Dokumentation Bergbau und Agroindustrie: Lokaler Widerstand in Dörfern und comunidades

Politik der Ressourcen in Argentinien, Paraguay und Brandenburg.

Information

Veranstaltungsort

Hof Apfeltraum
Hauptstr. 43 A
15374 Müncheberg

Zeit

12.12.2013

Veranstalter

Susanne Schultz,

Mit

Claudia Korol, Marielle Palau, Christof Potthof und Daniel Häfner.

Themenbereiche

Staat / Demokratie, Stadt / Kommune / Region, International / Transnational, Globalisierung, Ernährungssouveränität

Realitätscheck: Ein Austausch zwischen Brandenburg und Südamerika

Was hat Landgrabbing in Ostdeutschland mit Goldminen in Argentinien zu tun? Eine Veranstaltung im brandenburgischen Müncheberg im Dezember 2013 mit Gästen der ROSA-LUXEMBURG-STIFTUNG aus Paraguay und Argentinien spannte den Bogen weit - sowohl international als auch zwischen Agroindustrie und Groß-Bergbau.  Denn: zumindest in Lateinamerika werden beide Sektoren der Exportproduktion gemeinsam unter dem Stichwort des «Extraktivismus» diskutiert, oder auch unter dem Stichwort «Reprimarisierung» -als Verweis auf eine Rückkehr zur alten Rolle des Kontinents als globaler Lieferant von «Primärgütern», also Rohstoffen. Im Zentrum der Diskussion steht die aktuelle Dynamik eines auf diese Wirtschaftssektoren fokussierten Entwicklungsmodells – und dessen oftmals  desaströsen Auswirkungen für lokale Bevölkerungen. Aber auch in Deutschland gibt es vergleichbare Prozesse des Landgrabbing oder der Vertreibung durch Bergbau - wenn auch im kleineren Rahmen - und auch hier gibt es vielfältige Beispiele für Protest und Widerstand.

Weltmarktabhängigkeiten und Vernetzung von unten

Eine Ebene für den internationalen Austausch war in Müncheberg die Frage globaler Handelsbeziehungen. So ist es etwa für ein landwirtschaftliches Umfeld  in Deutschland (und nicht nur für dieses…) wichtig, sich mit den Produktionsbedingungen von Tierfutter auseinanderzusetzen.

Marielle Palau von der Nichtregierungsorganisation BASE-IS berichtete, dass in Paraguay mittlerweile 90 Prozent des kultivierbaren Landes von Sojaplantagen bedeckt sind. Auf 85 Prozent dieser Flächen wiederum wird gentechnisch verändertes Saatgut der Firma Monsanto angebaut. Als Tierfutter Nummer 1 für die Massentierhaltung ist Soja für die deutsche Agroindustrie zentral; und diese globalen Ausbeutungsbeziehungen sind ein Grund mehr für lokale Initiativen in Deutschland, sich - wie etwa in Eggersdorf/Müncheberg - derzeit, gegen einen geplanten Schweinegroßmastbetrieb einzusetzen. Palau machte die dramatischen gesellschaftlichen Auswirkungen dieses System der «Sojaisierung» für die ländliche Bevölkerung in Paraguay deutlich: Allein in den letzten zehn Jahren wurde etwa eine Million KleinbäuerInnen vertrieben; sie verloren nicht nur ihre Existenzgrundlage, sondern ihre ganze Art zu leben. Dies und nicht politische Ideologien oder ökologische Haltungen seien Hauptgrundlage für ihren Widerstand.

In einem Interview mit RLS-Mitarbeiterin Verona Wunderlich berichtet Marielle Palau über ihren Kampf gegen die Agrarindustrie in Paraguay. 

Christof Potthof vom Gen-ethischen Netzwerk in Berlin machte deutlich, dass in Deutschland zwar der Widerstand gegen den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen sehr erfolgreich war (er erklärte dies aus dem Zusammenspiel verschiedener Formen des Widerstands – von Feldbesetzungen/-zerstörungen bis zu regionaler Bildungsarbeit und Lobbypolitik). Einen wichtigen Kampf gebe es aber noch auszutragen und dafür sei der Austausch mit den Organisationen in Südamerika extrem wichtig: Weiterhin gibt es in Deutschland keine Kennzeichnungspflicht für Produkte von Tieren, die mit gentechnisch verändertem Saatgut gefüttert wurden. Im Koalitionsvertrag gebe es dazu eine vage Erklärung: ein Anlass, dies zum Thema gemeinsamer Kampagnen zu machen.

Auch zum Thema Bergbau, so wies Daniel Häfner von Robin Wood hin, gibt es in Deutschland Initiativen, die eine kritische Öffentlichkeit für die globalen Handelsbeziehungen zu schaffen versuchen: Er beeindruckte die lateinamerikanischen Gäste mit Fotos von einer Schiffsblockade-Aktion im Hamburger Hafen vom Mai 2013, die sich gegen den Import «bitterer Kohle» aus Kolumbien eingesetzt hatte.

