Dokumentation 1945/46 – Das erste schwere Nachkriegsjahr in Breslau/Wrocłow

Eine Veranstaltung des GK „Geschichte für die Zukunft“. Mit: Prof. Marek Ordyłowski.

Information

Zeit

04.12.2013

Veranstalter

Cornelia Domaschke,

Mit

Prof. Marek Ordyłowski

Themenbereiche

Geschichte, Erinnerungspolitik / Antifaschismus, Osteuropa

Der polnische Historiker, Prof. Marek Ordyłowski aus Wrocław sprach zu seinem gleichnamigen Beitrag im Texteband 73 Widerstand und Heimatverlust. Deutsche Antifaschisten in Schlesien.

Hier der dokumentierte Vortrag:

Das erste Jahr in Wrocław 1945/1946

Wrocław, die an der Oder gelegene Stadt mit vier Zuflüssen, hat eine lange Geschichte. Ihre Anfänge reichen bis ins Altertum zurück. Die Stadt befand sich in polnischen, tschechischen, habsburgischen, preußischen, deutschen und wieder in polnischen Händen. Auf lateinisch heißt sie Vratislavia. Polen nennen sie Wrocław, die Tschechen Vratislav, die Deutschen Breslau. Seit 1000 Jahren ist die Stadt die Hauptstadt Schlesiens, ihr wichtigstes wirtschaftliches, kulturelles und religiöses Zentrum. Seit 1000 Jahren ist sie die Hauptstadt der katholischen Diözese und seit 1929 der Erzdiözese.

 

Im Jahr 1939 zählte die Stadt 630 000 Einwohner. Während des Krieges befand  sie sich weitab von der Frontlinie und außerhalb der Reichweite der alliierten Luftwaffe. Sie galt als ruhiges Gebiet, in das viele Menschen aus bombardierten Regionen evakuiert wurden. Sie wurde damals als Luftschutzbunker des III. Reiches bezeichnet. Wrocław zählte im Januar 1945 zusammen mit den Flüchtlingen aus den Frontgebieten 1 Million Einwohner. Vom 19. Januar bis Mitte Februar verließen auf Befehl des Gauleiters Karl Hanke ungefähr 700 000 Personen die Stadt. Am 16. Februar schloss sich der Ring der sowjetischen Armee um die Festung Breslau und es begann die Agonie. Während der Kämpfe wurden ganze Viertel zerstört.

Am 6. Mai 1945 kapitulierte die Festung Breslau mit einer schrecklichen Bilanz. Von 30 000 Häusern überstanden gerade 10 000 die Belagerung. Im südlichen und westlichen Teil der Stadt lagen 90 Prozent in Schutt und Asche, in der Altstadt und im Zentrum 50 Prozent, in den restlichen Stadtteilen 10 bis 30 Prozent. Die wenigsten Schäden erlitten die Stadtteile Bischofswalde (Biskupin), Wilhelmsruh (Zacisze), Zimpel (Sępolno), Leerbeutel (Zalesie), Karlowitz (Karłowice). Die Stadt war mit 8 Millionen Kubikmeter Schutt übersät. Die Zerstörungen betrafen 80 Prozent des Elektrizitätswerkes, 100 Prozent des Beleuchtungsnetzes, 80 Prozent des Straßenbahnnetzes und der Gleise und 60 Prozent des Gaswerkes. Beschädigt wurden auch das System der Wasserleitungen und die Kanalisation. Von 658 km der Breslauer Straßen  waren 300 km mit Schutt zugedeckt. Völlig zerstört waren 60 Prozent der Industrieanlagen und der Rest befand sich in einem bedauernswerten Zustand. Zerstört wurden auch viele kulturelle und sakrale Baudenkmäler. In alle Winde zerstreut wurden Kunstwerke, Archivalien, Bibliotheksbestände. Viele Parks und Grünflächen mussten in Friedhöfe umgewandelt werden.

