Dokumentation Platz der Träume – Rüyalar Meydani

Aufbruch am Taksim: Wofür wir kämpfen. Aktivistinnen und Aktivisten aus Istanbul berichten.

Information

Veranstaltungsort

Gezi Park Fiction
Fischmarkt 19
22767 Hamburg

Zeit

23.08.2013

Mit

Gökhan Biçici, Meltem Oral, Begüm Özden Fırat

Themenbereiche

International / Transnational

«Die Wünsche werden die Wohnung verlassen und auf die Straße gehen». In seinem Grußwort umschreibt ein Aktivist vom Park Fiction Komitee anschaulich den Anspruch einer kollektiven Wunschproduktion im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Ein von Anwohner_innen, Künstler_innen und Architekt_innenen gemeinsam gestalteter Park, der «Park Fiction», ist heute das Ergebnis.

Zur Hamburger Veranstaltung «Platz der Träume – Rüyalar Meydani», versammelten sich über 300 Besucher_innen in dem am 16. Juni 2013 in «Gezi Park Fiction» unbenanntem Park. Ein passender Ort, für eine Veranstaltung, die kurzerhand zu einer Versammlung im öffentlichen Raum wurde, mit Musik, Essen und Trinken und vor allem mit anschaulichen Berichten von Gökhan Biçici, Meltem Oral und Begüm Özden Fırat zu den (anhaltenden) Gezi Protesten in Istanbul. Schon lange vor Veranstaltungsbeginn war der Teestand vor Ort, wurden Getränke angeboten und es konnte zur Musik des DJs geschwooft werden. Open-Air im Gezi-Park-Fiction, stark an die lokalen Kämpfe um Recht auf Stadt angebunden und konsequent bilingual, das waren die Rahmenbedingungen des Stopps in Hamburg. Damit wurde das Kennzeichen des Gezi-Widerstands, der kulturelle Protest, die praktische Aneignung des öffentlichen Raums greif- und erlebbar und prägte auch die Inhalte, über die an diesem Abend geredet wurde.

Begüm Özden Fırat machte schon in ihrem ersten Statement klar, dass für sie ihr Protest Teil des globalen Aufstands von Spanien bis Brasilien ist. Eine Anti-Gentrifizierungs-Bewegung, die aussah wie immer, produzierte durch die Wut der Menschen den Funken, der Phantasie und Umdenken möglich werden ließ. «Wir sind überall» und «Wir werden gewinnen», zwei Slogans der Bewegung, waren keine Durchhalteparolen nach innen wie so oft, sondern ein Erfahrungswert. Heute schon hat sich eine neue städtische Kultur herausgebildet, die sich in der massiven Nutzung der Parks und dem Entstehen immer neuer Foren zeigt. Wie auch schon in Hannover und Berlin insistierten die Moderator_innen immer wieder auf die Frage nach den Akteur_innen: Wer stand neben euch in der Reihe? Wer hat diesen Protest mit all seinen neuen Formen getragen? Neben den Aktiven der politischen Linken der vergangenen Jahrzehnte waren vor allem Jugendliche, Frauen und LGBTs und Alevit_innen wichtige und neue Verbündete im Widerstand, so die einhellige Antwort. Aber nicht, so Gökhan Biçici, im Sinne einer soziologischen Größe, sondern im politischen Sinne. Besonders die Fangruppe des Istanbuler Fußballclubs Besiktas mobilisierten zehntausende Jugendliche, durch die Mobilisierung der antikapitalitischen Muslime in den Gezi-Park wächst innerhalb der islamischen Sphäre die Opposition gegen Ministerpräsident Erdoğan. In den ersten Tagen gab es, so Gökhan Biçici, eine starke Zurückhaltung seitens der kurdischen politischen Elite, da sie u.a. symbolisiert durch die immer stärkeren Präsenz der türkischen Nationalfahne, den Friedensprozess gefährdet sahen. Mittlerweile, so Gökhan weiter, hat sich immer stärker die Meinung durchgesetzt, dass dieser Protest auch die historische Brücke sein kann im gemeinsamen Kampf der politischen und kurdischen Bevölkerung.

Nach gut einer Stunde riefen die Moderator_innen dann dazu auf, die Diskussion in zwei kleineren Foren, ganz im Sinne der Erfahrungen vom Gezi-Park, fortzusetzen. Ein gewisses Risiko, doch das Setting und wahrscheinlich auch die Erfahrung der Teilnehmer_innen der Veranstaltung bewirkten, dass gerade in diesem kleineren Rahmen die Widersprüche und Herausforderungen des Protestes noch einmal zur Sprache kamen. Stichworte dafür waren: nationalistische Töne dürfen nicht unter den Tisch gekehrt werden, eine Vernetzung des landesweiten Widerstandes tut Not und keine Romantisierung des «Wir». Noch lange in die Nacht zogen sich die Gespräche unter den St.Pauli-Palmen.

Andreas Merkens, Silke Veth

Die Gäste:

Gökhan Biçici ist Programmredakteur beim Nachrichtenkanal İMC TV, Redaktionsmitglied des Onlineportals EmekDunyasi und diesjähriger «Pressefreiheit»-Preisträger des türkischen Journalist_innenverbandes.

Meltem Oral ist Aktivistin in Kampagnen gegen Neoliberalismus, Rassismus, Homophobie etc. und von Beginn an an den Protesten im Gezi-Park beteiligt.

Begüm Özden Fırat ist Autorin und Dozentin für Soziologie an der Mimar Sinan Hochschule für bildende Kunst in Istanbul und politisch aktiv in Migrationsnetzwerken und Anti-Gentrifizierungsinitiativen.

Göksun Yazıcı ist Autorin beim linken Journal Express und Mitglied einer kommunalen libertären Gruppe.

Fırat Genç ist Autor und Doktorand an der Bogazici Universität in Istanbul und politisch aktiv in Migrationsnetzwerken und Anti-Gentrifizierungsinitiativen.

Begüm, Göksun und Fırat sind organisiert im Netzwerk Müştereklerimiz («Unsere Commons»).

Flyer mit allen Terminen

Mehr Informationen: rosalux.de/platz-der-traeume

Mediathek

«Dies ist nur der Anfang, wir kämpfen weiter!»

Aufbruch am Taksim: Wofür wir kämpfen

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