Hochpolitisches Familientreffen an der Humboldt-Universität
Rund 200 Humboldtianer und Freunde der Humboldt-Universität kamen am 19. und 20 März 2009 in den Senatssaal der Universität Unter den Linden zur zweitägigen Konferenz »Die Linden-Universität 1945 bis 1990 – Zeitzeugen, Einblicke, Analysen«.
Eingeladen hatten die Helle Panke e.V. – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin, die Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg und die bundesweit arbeitende Rosa-Luxemburg-Stiftung mit ihrem Hauptsitz in Berlin. Und diesem Angebot folgten viele ehemalige Wissenschaftler/innen und Mitarbeiter/innen der Humboldt-Universität, deren Berufsleben und wissenschaftliche Laufbahn auf engste mit dem Forschungs- und Lehrbetrieb der Humboldt-Universität über Jahrzehnte verbunden war. Aber auch jüngere Teilnehmer/innen, die etwa als Studenten an dieser Alma Mata ihre Ausbildung erfahren hatten, am Thema interessierte Wissenschaftshistoriker sowie geschichtspolitisch Interessierte hatten sich diese zwei Tage reserviert.
Und sie wurden in der Mehrzahl nicht enttäuscht. Was anfänglich vielleicht wie ein Familien- oder Klassentreffen anmutete, nicht wenige sahen sich nach Jahren und Jahrzehnten das erste Mal wieder, wurde sehr schnell zu einer hochkarätigen Veranstaltung zur kritischen Auseinandersetzung mit fast 50 Jahren Wissenschaftsgeschichte im Spannungsverhältnis zwischen wissenschaftlichen Leben und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mit jeweils spezifischen persönlichen Möglichkeiten, Zwängen und Verwicklungen. In über 30 Beiträgen und einer lebhaften Diskussion wurde deutlich: die Humboldt-Universität war auch und vielleicht sogar gerade in DDR-Zeiten eine Hochburg wissenschaftlicher Arbeit und Exzellenz im Osten Deutschlands. Sie war in besonderer Weise von dem um und in Berlin besonders heftig tobenden Stürmen des Kalten Krieges betroffen, wurde auch in den folgenden Jahrzehnten immer wieder zu einem Feld der Systemauseinandersetzung – und dabei wohl manchmal aber letztlich viel zu wenig als eine Trutzburg für kritische Denker und kritischem Denken bestehen. Hier handelt es sich um ein Thema, das existenziell besetzt ist, und das nicht nur und vielleicht auch nicht in erster Linie aufgrund kognitiver Schwierigkeiten kontrovers diskutiert wird, sondern vor allem deshalb, weil konträre Interessen, Emotionen und Leidenschaften in den kognitiven Prozess intervenieren – so Huber Laitko in seinem Eröffnungsbeitrag.
20 Jahre nach der Wende konnte manche und mancher der Referenten und Diskutanten das erste Mal öffentlich darüber reden, was es für sie, für ihn bedeutet, Zeitzeuge gewesen zu sein: nämlich Akteur, Betroffener und (Mit-)Verantwortung Tragender. Einen ersten sehr lebendigen Eindruck von Seiten der Teilnehmer/innen erreichte uns per Mail von Brigitte und Gerwin Udke: »Den Veranstaltern ist großer Dank zu sagen für die gelungene Konferenz. Vieles, was bleibt von den Jahren der HU 1945 – 1990 ist eindrucksvoll dargestellt worden. Erstaunlich, wie es gelungen ist, so viele angesehene Zeitzeugen zu Worte kommen zu lassen. Zugleich hat Dr. Girnus zutreffend darauf hingewiesen, dass „für diese Veranstaltung wirklich nicht (noch) mehr möglich war.“«
Zu dem Komplex »Die Gesellschaftswissenschaften« seien aber dennoch zwei kurze Anmerkungen gestattet: Hier waren vor allem Beiträge beeindruckend, in denen mit großer Sachkunde und zugleich auch selbstkritisch zur persönlichen Verantwortung als Wissenschaftler in diesen Jahren Stellung bezogen worden ist, wie z.B. F. Hörnigk, ähnlich auch W. Girnus bei seiner Eröffnung, oder S. Prokop. Einige andere Beiträge hier waren aus meiner Sicht aber zu sehr allein Bericht über Institutionen, einzelne Projekte, Selbstspiegelung eigener positiver Aktivitäten bzw. Darstellung persönlich erlittener "Benachteiligungen" zu DDR-Zeiten. Diesbezüglich hat Karl Schwarz in der Abschlussveranstaltung … wohl doch ganz zutreffend angemerkt, dass es angesichts der beeindruckenden Berichte einiger Referenten über "kluge Ideen" in den 60er bis 80er Jahren kaum verständlich ist, wie wenig dann – als es darauf ankam (1989/90) – tatsächlich Substantielles zu einem ehrenvolleren Beitritt der DDR zur Bundesrepublik und eben auch zu einer besseren "Überleitung" der HUB in die BRD-Wissenschaftslandschaft eingebracht worden ist. . . .
