Prof. Joachim Perels (Hannover) und Prof. Patrick Wagner (Halle) stellten eigene Forschungsergebnisse vor und erläuterten Zusammenhänge der aktuellen Debatte um die Institutionengeschichte. Die Aktualität des Themas ließ sich auch daran erkennen, dass trotz eisiger Außentemperaturen und S-Bahn-Chaos mehr als 80 Personen die Veranstaltung in der Presselobby des Bundestages besuchten.
Jan Korte, linker Bundestagsabgeordneter, moderierte die Veranstaltung. Nicht zuletzt seine Initiativen im Deutschen Bundestag waren es, die geschichtspolitische Themen, wie die Rehabilitierung so genannter Kriegsverräter, in jüngster Vergangenheit in den Fokus der Öffentlichkeit rückten. Die gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung durchgeführte Veranstaltung wurde von Axel Krumrey eröffnet. Er betonte, dass Geschichtspolitik für die Stiftung bedeute, mit Geschichte so umzugehen, dass sie als Handlungsorientierung dienen kann. Die eigene Geschichte dürfe dabei aber nicht ausgespart bleiben. Deshalb, so Krumrey weiter, gehöre eine „sachlich fundierte Auseinandersetzung mit dem Staatssozialismus der DDR genauso dazu wie die mit dem Nationalsozialismus und eben auch der Rolle staatlicher Institutionen in diesem System.“ Ein Vergleich des Umgangs mit der Geschichte der beiden deutschen Staaten sollte durchaus Teil dieser Betrachtung sein. Eine Gleichsetzung der Systeme – fuhr er fort – käme dabei aber nicht infrage.
Jan Korte wies auf die Brisanz der zu diskutierenden Thematik hin. Die personellen Kontinuitäten im Staatsdienst nach Gründung der BRD zu denen in der NS-Diktatur seien erschreckend groß gewesen, zu oft werden sie jedoch verleugnet. Eben diese Parallelen hätten Politik und Verwaltungshandeln aber massiv beeinflusst. Kein Wunder sei es deshalb, dass erst in der heutigen Zeit NS-Recht abgeschafft werde. Die Linksfraktion im Bundestag habe dahingehend noch weitere Initiativen vorbereitet. Die Offenlegung der Akte des Nazi-Verbrechers Adolf Eichmann gehöre unter anderem dazu. Korte begrüßte die Aktivitäten einzelner staatlicher Institutionen, endlich damit zu beginnen, die eigene Geschichte untersuchen zu lassen.
Damit leitete er über zu Patrick Wagner, der derzeit an einer Studie zur Geschichte des Bundeskriminalamts (BKA) arbeitet. Wagner wollte die Erwartungen an seinen Beitrag jedoch bereits zu Beginn bremsen. Schließlich, so seine Bemerkung, laufe die Studie noch. Erste Ergebnisse kenne noch nicht einmal das BKA. Deshalb wolle er hier jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen. Stattdessen verwies er auf die Publikation der Forschungsergebnisse im nächsten Jahr. In seinem Beitrag ging er sodann etwas komplexer auf die einzelnen Etappen ein, in denen sich die junge BRD den vorbelasteten Staatsdienern des NS-Systems öffnete. Als eine der wichtigsten Zäsuren sah er dabei das Gesetz zur Rehabilitierung der NS-Beamten von 1951, das die Grundlage zur Übernahme von mehr als 20.000 ehemaligen NSDAP-Mitgliedern in die staatlichen Institutionen der BRD war. Er merkte allerdings an, dass dieses Gesetz auch mit den Stimmen der damaligen KPD-Fraktion verabschiedet wurde und deutete somit den breiten politischen Konsens in Anbetracht der Integration (früherer) Nationalsozialisten in die junge Demokratie an. Als entscheidendes Einstellungskriterium hob er den Korpsgeist hervor, den die Einstellungswilligen in ihrer Biographie vorzuweisen hatten. Die mögliche Beteiligung an NS-Verbrechen spielte folglich keine Rolle, sofern mit den früheren Kolleg/innen angemessen umgegangen wurde. Kaum Gegenstand in der Forschung sei bisher jedoch gewesen, wie sich diese Einstellungspolitik tatsächlich auf konkretes Handeln ausgewirkt habe. Es gebe demnach, hob Wagner hervor, keine verlässlichen Studien dazu, wie die früheren NS-Beamten in ihren neuen Arbeitszusammenhängen gewirkt haben. Antikommunismus, so wie er heute vorgetragen werde, sei aber nicht unbedingt als Folge der personellen Kontinuitäten in staatlichen Institutionen zu sehen, wenn auch die politische Kultur möglicherweise nicht unbeeinflusst geblieben sei.
