Dokumentation Recht auf Stadt. Der Kongress

Kongress diskutierte in Hamburg Wege zu einer internationalen Bewegung. Ein Bericht von Malte Daniljuk.

Information

Veranstaltungsort

Centro Sociale
Sternstraße 2
20357 Hamburg

Zeit

02.06.2011 - 05.06.2011

Veranstalter

Malte Daniljuk,

Mit

Manal Tibe Egyptian Centre on Housing Rights aus Kairo; Andrés Antillano vom Movimiento de Pobladores aus Caracas; VertreterInnen von Abahlali aus Südafrika (Bewegung der HüttenbewohnerInnen); AktivistInnen von IMECE/Istanbul; Yvonne P. Doderer (Büro für transdisziplinäre Forschung & Kulturproduktion) aus Stuttgart; Leute von Droit au logement /Paris, VertreterInnen vom Movement for Justice in El Barrio/New York; das Atelier d'architectur autogérée, Gäste aus Amsterdam, Brett Bloom (angefr.), stadtpolitische Aktive aus Vilnius/Litauen, das Stadtlabor Zürich, Wu Meng und Zhao Chuan von Grass Stage aus China und vielen, vielen mehr.

Themenbereiche

Stadt / Kommune / Region

Mit dem Süden lernen

Vom 2. bis zum 5. Juni 2011 veranstalteten der langjährige Kooperationspartner der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die BUKO Internationalismus und das Netzwerk «Recht auf Stadt» einen gleichnamigen Kongress in Hamburg. Die Veranstaltung unterschied sich von den traditionellen Pfingst-Kongressen der BUKO sowohl organisatorisch als auch durch eine große Anzahl internationaler Gäste: Aus Ägypten, Südafrika, der Türkei, den USA und Venezuela waren RepräsentantInnen städtischer sozialer Bewegungen angereist. In die Organisation der Veranstaltung war eine Vielzahl Hamburger Projekte eingebunden, die für ein dezentrales Veranstaltungskonzept sorgten. Außergewöhnlich breit war auch das Spektrum der vertretenen Gruppen: Mieterinitiativen, stadtpolitische Netzwerke und Stadtteilgruppen trafen auf entwicklungspolitische und internationalistische Zusammenhänge.

Mit etwa 500 TeilnehmerInnen eröffnete der Kongress „Recht auf Stadt“ am Himmelsfahrt-Donnerstag im besetzten Kulturzentrum Rote Flora. In den folgenden Tagen fanden etwa 60 Veranstaltungen in zehn unterschiedlichen Projekträumen statt, vor allem im Hamburger Schanzenviertel. Insbesondere die internationalen Gäste konnten sich eines großen Interesses des Publikums erfreuen. Hier zeigte sich, dass bei den oftmals lokal arbeitenden Gruppen gerade der Austausch über internationale Erfahrungen auf großen Bedarf trifft. 

Soziale Arbeit und Antikapitalismus

Dabei bezogen sich viele der angereisten Initiativen kaum auf die vorhergehenden Diskussionen um das «Recht auf Stadt». Juan Haro von der New Yorker Movement for Justice in El Barrio (Youtube) etwa verortete sich explizit außerhalb dieser Debatte. Seine Bewegung organisiert seit dem Jahr 2006 mehrere hundert Mieter in East Harlem, zumeist MigrantInnen ohne gültigen Aufenthaltsstatus. Was als Auseinandersetzung mit den Vermietern und Kampf gegen Wohnungsräumungen begann, wuchs inzwischen zu einem breiten Netzwerk mit «basisdemokratischer und antikapitalistischer Ausrichtung» - geprägt von aus Mexiko stammenden EinwanderInnen, die sich auf politische Initiativen aus ihrem Heimatland beziehen. «Wir verbinden soziale Organisierung auf kommunaler Ebene mit der Lösung konkreter Alltagsprobleme. Darin verstehen wir uns als Teil der Anderen Kampagne der Zapatisten in Mexiko.»

