Dokumentation Spaniens Arbeiter im Widerstand gegen Sozialabbau

Diskussion mit einem Aktivsten des Sindicato Andaluz de Trabajadores (SAT)

Information

Veranstaltungsort

ver.di Mediengalerie
Dudenstraße 10
10965 Berlin

Zeit

28.08.2012

Veranstalter

Florian Wilde,

Themenbereiche

Arbeit / Gewerkschaften, Staat / Demokratie

Arbeiterproteste und ziviler Ungehorsam im Spanien der Krise

Bericht über Veranstaltung mit Miguel Sanz Alcántara von der andalusischen Gewerkschaft SAT in Berlin am 28. August 2012. Von Florian Wilde.

Seit Beginn der Krise in Spanien macht die andalusische Gewerkschaft SAT (Sindicato Andaluz de Trabajadores – Andalusische Arbeitergewerkschaft) durch spektakuläre Aktionen des zivilen Ungehorsams auf die Situation der Beschäftigten in Andalusien aufmerksam. So besetzten AktivistInnen der SAT verschiedentlich brachliegende Ländereien von Großgrundbesitzern, um ihre genossenschaftliche Bewirtschaftung durch LandarbeiterInnen zu ermöglichen. Im August wurden in zwei andalusischen Supermärkten Lebensmittel durch AktivistInnen der SAT „enteignet“, um sie an Arbeitslose und Arme zu verteilen, eine Aktion, die international eine starke mediale Aufmerksamkeit erfuhr.

Auf einer vom >Forum Betrieb, Gewerkschaft, soziale Bewegung< in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem  >AK Internationalismus der IG Metall Berlin< organisierten Veranstaltung berichtete Miguel Sanz Alcántara, Koordinator der SAT in Sevilla, am 28. August in der ver.di Mediengalerie in Berlin.

Die SAT

Die SAT entstand aus der bereits in den 70er Jahren unter dem Einfluss linker christlicher und maoistischer Gruppen gegründeten, radikalen Landarbeitergewerkschaft SOC. Heute versucht sie, Beschäftigte aller Branchen zu organisieren und hat fast 20.000 Mitglieder in ganz Andalusien. Sie knüpft an die radikalen Traditionen des andalusischen Anarchosyndikalismus aus der Zeit vor Franco an, ohne aber selbst anarchosyndikalistisch zu sein. Miguel schilderte ihr Verhältnis zu anderen Gewerkschaften: Mit allen Basisgewerkschaften gäbe es eine enge Zusammenarbeit. Den beiden großen spanischen Gewerkschaften CC.OO und UGT gegenüber sei die SAT hingegen sehr kritisch eingestellt, da sie in den Jahren der sozialdemokratischen PSOE-Regierung keinen ernsthaften Widerstand gegen die auch schon damals vorherrschende Kürzungspolitik organisiert hätten. Während die SAT daher gegenüber den Führungen dieser Gewerkschaften eine eher konfrontative Haltung einnehme, würde sie gleichzeitig eine enge Zusammenarbeit mit ihren betrieblichen Aktivisten an der Basis suchen. Als einen Beleg für die Erfolge der SAT dabei wertete Miguel den Empfang der Aktivisten des von der SAT organisierten „Marsch der Arbeiter“ in der Industrieregion Punto Real bei Cadíz am Tag der Veranstaltung: Tausende von Arbeitern seien aus den Fabriken gekommen und hätten die Marschierenden begeistert begrüßt.

Landbesetzungen und Kooperativen

Eine lange Tradition hat bei der SAT die Besetzung brachliegender Ländereien von Großgrundbesitzern. Miguel berichtete, dass bei einer Besetzung sofort mit der Bebauung des Landes begonnen wird. Dabei versuchen die Besetzer deutlich zu machen: Das Land ist ein öffentliches Gut und gehört in die Hände aller! Die SAT habe viele erfolgreiche Besetzungen durchgeführt und immer wieder durchsetzen können, dass brachliegendes Land an Kooperativen übergeben wird. Mit Hilfe von Netzwerken linker Gruppen würden die Erzeugnisse vertrieben werden.

Sozialistisches Vorzeigedorf Marinaleda

Eine besondere Bedeutung komme dabei dem seit Jahrzehnten kommunistisch regierten Dorf Marinaleda vor, einer Hochburg der SAT. Während in Andalusien die Arbeitslosigkeit bei 35% liegt, seien es in Marinaleda unter 5%. Während Arbeiter im restlichen Andalusien im Durchschnitt 600 Euro im Monat für das Abbezahlen ihrer Hypotheken für ihre Wohnungen zahlen müssten, gehörten in die Häuser in Marinaleda der Kommune und würden daher nur 15 Euro Miete im Monat kosten. Alle öffentliche Infrastruktur sei komplett kostenlos, die Einwohner würden alle sie betreffenden Fragen auf regelmäßig stattfindenden Versammlungen selbst und demokratisch entscheiden. Anhand dieses Beispiels könne die SAT offensiv demonstrieren, dass es funktionierende sozialistische Alternativen gäbe.