Höhepunkt und Abschluss fand die Konferenz mit der ebenfalls sehr gut besuchten (darunter auch viele jüngere Zuhörer) Podiumsdiskussion zum Thema »Die Humboldt-Universität in der Wende«. Heinrich Fink (Rektor der Universität in den Jahren 1990/92), Prof. Dieter Klein, Dr. Gisela Petruschka (erste Frauenbeauftragte der Universität) und Karl Schwarz (erster Kanzler der Alma Mater) schilderten die aufgeladenen Wochen und Monate der Universität zwischen Emanzipation und Anpassung, zwischen Selbstbehauptung und Andienung – eine erste Antwort auch auf die Frage von Alexander Thomas, der an einer Dissertation über die Geschichtswissenschaften an der Humboldt-Universität arbeitet:
»Bitte beschränken sie sich bei ihren Erinnerungen nicht nur auf die reine Wissenschaftsgeschichte. Als Wissenschaftshistoriker stehe ich vor dem Problem, dass ich nur schwer rekonstruieren kann, welche Rolle hat die SED gespielt, welche Rolle haben die Grundorganisationen gespielt, welche Rolle hat der Marxismus-Leninismus in der Anleitung von wissenschaftlichen Disziplinen gespielt? Wenn sie dazu nicht Stellung nehmen, dann tun es andere und ihr Wort fehlt.«
Das solche nachdenklichen, selbstkritischen und so auch für die heutige Zeit ernst zunehmende Worte nicht fehlen, dafür hat die Konferenz einen wichtigen Beitrag geleistet. Damit dies auch nachlesbar wird, sollen auf dieser Website schriftweise die bei uns eintreffenden schriftlichen Beiträge zur Konferenz eingestellt werden. Darüber hinaus ist für das kommende Jubiläumsjahr der Humboldt-Universität – also zu ihrem 200. Geburtstag im Jahre 2010 - eine umfangreiche Publikation in Vorbereitung.
Klaus Meier,
Rosa-Luxemburg-Stiftung
Ablauf und Beiträge
Donnerstag, 19. März 2009Detailseite (Dokumentation)
10.00 – 13.00 Uhr | Die Humboldt-Universität im Licht der Wissenschaftsgeschichte Eröffnung und Moderation Dr. Wolfgang Girnus, Kollegium Wissenschaft der Rosa-Luxemburg Stiftung, Vertreter(in) des Präsidiums der Humboldt-Universität zu Berlin (angefragt) Prof. Dr. Hubert Laitko Dr. Peter Th. Walther Dr. habil. Hannelore Bernhardt Dr. Annette Vogt Prof. Dr. Siegfried Prokop |
13.00 – 14.00 Uhr | Mittagspause |
14.00 – 16.00 Uhr | Grundlagenwissenschaften und Interdisziplinarität Moderation: Dr. sc. Klaus Meier Prof. Dr. Klaus Fuchs-Kittowski, Prof. Dr. Erich Langner Prof. Dr. Werner Ebeling Prof. Dr. Roswitha März Dr. Uwe Scheffler |
16.00 – 16.30 Uhr | Kaffeepause |
16.30 – 18.00 Uhr | Naturwissenschaften: Chemie und Biowissenschaften Moderation: Dr. habil. Hannelore Bernhardt Prof. Dr. Lothar Kolditz: Prof. Dr. Gisela Jacobasch:
Prof. Dr. Ekkehard Höxtermann: |
Freitag, 20. März 2009
09.00 – 10.30 Uhr
| Naturwissenschaften: Landwirtschaftswissenschaften und Biologie Moderation: Dr. Wolfgang Girnus Prof. Dr. Ernst Lindemann Dr. Jörg Schulz und Dr. Andreas Wessel Dr. Andreas Wessel und Dr. Jörg Schulz |
10.30 – 11.00 Uhr | Kaffeepause |
11.00 – 13.00 Uhr | Die Medizin Moderation: Prof. Dr. Hubert Laitko Prof. Dr. Heinz David Prof. Dr. Peter Schneck Prof. Dr. Siegfried Vogel Prof. Dr. Detlev Krüger |
13.00 – 14.00 Uhr | Mittagspause |
14.00 – 15.30 Uhr | Psychiatrie, Psychologie und Pädagogik Moderation: Prof. Dr. Karl-Friedrich Wessel Prof. Dr. Ralf Uebelhack Prof. Dr. Lothar Sprung und Dr. Helga Sprung Prof. Dr. Klaus-Peter Becker |
15.30 – 16.00 Uhr | Kaffeepause |
16.00 – 18.00 Uhr | Die Gesellschaftswissenschaften Moderation: Dr. Detlef Nakath Prof. Dr. Frank Hörnigk Prof. Dr. Marieluise Schaum Prof. Dr. Hans-Christoph Rauh Prof. Dr. Karl-Friedrich Wessel |
19.00 – 22.00 Uhr | Abendveranstaltung Verleihung des John-Desmond-Bernal-Preises der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg |
Mehr Information zur Geschichte der Humboldt-Universität: http://de.wikipedia.org/wiki/Humboldt_Universit%C3%A4t