Was sich in East Harlem zunächst als Kampf gegen Gentrifizierung äußerte, weist durchaus Ähnlichkeiten zur Bewegung der HüttenbewohnerInnen in Südafrika auf, hier allerdings unter noch stärker prekären Bedingungen. Mazwi Nzimande und Mnikelo Maxwell Ndabankulu schilderten die Konflikte der BewohnerInnen informeller Siedlungen mit der ANC-Regierung: «Im Jahr 1993 wurden Häuser für alle versprochen und in der Verfassung ein Recht auf Wohnen verankert. Der ANC versprach bis 2014 die Slums ausrotten. Neue Siedlungen sollen verhindert und Slums abgebaut werden. Die Folge ist der Abriss unserer Wohnungen.» Aus lokalen Konflikten entstand ein landesweites Netz von Organisationen der HüttenbewohnerInnen, welches mit öffentlichen Mobilisierungen und juristischen Initiativen die Abrisspolitik erfolgreich blockierte.

Der Venezolaner Andrés Antillano verwies in seinem Vortrag auf die zentrale Bedeutung, die Kämpfe um städtische Räume haben. Das Verhältnis von Kapital und Arbeit zeige sich räumlich in der Stadt und ist geprägt von unterschiedlichen Produktionsformen, die räumlich gebunden sind. Die «Überflüssigen» werden als gefährliche Klassen behandelt und verdrängt. Das Thema Wohnen werde dadurch zu einer der wichtigsten Auseinandersetzungen im Klassenkampf. Was inzwischen eine breite, antikapitalistische Bewegung in den Armenvierteln von Caracas ist, hat sich auch hier aus dem Kampf gegen Räumungen entwickelt. «Wir sehen die Stadt als den wichtigsten Ort für die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit», so Antillano.

Urbane Kämpfe vernetzen

Während sich die städtischen Kämpfe in Durban, New York und Caracas vor allem als soziale Kämpfe der Unterklassen um konkrete Forderungen zeigten, dominierte in den Debatten unter den deutschen Initiativen vor allem die Nowendigkeit, inhaltliche, kulturelle und politische Pluralität als Gewinn anzuerkennen. Ein starker Fokus waren die unterschiedlichen Instrumente des politischen Engagements. Stichworte wie Bürgerentscheide, Formen der Selbstermächtigung, Besetzung, Organizing, alternatives Bauen und Mietenrecht präsentieren dabei nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Gesamtprogramm. In den Workshops wurden teilweise spezialisierte Fachdebatten aufbereitet und weitergegeben, so dass auch ähnlich arbeitende Initiativen aus Deutschland vielseitige Anregungen mitnehmen konnten.

Das Bündnis «Recht auf Stadt» kann mit dem Kongress auf eine erfolgreiche Vernetzungsarbeit zurückblicken. Auf lokaler Ebene arbeiteten unterschiedlichste stadtpolitisch Aktive in Hamburg erfolgreich zusammen, obwohl zwischen den Besetzern des Gängeviertels und der Roten Flora, oder etwa der Mieterinitiative in Wilhelmsburg weiter große politische und kulturelle Unterschiede bestehen. Den verschiedenen stadtpolitisch aktiven Gruppen aus Deutschland boten sich Foren für fachlichen Austausch und unzählige Anregungen für Aktions- und Politikformen. Die internationalen Gäste profitierten schließlich vom Kongress als Ausgangspunkt für zukünftige Süd-Süd-Kooperationen.  

Für die beteiligten Gruppen aus Europa dürfte wiederum die Erfahrung interessant sein, dass sich Kämpfe um das Recht auf Stadt in globalen Süden eher als Selbstorganisation an der sozialen Peripherie entwickeln. Der Widerspruch zu Deutschland und konkret dem Kongress war sichtbar. «Junge Menschen mit prekären Arbeitsverhältnissen waren schätzungsweise am zahlreichsten vertreten. Migranten und Hartz IV-Empfänger die Ausnahme» , heißt es in einer ersten Auswertung. Ergänzend zu den unterschiedlichen soziokulturellen Herkunftsorten der AktivistInnen beschrieb der Stadtsoziologe Andrej Holm «das Spannungsverhältnis von utopischen Visionen und reformpolitischen Alternativen» in einem Geleitwort als größte Herausforderung an die Bewegung für ein Recht auf Stadt. 

Malte Daniljuk, Referent Internationale Politik und Soziale Bewegungen bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung