Dokumentation «Kriegsverrat - Vergangenheitspolitik in Deutschland»

Buch zur Rehabilitierung sogenannter „Kriegsverräter“ im Taz-Cafè vorgestellt. Bericht von Axel Krumrey.

Information

Zeit

27.06.2011

Veranstalter

Henning Heine,

Mit

Ludwig Baumann (Vorsitzender der «Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz e. V.»); Jan Korte und Dominic Heilig (Herausgeber); Florian Weis (Rosa-Luxemburg-Stiftung, Begrüßung); Stefan Reinecke (taz, Moderation)

Themenbereiche

Geschichte, Erinnerungspolitik / Antifaschismus

«'Stahlhelmflügel' der Union verliert Deutungshoheit»

So gar nicht passend zeigte sich das Wetter am Abend des 27. Juni, als Rosa-Luxemburg-Stiftung und Dietz Verlag Berlin ins Taz-Cafè in die Rudi-Dutschke-Straße einluden. Strahlender Sonnenschein umrahmte nämlich die erwartete Besprechung eines dunklen Kapitels deutscher Geschichte. Es ging um die Rehabilitierung sogenannter „Kriegsverräter“, die der Deutsche Bundestag 2009, also mehr als 64 Jahre nach Ende der Nazi-Diktatur, auf Betreiben der Linksfraktion in einem Gesetz regelte. Auch wenn es so manchem scheine, als sei diese Zeit bis in ihren letzten Winkel erforscht, führte Stefan Reinicke, der Moderator des Abends ein, so gibt es dennoch einige Leerstellen in der deutschen Geschichtsbetrachtung. Ludwig Baumann, Vorsitzender der Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz, war aus Bremen angereist, um seine Erlebnisse als Deserteur der Deutschen Wehrmacht zu umreißen und den langen Kampf für die Rehabilitierung Tausender als „Kriegsverräter“ Vorbestrafter darzulegen. Jahrzehntelang waren sie vergeblich gegen die historische Blindheit der bundesdeutschen Politik angegangen. Erst 2006 kam das parlamentarische Verfahren wieder in Schwung, nachdem sich der Bundestagsabgeordnete Jan Korte dieser offensichtlichen Ungerechtigkeit zuwendete. Gemeinsam mit Dominic Heilig hat er nun ein Buch mit dem Titel «Kriegsverrat. Vergangenheitspolitik in Deutschland» im Dietz Verlag Berlin herausgegeben, dass den langen Weg zur Rehabilitierung beschreibt. Die NS-Richter hatten mehr als 30.000 Urteile gegen Personen, die Kriegsgefangenen halfen, Juden und Jüdinnen versteckten oder aus der Wehrmacht desertierten, gesprochen. Mit der hanebüchenen Begründung, „Die Urteile können nicht aufgehoben werden wegen nicht auszuschließender Lebensgefährdung deutscher Soldaten durch Kriegsverrat“ zeigte sich die rot-grüne Bundesregierung noch 2002 uneinsichtig. Während in diesem Jahr wenigstens die Nazi-Urteile gegen Wehrmachtsdeserteure pauschal aufgehoben wurden, hatte hingegen das Unrecht gegenüber vielen anderen Opfern der NS-Justiz Bestand. Erst die direkte Ansprache von Teilen des linken Flügels der SPD und einiger Grünen-Politiker, erinnern sich Korte und Heilig, habe zu einer schrittweisen Öffnung für diese Thematik in den damaligen Regierungsparteien geführt. In gewisser Weise bewegte sich also die LINKE auf die anderen Parteien zu, um die Interessen der noch immer als „Kriegsverräter“ Gebrandmarkten zu vertreten. Zu diesem Prozess gehörte auch die Einbindung der Medien. Große Tageszeitungen aus anderen Ländern und auch in Deutschland griffen das Ansinnen von Korte und anderen nach und nach auf und zeigten sich erschrocken über den deutschen Umgang mit dem historischen Erbe. So gelang es schließlich, einen gewissen gesellschaftlichen Druck auf die anderen Parteien im Bundestag aufzubauen. Nach dem Rezept für den letztlich erreichten Erfolg befragt, erwiderten die Herausgeber, dass es unumgänglich sei, Anknüpfungspunkte zu bieten, ohne die eigene Position aufzugeben. Der auf einer Sondersitzung des Deutschen Bundestages 2009 bestätigte Gesetzestext zur Rehabilitierung der sogenannten „Kriegsverräter“ wurde in diesem Sinne nicht von der Linksfraktion eingebracht, weil man dann keine Zustimmung der Unionsfraktion erhalten hätte. Der linke Pragmatismus habe demnach zum Erfolg geführt. Als historischen Moment wollte Jan Korte zudem herausheben, dass auch in der CDU/CSU Bewegung herrsche. So sei signalisiert worden, dass die Zeiten, in denen Personen wie Alfred Dregger oder Norbert Geis die Deutungshoheit über historische Fragen inne hatten, vorbei sind. Ludwig Baumann würdigte das Ergebnis und hob hervor, dass Deutschland mit diesem Beschluss das einzige Land sei, das die „Kriegsverräter“ rehabilitiert habe. Stellt man dieses Ergebnis in eine Reihe mit den weiteren Ansätzen der kritischen Auseinandersetzung um die deutsche NS-Vergangenheit, so das Credo der Autoren, werde schon deutlich, dass sich ein anderes Geschichtsverständnis Bahn breche. Die jüngsten Diskussionen um die Nazi-Verstrickungen des Auswärtigen Amtes belegen diese These. Korte wies mit seinem Abschlussstatement dann auch darauf hin, dass die Linksfraktion an weiteren Initiativen arbeite, um an dieser Entwicklung weiter mitzuwirken. Der Fall des NS-Verbrechers Adolf Eichmann sei in diesem Kontext zu sehen. Ein Blick in den gut gefüllten Veranstaltungsort, ließ auf die Zufriedenheit des Publikums schließen.

Axel Krumrey, Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Jan Korte, Dominic Heilig (Hrsg.)
Kriegsverrat
Vergangenheitspolitik in Deutschland
Analysen, Kommentare und Dokumente einer Debatte
208 Seiten, Broschur, mit 13 Abbildungen, 14,90 Euro
Karl Dietz Verlag Berlin 2011, ISBN 978-3-320-02261-7