Vom Besetzen von Bäumen und Anlagen bis zur Volksbefragung: Lokale Widerstände hier und dort

Wichtig für den brandenburgisch-südamerikanischen Austausch war aber noch etwas anderes: Das Erzählen lokaler Geschichten des Widerstandes, auch in Deutschland. Während Weltmarktabhängigkeiten für Palau und Korol schon lange im Zentrum der Kritik stehen, erfuhren sie von den BrandenburgerInnen Neues darüber, wie Landgrabbing und Vertreibung durch Bergbau auch deutsche Realitäten prägt. Daniel Häfner, der auch für die Kampagne «Kein weiteres Dorf abbaggern!» sprach, berichtete darüber, dass für den Braunkohletagebau in  der Lausitz immer noch Dörfer zerstört und etwa in der nächsten Etappe für fünf der neuen Kohlegruben von Vattenfall insgesamt noch über 3.000 Menschen umgesiedelt/vertrieben werden sollen. Widerstandsstrategien und Öffentlichkeitsarbeit sind auch hier vielfältig und reichen von Arbeit mit ParlamentarierInnen über Vorschläge einer alternativen Regionalplanung bis zu Hungerstreiks und Baumbesetzungen.

Von gelebten Alternativen landwirtschaftlicher Produktion bekamen Palau und Korol einen Eindruck bei Besuchen der Agrarkommune Bienenwerder und des Hofes Apfeltraum, der auch die Veranstaltung ausrichtete. Hier taten sich ebenso Parallelen auf: Auch in Brandenburg gibt es das Problem der Landvertreibung: PächterInnen haben keinerlei Vorkaufsrechte, wenn ihr Land, das sie jahrelang bewirtschaftet haben, vom Land Brandenburg in geheimer Auktion an den Meistbietenden versteigert wird.  Die Kommune Bienenwerder leistet seit vielen Jahren Widerstand gegen diese gnadenlose Privatisierung, von der derzeit sowohl kleinbäuerliche Betriebe als auch Agrarkollektive betroffen sind ().

Und: Nicht nur in Argentinien und Paraguay gibt es Proteste gegen die toxischen Stoffe im Monsanto -Herbizid Roundup, insbesondere den Wirkstoff Glyphosat. Auch im privat bewirtschafteten Wald bei Müncheberg kommt das Herbizid zum Einsatz. Die Kommune Bienenwerder hat es immerhin erreicht, dass überhaupt Informationen für die AnwohnerInnen aufgehängt werden, die hier spazieren gehen oder Pilze sammeln.

Claudia Korol von der argentinischen Organisation Pañuelos en Rebeldía berichtete, dass  die krankmachenden und in manchen Fällen für Kinder gar tödlichen Folgen der Versprühung von Glyphosat Hauptgrund für die AktivistInnen seien, sich im argentinischen Cordoba an einer der international derzeit erfolgreichsten Widerstandsaktionen gegen Monsanto zu beteiligen - nämlich an der Besetzung einer Anlage des Konzerns für die Verarbeitung gentechnisch veränderten Saatguts. Schon seit über drei Monaten harren die BesetzerInnen nun aus – gegen massive Repression. Pañuelos en Rebeldía unterstützt außerdem die Proteste in etwa 100 Gemeinden entlang der argentinischen Kordilleren, die sich gegen die aktuellen Projekte eines Hightech-Bergbaus einsetzen, der mit enorm zerstörerischen Auswirkungen verbunden ist – nicht nur durch das Wegsprengen ganzer Bergspitzen, sondern auch durch den Einsatz giftiger Chemikalien und durch den Verbrauch von enorm viel Wasser, das dann den Gemeinden der Umgebung fehlt.

Was bringt ein solcher Austausch? Für die Südamerikanerinnen ermöglichte der Besuch in Brandenburg neue Eindrücke über Parallelen in der Ressourcenpolitik, neue Ideen für Widerstandsformen (schmunzelnd fragten sie nach Kletterkursen für Baumbesetzungen) und Kontakte insbesondere für die Vernetzung gegen Monsanto. Für die BrandenburgerInnen war besonders die Vielfalt von Aktionen in den lateinamerikanischen Dörfern gegen Bergbau und Agroindustrie überwältigend. Doch auch hier sorgte Korol für den Realitätscheck: Das Beispiel der Gemeinde Esquel, das sie im Vortrag erwähnt hatte, und wo sich 80 Prozent der Bevölkerung in einer Volksbefragung gegen die geplante Goldmine ausgesprochen hat und den Abbau nun seit über zehn Jahren verhindert, sei auch für sie ein außergewöhnlicher Erfolg. Vielerorts könnten sich die Bergbau-Konzerne mit einer Mischung aus Geschenken, Korruption und Drohungen durchsetzen.

Susanne Schultz