auf den ebenfalls langwierigen, zähen Verlauf bis zur Durchsetzung der Rehabilitierung von Deserteuren verhalten optimistisch einschätzten. Weitere Punkte aus der Debatte betrafen u.a. die Frage möglicher Zusammenhänge zwischen aktuellen Bundeswehreinsätzen und der „Kriegsverrats“debatte, methodische Fragen der Quellenlage und Repräsentativität sowie der Motivlagen und der unterschiedlichen Bewertungen von widerständigen Handlungen. Dazu äußerten sich auch Angehörige von Betroffenen.
 

Weitere Informationen dazu aus dem Rechtsauschuss des deutschen Bundestages:

http://www.bundestag.de/aktuell/archiv/2008/20344650_kw19_recht/index.html

http://www.bundestag.de/aktuell/archiv/2008/20344650_kw19_recht/index.html

 

Literaturhinweise:

  • Wolfram Wette/Detlef Vogel: Das letzte Tabu. NS-Militärjustiz und Kriegsverrat, Berlin 2007. Aufbau Verlag Berlin 2007
  • Jan Korte, „Kriegsverrat“ – ein letztes Tabu des Umgangs mit dem Nationalsozialismus? RLS-Standpunkte 6/2008. interner Link folgtmehr
  • Joachim Perels, Entsorgung der NS-Herrschaft. Konfliktlinien im Umgang mit dem Hitler-Regime, Hannover 2004.