Debatten um linke Neuformierung

Obwohl die SAT historisch der Partei der Vereinigten Linken (IU) verbunden ist, gäbe es aufgrund der Regierungsbeteiligung der IU in Andalusien momentan eine große Unzufriedenheit der Gewerkschaft mit der Partei. Denn die Regierung würde die Kürzungspolitik fortführen, anstatt konsequent mit ihr zu brechen. Wortführer der Opposition ist dabei Juan Manuel Sánchez Gordillo, Bürgermeister von Marinaleda, SAT-Aktivist und Abgeordneter der IU im andalusischen Regionalparlament. Miguel berichtete von aktuellen Debatten über eine mögliche Abspaltung des radikalen Flügels der Partei und über eine Neuformierung der Linken. Jede Neuformierung müsse aber unbedingt eine Mehrheit der Basis der IU mit einschließen.

Aktionen des zivilen Ungehorsams

Seit ihrer Gründung spielen Aktionsformen des „zivilen Ungehorsams“ wie Landbesetzungen und Straßenblockaden eine wichtige Rolle für die SAT. Seit Ausbruch der Krise kommen sie verstärkt zum Einsatz. Am 8. August enteigneten AktivistInnen der Gewerkschaft, darunter auch der Bürgermeister von Marinaleda, Lebensmittel in zwei großen Supermärkten und verteilten sie in Armenstadtteilen. Miguel, der selbst in der Anwaltskooperative der SAT arbeitet, berichtete, dass die Gewerkschaft infolge ihrer Aktionen einer sehr scharfen Repression ausgesetzt sei. Jeder der bekannten Köpfe der SAT sei bereits im Gefängnis gewesen, rund 400.000 Euro Strafgelder seien gegen die kleine Gewerkschaft verhängt worden.

Der „Marsch der Arbeiter“

Im August fand ein von der SAT organisierter „Marsch der Arbeiter“ durch Andalusien statt. Entlang der Route kam es dabei immer wieder zu Aktionen der Gewerkschaft: Kundgebungen gegen Niedriglöhne, Blockaden von Verkehrsstraßen (ebenfalls eine traditionelle Aktionsform der andalusischen Landarbeiter) und sogar der vorübergehenden Besetzung eines Palastes einer Cousine des spanischen Königs. Miguel schilderte, dass die SAT völlig überrascht vom Erfolg ihrer eigenen Aktion gewesen sei: sie habe mit höchstens 300 Teilnehmern des wochenlangen Marsches durch die Hitze des andalusischen August gerechnet. Tatsächlich waren es bald um die Tausend. Andere linke Kräfte mussten um Unterstützung durch Wasser und Verpflegung gebeten werden.

Friedlich, aber radikal

Mit ihren spektakulären Aktionen habe die SAT in Andalusien große Sympathien gewonnen. Zudem würden sich viele Menschen, die zuvor in der großen Bewegung der „indignados“ (Empörte) aktiv waren, der Gewerkschaft anschließen und neuen Wind in sie bringen. Die Strategie der SAT sei darauf ausgerichtet, zusätzlich zu der für sie zentralen Organisationsarbeit in den Betrieben durch radikale und spektakuläre, dabei aber immer friedliche Aktionen öffentlich linke Proteste und Alternativen sichtbar zu machen. Sie hoffe, dadurch nicht nur andere Menschen zum Kämpfen zu motivieren und selbst dabei zu wachsen, sondern auch andere Gewerkschaften und linke Parteien für einen entschlosseneren Kampf gegen Ursachen und Folgen der Krise zu gewinnen.

Die anschließende, lebhafte Diskussion der etwa 30 Veranstaltungsteilnehmer mit vielen Fragen an den Referenten verdeutlichte das Interesse an der Gewerkschaft und ihren Aktionen.

Bereits am 25. August hatte eine weitere Veranstaltung mit Miguel Sanz Alcántara – diesmal in Kooperation mit AVANTI-Projekt undogmatische Linke – im Rahmen eines linken Stadtteilfestes im Hamburger Schanzenviertel stattgefunden, die von ca. 70 Personen besucht wurde.

Auf beiden Veranstaltungen übersetzte Rabea Hoffmann.

Ein Text des Referenten zur Geschichte der SAT

Pressestimmen

  • Ankündigungstext

Miguel Sanz Alcántara von der andalusischen Gewerkschaft SAT aus Sevilla berichtet über diese Gewerkschaft, die Hintergründe ihrer Aktionen und die Auswirkungen der Krise in Spanien Wir wollen mit ihm die Perspektiven internationaler gewerkschaftlicher Solidarität im Europa der Krise zu diskutieren.