Joachim Perels ging in seinem Beitrag auf die Rechtssprechung und die Recht sprechenden Institutionen im Nationalsozialismus ein. In diesem System, so sein Fazit, habe nichts anderes geherrscht als uneingeschränkte Rechtlosigkeit. Basierend auf dieser Feststellung hätte es der jungen Bundesrepublik gut getan, Laien zu Richtern auszubilden und nicht bis zu 75 Prozent der Gerichtsbarkeit mit „belastetem“ Personal zu besetzen. Etwa zehn Jahre habe dieser Prozess gedauert. Als Gründe für die Verabschiedung des bereits erwähnten Gesetzes von 1951 nannte Perels unter anderem die massive Kampagne der Beamtenbünde gegen den Ausschluss der NS-Beamten aus dem BRD-Staatsdienst. Mit den Richtern aus der NS-Zeit wurden auch juristische Auslegungen und Formeln übernommen.
In der anschließenden Debatte gingen Wagner und Perels auf Fragen aus dem Publikum ein. So sei der Expertenstatus, der den früheren NS-Beamten zugedacht wurde, „existenziell“ für die junge BRD gewesen. Diese Sichtweise habe sich mehr und mehr durchgesetzt. Den „Boom“ der Untersuchungen zur Geschichte einzelner Institutionen erklärte Wagner damit, dass die heutigen Verantwortungs- und Entscheidungsträger im Auswärtigen Amt, im BKA oder auch beim Verfassungsschutz keine subjektive Verantwortung mehr tragen, weshalb es ihnen leichter falle, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Schwer verständlich sei es heute, dass sich die deutsche Bevölkerung in den 1950er-Jahren zuvorderst als Opfer des Faschismus gesehen habe. In diesem Kontext sei die damalige Gesetzgebung zur Integration belasteter Personen aber zu sehen. Dies sei gleichzeitig auch Zeichen der Wandlung deutscher Volksgenossen zu Bundesbürgern. Die Einsicht sei gewonnen worden, dass man Gesellschaft nicht austauschen könne. Stark unterscheiden würde sich demnach auch der Umgang mit NS-belastetem Personal in den Bundesländern. Auch hier sah Patrick Wagner weiteren Forschungsbedarf. Joachim Perels formulierte daraufhin, auch aus eigenen Erfahrungen berichtend, dass es durchaus einzelne „rechtsstaatlich befreite Zonen“ in der Bundesrepublik gegeben habe. Gemeint waren damit vor allem diejenigen Gerichte, die sich nicht an der Mehrheitsposition in der Rechtssprechung, die ja an NS-Recht angelehnt war, orientierten. Zugegeben, fuhr Perels fort, das seien gemessen an der übergroßen Dominanz der NS-Juristen im bundesdeutschen Gerichtswesen der 1950er-Jahre wirklich nur kleine Inseln gewesen. Um auch noch einmal eine begriffliche Klarheit zu erreichen, verdeutlichte Perels, dass rechtsstaatliche Grundsätze dort verlassen werden, wo nicht die Judikative, sondern die Politik Recht spricht. Patrick Wagner versuchte schließlich seine eigene Aussage zu unterstreichen, warum Geheimhaltung staatlicherseits zumindest auf Zeit durchaus begründet sei. Hier gehe es nämlich unter anderem um den Schutz von Menschen. Weitere Ansätze für die Auseinandersetzung mit Kontinuitäten zur NS-Zeit sahen beide Wissenschaftler in der Untersuchung des Personalbestandes der politischen Parteien in diesen Jahren. Übrigens habe auch die DDR mit einer nazifizierten Gesellschaft umgehen müssen. Die Entnazifizierung sei jedoch grundlegender erfolgt, wenn auch in diesem Zusammenhang Menschen mit Repressalien zu leben hatten, die dem neuen System einfach nur nicht passten.
(Bericht: Axel Krumrey)