In Übereinstimmung mit den Beschlüssen der Alliierten in Jalta sollte Schlesien an Polen fallen als Kompensation für die Gebiete in Ostpolen, die von Russland besetzt wurden. Vor dem Krieg betrug die Fläche Polens 388 634 km². Jetzt sind es 312 679 km².  Am 9. Mai kam die polnische Verwaltungsmannschaft in Wrocław an, um in der Stadt die Macht zu übernehmen. Der neu ernannte Stadtpräsident Bolesław Drobner kannte Wrocław noch vor dem Krieg. Er hatte Chemie in Berlin und Freiburg studiert. Einer der Vizepräsidenten Ingenieur Kazimierz Kuligowski, Absolvent der Moskauer technischen Hochschule, war für die Kontakte mit den Russen verantwortlich. Er sprach fließend russisch, war trinkfest und besaß ein starkes Durchsetzungsvermögen. Das waren Eigenschaften, die für den Kontakt mit den Russen unerlässlich waren.

In der Stadt befanden sich etwa 160 000 Deutsche, hauptsächlich Frauen und Kinder sowie Ältere, außerdem tausende Zwangsarbeiter, hauptsächlich Polen, aber auch Franzosen, Italiener, Holländer, Bulgaren, Litauer, Russen, Serben, Ukrainer, Tschechen und Ungarn. Alle waren in Arbeitslagern eingesperrt. Außerdem befanden sich in den Krankenhäusern 6000 verwundete und kranke deutsche Soldaten. Ein Teil von ihnen wurde von sowjetischen Ärzten betreut. Diejenigen, die fieberfrei waren, konnten selbstständig in Richtung Westen abmarschieren. Der Rest wurde in polnischen Krankenhäusern untergebracht. In den Ruinen versteckten sich zudem viele deutsche Soldaten, die auf der Suche nach Lebensmitteln oft Feuer legten. Das war in den Tagen vom 7. bis 10. Mai.

In der Stadt befanden sich auch viele Deserteure und Marodeure, die die Sicherheit in Wrocław erheblich gefährdeten. Der Rektor der Universität, Prof. Stanisław Kulczyński, erinnerte an Banden betrunkener und plündernder Soldaten, die in die wissenschaftlichen Institute einbrachen. Auf der Suche nach Alkohol tranken sie Spiritus. Aber in diesem Spiritus waren für wissenschaftliche Zwecke Präparate, z.B. Fische, Schlangen, sogar verstorbene Neugeborene, eingelegt worden. Diese Präparate befanden sich im Institut für Pathologie der medizinischen Fakultät.

Ein Problem waren auch die Menschenmassen, die von der Zwangsarbeit zurückkehrten, die in verlassenen Häusern und Lagern auf der Suche nach Lebensmitteln umherstreunten. Indem sie Feuer anzündeten, um die Treppenflure zu erleuchten, verursachten sie viele Brände.

Die erste Aufgabe der neuen polnischen Machthaber bestand darin, ein normales Leben in der Stadt zu organisieren. Es galt die Feuer zu löschen, die Barrikaden in den Straßen zu beseitigen, die Wasserleitungen und alle städtischen Dienste in Betrieb zu nehmen, die Verteilung der Lebensmittel zu organisieren, die Produktionsbetriebe in Gang zu setzen. Das war eine ungewöhnlich schwierige Aufgabe, denn in Wrocław befand sich eine starke Garnison der Roten Armee, deren Kommandant der faktische Herrscher der Stadt war. Hinzuzufügen ist, dass neben den Soldaten und Zivilisten, die auf eigene Rechnung und Gefahr auf Raubzüge gingen, es noch sogenannte „trofiennyje roty“ gab, die Maschinen und Geräte im Rahmen des organisierten Raubs entwendeten. Es wurden Industrieanlagen, Druckereien, Energiestationen, Kunstwerke ausgeführt. Als interessante Einzelheiten sind zu erwähnen, dass selbst die Guillotine aus dem Breslauer Gefängnis mitgenommen wurde und sich heute in Kiew als ein Geschenk des polnischen Volkes befindet, aber auch die Starkstromleitung für die elektrische Eisenbahnlinie von Wroclaw nach Jelenia Góra (Breslau-Hirschberg).

In den ersten Tagen nach der Kapitulation musste der Erwerb und die Verteilung von Lebensmitteln schnell gelöst werden. Große Mengen von Lebensmitteln wurden aus Furcht vor dem Verderben in provisorischen Lagern, z.B. in Läden oder Kellern untergebracht. Ein Teil der Lebensmittel war von der Bevölkerung am Vortag der Kapitulation gestohlen worden. Dazu zählten Stadtteile wie z.B. Biskupin/Bischofswalde, wo sich in jedem Haus einige Säcke Zucker und andere Vorräte befanden. Ein Teil der Lebensmittel wurde konfisziert, indem man den Bewohnern eine notwendige Menge für einige Wochen überließ. Im Breslauer Hafen befanden sich einige tausend Tonnen Zucker, in den Mühlen gab es Mehl und Getreide, in Magazinen gepökeltes Fleisch. Die größten Lebensmittelvorräte wurden in Armeemagazinen gelagert, die dann von sowjetischen Abteilungen übernommen und nach einigen Tagen der polnischen Führung übergeben wurden. Am schnellsten eröffneten die Bäckereien:  die erste am 10. Mai 1945. Nach einem Monat arbeiteten schon 100. Sie wurden in der Regel von ihren bisherigen Besitzern geführt – von Deutschen.

Anfangs erhielten die Mitarbeiter der neu entstandenen polnischen Verwaltung keine Zuteilungen, sondern mussten sich in Kantinen versorgen. Viele ernährten sich auf eigene Faust, indem sie in Ruinen, in verlassenen Wohnungen und Kellern auf Lebensmittel-Suche gingen. Lebensmittel gab es auch oft in den Betrieben, die ihre Arbeit wieder aufgenommen hatten.

Weil die Geschäfte nicht funktionierten, waren die städtischen Lager/Magazine die einzige Quelle, die polnische und deutsche Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen. Sehr schnell entstanden Handelsplätze, wo die Deutschen Kleidung und andere  Waren in Lebensmittel tauschten. Das war ein typischer Tauschhandel mit einer ungeklärten Valutasituation. Die deutsche Mark war in Umlauf und ebenso der polnische Złoty im Kurs von einer  Mark zu zwei Złoty. Bis Ende Juli 1945 war faktisch die Mark in Umlauf. Erst ab 1. August wurde der Złoty die Umlaufvaluta.

Der städtische Organismus kam relativ schnell in Gang. Schon am 12. Mai 1945 gab es den ersten Strom, am 15. Mai floss Wasser aus den Wasserhähnen, am 16. Mai wurde die erste Post versandt. Kunden waren Deutsche, die Briefe an ihre Verwandten schickten. Am 21. Mai traute der Präsident Wrocławs das erste Brautpaar. Im Mai wurde auch die Telefonzentrale in Betrieb genommen. Nebenbei sei gesagt, dass Ende Mai Mitarbeiter des Amtes für Telekommunikation in einem verschütteten Keller einen Mann fanden, der keine Ahnung davon hatte, dass der Krieg beendet war. Auch telefonische Verbindungen zwischen den niederschlesischen Städten wurden hergestellt. Am 8. Juni erschien in Wrocław die erste polnische Zeitung „Nasz Wrocław“ („Unser Wroclaw“). Am 16. Juni öffnete das erste Kino in der ulica Ogródowa (Gartenstraße). Am 21. Juni fuhr die erste Autobuslinie vom Stadtteil Karłowice (Karlowitz) nach Podwale.

In den ersten Monaten nach Beendigung des Krieges gab es eine komplizierte Situation in der Verwaltung der Stadt. Die formelle Macht übte die Stadtverwaltung mit dem Präsidenten an der Spitze aus. Unabhängig von ihm amtierte der sowjetische Kriegskommandant, der die Stadt in zwölf regionale Kommandanturen aufteilte. Nach eigenem Ermessen besetzte er einen Teil der Betriebe und Einrichtungen und beschäftigte Deutsche zwangsweise, die für ihre Arbeit ausschließlich Lebensmittel erhielten. Außerdem existierten in Wrocław zwei Organisationen, die sich als antifaschistische darstellten. Eine von ihnen war die Vereinigung Deutscher Antifaschisten unter der Führung von Paul Marzoll. Sie zählte etwa 800 Mitglieder und arbeitete mit der polnischen Verwaltung zusammen. Sie lieferte ihr viele Faschisten aus, die sich versteckt hielten. Die Antifaschistische Freiheitsbewegung hingegen, geführt von Hermann Hartmann, arbeitete eng mit der sowjetischen Kommandantur zusammen. Sie besetzte mit den eigenen Leuten die Stadtteil-Bürgermeister und unter Umgehung einer Zusammenarbeit mit der polnischen Verwaltung eröffnete sie Quartierbüros und gründete eine Jugendorganisation. Weil die Russen Leute zur Beseitigung von Schutt auf den Straßen und zur Inbetriebnahme von Betrieben, zur Demontage von Objekten und Einrichtungen benötigten, beriefen sie Beamte, die Leute zur Arbeit verpflichteten. Deshalb eröffnete Hartmann ein Arbeitsamt, das die Leute zu den verschiedensten Arbeiten einteilte. Definitiv wurde diese Angelegenheit nach dem Potsdamer Abkommen entschieden und die antifaschistischen Organisationen wurden aufgelöst. Sowjetische Truppen blieben bis Oktober 1992 in Wrocław und schufen für sich eine Enklave unabhängig von der polnischen Verwaltung.

Nach dem Potsdamer Abkommen begann eine intensive Ansiedlung der polnischen Bevölkerung und auf breiter Skala eine Aussiedlung der Deutschen. Im Ergebnis dessen wohnten Ende 1945 in Wrocław schon 53 000 Polen. Im Februar 1946 lebten in Wrocław 168 000 Menschen, darunter 110 600 Deutsche, Ende 1946 203 000 Personen, darunter nur noch 18 000 Deutsche, im November 1947 wuchs die Zahl der Einwohner  auf eine viertel Million, darunter 4205 Deutsche. In Wrocław wurden vor allem Ansiedler aus dem Osten (ehemaliges Ostpolen) ansässig, aber auch inländische Migranten aus den während des Krieges stark zerstörten Gebieten – Warschau und Umgebung, Großpolen, Zentralpolen. Zahlreich waren auch Remigranten aus Frankreich, die dort in den zwanziger Jahren Arbeit gesucht hatten. Die Herkunft der Ankömmlinge verrieten auch die Namen von gastronomischen und Dienstleistungs –Einrichtungen und Geschäften, die in dieser Zeit öffneten, z.B. Lemberger Bar, Bar Lemberger Hölle, Ostpolnisches Restaurant, Warschauer Restaurant, Posener Süßwarenladen, Warschauer Wirtshaus, Kielecker Bäckerei, Lemberger Friseur.

Unter den Ankömmlingen in Wrocław befand sich eine nicht unbedeutende Zahl von Juden, die Häftlinge der Konzentrationslager in Niederschlesien waren. Im Mai 1945 befanden sich in Wrocław etwa 5000 Juden, darunter etwa 2000 polnische. Zwischen den polnischen und deutschen Juden kam es zu verschiedenen Konflikten auf Grund kultureller und traditioneller Unterschiede. Unter den polnischen Juden gab es viele Orthodoxe, aber auch Chassiden, die jiddisch sprachen. Die deutschen Juden sprachen deutsch und waren eher liberal. Die Mehrheit der deutschen Juden verließ Niederschlesien innerhalb kurzer Zeit, während die Zahl der polnischen Juden vom Februar 1947 auf 20 534 Personen anwuchs. (Von 206 000 Einwohnern waren 190 000 Polen und 16 000 Deutsche). Ein Grund war die Tatsache, dass nach den Kriegserlebnissen  die Leute nicht dorthin zurückkehren wollten, wo rauchende Trümmer und Massengräber von Angehörigen waren. Ihr Aufenthalt an einem neuen Ort erlaubte ihnen, Depression und psychischen Zusammenbruch zu überwinden.  Eine andere Sache war, dass durch Wrocław und Kłodzko die Strecke über Wien und dann nach Palästina führte. Viele Juden verließen auf dieser Route Polen. Ende 1947 gab es etwa 6000. Sie hatten in Wrocław ein Theater, gesellschaftliche, politische und genossenschaftliche Organisationen, Jugend- und Sportklubs, eigene Presseorgane, Kindergärten, Klubs und Kulturhäuser.

Zu den Problemen, die im ersten Jahr nach dem Krieg die Stadt besonders herausforderten, gehörte die Sicherheit. Präsident Boleslaw Drobner hatte, als er nach Wrocław kam, eine gewisse Zahl von Milizionären an seiner Seite. Zusätzlich kam aus Krakau ein Milizbataillon mit 550 Mann. Aber es musste die ganze Wojewodschaft, 33 Kreise abdecken. Das waren geringe Kräfte in Anbetracht der Anwesenheit einer ganzen Garnison der Roten Armee in der Stadt, einer großen Anzahl von Marodeuren aus verschiedenen Armeen. Diese Menschen waren demoralisiert vom Krieg und es fehlte vor Ort an einer starken Macht. Zusätzlich wälzten sich Massen von ausländischen Zwangsarbeitern durch die Stadt, die über Wrocław nach Hause zurückkehren wollten. Die Lage wurde durch zahlreich herumliegende Waffen erschwert, die jeder mitnehmen konnte. Im Gebiet Niederschlesiens gab es auch viele Personen, die sich vor der Staatsmacht versteckten: angefangen von gewöhnlichen Verbrechern, über Volksdeutsche, bis hin zu Mitgliedern verschiedener polnischer oder ukrainischer Untergrundorganisationen. Ich spreche hier nicht von Soldaten der Wlassow-Armee, der Wehrmacht oder SS, die versuchten in die westlichen Besatzungszonen zu gelangen.

Die Zahl der wenigen Ordnungskräfte bewirkte, dass erst Ende Mai 1945 eine Operation mit Ordnungscharakter erfolgen konnte. Mit den vereinten Kräften von Miliz und NKWD wurde eine Aktion durchgeführt, die sich hauptsächlich gegen Funktionäre von Gestapo, Polizei und NSDAP richtete. Zugleich ging man gegen Marodeure vor, die sich in Ruinen versteckt hielten. Bei dieser Operation halfen insbesondere mit ihrer sehr guten Ortskenntnis die Funktionäre antifaschistischer Organisationen sowie Einwohner.

Die allgemeine Schwäche der Ordnungskräfte bewirkte ein Gefühl der Straffreiheit für Verbrecher. Besonders gefährlich war es nachts und in den Ruinen. Erst die Einführung eines Regiments für Innere Sicherheit verbesserte die Situation in der Stadt. So wurde der Vizebürgermeister der Stadt (aus der Festungszeit) im Untergrund in der ul. Świdnicka gefasst. Er hatte zusammen mit einer Gruppe von Fanatikern Brände gelegt und Überfälle durchgeführt. Gefahren drohten durch Minen und weggeworfene Sprengmaterialien verschiedener Herkunft, die noch viele Jahre nach dem Krieg in der Stadt gefunden wurden.

Ein Problem waren auch die durch Wrocław fahrenden Einheiten der Roten Armee. Der Stadtkommandant konnte oder wollte die Situation nicht beherrschen. Die Angelegenheit endete mit einer Intervention im Stab von Marschall Rokossowski in Legnica, der eine Brigade des NKWD nach Wrocław schickte, deren Funktionäre die Stadt durchkämmten und Deserteure festnahmen, oft gefasst mit Waffen in der Hand. Die des Raubes und schwerer Gewalttaten Verdächtigen wurden vor ein Standgericht gestellt. Damals wurden viele Todesurteile gefällt. Großes Aufsehen verursachte im Sommer 1945 die Festnahme des Stadtkommandanten Oberst Liapunow wegen Raubes von Gold und Schmuck. Er wurde öffentlich degradiert und aus Wrocław weggebracht. Die Welle des Banditentums führte im Oktober 1945 zur Einführung der Polizeistunde, die von 20.00 Uhr bis 5 Uhr früh dauerte. Während der Nacht konnten nur Personen unterwegs sein, die einen speziellen Passierschein besaßen. Gastronomische Einrichtungen schlossen um 19.00 Uhr. In der ersten Zeit der Polizeistunde wurden 1500 Personen festgenommen, von denen 800 für verschiedene Vergehen vor Gericht gestellt wurden. Im April 1946 wurde die Polizeistunde von 0 Uhr bis 5 Uhr morgens verkürzt, später dann völlig eingestellt.

Wenn wir von Banditentum sprechen, handelt es sich in der Regel um Verbrechen von Marodeuren und Soldaten der Roten Armee, aber auch von Zivilpersonen, die von der Zwangsarbeit zurückkehrten. Während einer Sonderkonferenz der Stadtverwaltung im Januar 1946, die dieser Problematik gewidmet war, sagte der Stadtpräsident: „Das Verhältnis der Bevölkerung zur Roten Armee ist weiterhin von Misstrauen geprägt. Ursache dafür ist in hohem Maße die Sicherheitslage und die Unsicherheit für Hab und Gut und das Leben der Einwohner während der Nacht, aber auch am Tag gegenüber den Taten, die von Marodeuren oder sogar von Soldaten der Roten Armee begangen werden. Ein Ansteigen dieser Vorfälle war besonders im Stadtteil Karłowice/ Karlowitz, Psie Pole/ Hundsfeld, aber auch in Leśnica/ Deutsch Lissa zu beobachten. Überall gab es einen Zusammenhang mit dort befindlichen Zivillagern und Lagern für Sowjetsoldaten.“ Erst die Verwundung eines sowjetischen Generals im Februar 1946 führte zu einem radikalen Vorgehen. Im Zuge einer Spezialoperation wurden die Marodeursbanden zerschlagen. Durch die Auflösung der Lager für sowjetische Bürger im März sanken die Raubüberfälle nahezu auf Null. Man sollte auch erwähnen, dass es sogar internationale Banden gab, mit polnischen, russischen und deutschen Mitgliedern.

Eine Plage, besonders in den Jahren 1945-1946, waren die Gewalttaten, verübt von Soldaten der Roten Armee. Die Gewalt gegenüber deutschen Frauen wurde vom sowjetischen Kommando nicht als Verbrechen angesehen. In einem der Flugblätter, die an die Soldaten der Roten Armee gerichtet waren, rief der bekannte Schriftsteller Ilja Ehrenburg die Soldaten auf: „ Tötet die Deutschen! So ruft das Vaterland. Lasst keine Gelegenheit aus… Brecht mit Gewalt den Rassehochmut der germanischen Frauen. Nehmt sie als rechtmäßige Beute. Tötet, ihr tapferen, vorwärtsstürmenden Rotarmisten!" Nach Berechnungen von Historikern vergewaltigten Soldaten der Roten Armee rund 2 Millionen deutsche Frauen, unabhängig davon vergewaltigten sie auf dem Vormarsch Polinnen, Ungarinnen, Tschechinnen und Slowakinnen. Es gab Meldungen über die Vergewaltigung von 9-jährigen Mädchen. Die Täter unterlagen immer ihrer Jurisdiktion, waren also praktisch straffrei. Solche Verbrechen gab es bis zum Ende des Aufenthalts der Roten Armee in Wrocław. Noch 1988 kam es zu einer Massenvergewaltigung von 6 Soldaten an einem 17-jährigen Mädchen. Raub hörte erst nach 1992 auf.

Wie schon erwähnt, war die Festung Breslau gut mit Lebensmitteln versorgt. Besonders nach der Bombardierung der Ostseehäfen wurde hierher das Zentrallager der Kriegsmarine verlegt. Von den Vorräten konnte die Stadt bis Ende September 1945 zehren. Mit diesen Lebensmitteln konnten die ankommenden Polen, die in Wrocław wohnenden Deutschen, aber auch die sich auf dem Heimweg befindenden Gefangenen verschiedener Nationalitäten versorgt werden. Erst ab September erhielt die Stadt Lebensmittel-Zuteilungen aus dem Wojewodschaftsamt. Anfangs gab es keine Geschäfte, keine Restaurants, keine Kantinen. Auf dem freien Markt dominierte der Tauschhandel. Die Rolle des Geldes übernahmen die Lebensmittel. Ab August gab es folgende monatliche Lebensmittelzuteilung: 2 kg Getreidemehl, 500g Zucker, 2kg Grütze, 10kg Brot, 1,40 kg Schmalz, 70 g Marmelade, 12 g Getreidekaffee. Nicht immer wurden die Zuteilungen realisiert. Zum Beispiel wollten die Bäcker das Brot lieber zu Preisen des freien Marktes, also wesentlich teurer verkaufen. Eine Brotkarte beispielsweise hatte einen Wert von 1,50 Zl. Der freie Markt verlangte 20 Zl. Vor den Weihnachtsfeiertagen 1945 gab es eine Feiertagszuteilung: 2 kg Mehl, 2 kg Erbsen, 1 kg Marmelade, 500 g Zucker, 100g Getreidekaffee sowie 200 g Waschmittel. Probleme mit der Kartenversorgung traten im ganzen besprochenen Zeitraum auf. Einfluss darauf hatte die schlechte wirtschaftliche Lage, die Kriegsschäden, aber auch die unzulängliche Verteilung der Kartenartikel. Fügen wir hinzu, obwohl das Kartensystem ineffizient war, so gab es die Lebensmittel auf dem freien Markt, aber natürlich zu einem wesentlich höheren Preis. In den ersten Wochen nach Beendigung des Krieges entstanden sehr schnell Handelsplätze und Marktstände: der erste in der Matthiasstraße, dann von 1946-1956 in der Josef-Stalin-Straße, 1956 in der Straße Bohaterów Węgierskich, dann in der Straße Jedności Narodowej, dann auf dem Plac Strzelecki (Schiesswerderplatz). Ähnliche Plätze befanden sich am Hauptbahnhof, auf dem Platz Biskup Nanker (Ritterplatz), auf dem Grunwaldplatz (Scheitniger Stern), in der Halle an der Ogródowa-Straße und an einigen anderen Plätzen. Schon im Juni 1945 entstanden Geschäfte, zunächst Lebensmittelläden, danach Kommissionsgeschäfte mit beweglichem Hab und Gut von den ausreisenden Deutschen. Einige dieser Kommissionsgeschäfte betrieben Tauschhandel. Sie nahmen von den Ausreisenden hauptsächlich Garderobe, Schuhe, Silber, Maschinen, z.B. Nähmaschinen, Schreibmaschinen und tauschten dafür Lebensmittel, die aus Zentralpolen hierher gebracht wurden. Im Oktober gab es in Wrocław etwa 160 Lebensmittelläden, Ende 1946 waren es 1250, 182 Galanteriewarenläden, 32 Buch- und Schreibwarenhandlungen, 42 Drogerien und Apotheken, 32 Läden mit technischen Artikeln, 31 Schuhläden, 19 Geschäfte für Haushaltswaren, 13 Parfümerien mit Kosmetikartikeln, 42 Läden mit Heizölspeicher.

In Wrocław gab es zwei Arten von Lebensmittelgeschäften: Zum einen war es der Handel mit reglementierten Lebensmitteln zu festen Preisen, verteilt auf Karten nach Normen, zum anderen waren es Geschäfte, die sich nach Preisen des freien Marktes richteten und zu wesentlich höheren Preisen verkauften. Mit Lebensmitteln wurde auch in den verschiedensten Arten von Bretterbuden, bestehend aus Sperrholz und Pappe gehandelt. Überall wurde mit Fleisch gehandelt. Diesen Handel führten 80 Prozent der Geschäfte unabhängig von der Branche.

Unabhängig von den Einzelhandelsgeschäften wurden bereits 1945 Warenhäuser in Betrieb genommen,  z.B. das Schlesische Warenhaus in der Świdnickastraße (Schweidnitzer Straße). Danach öffneten weitere renovierte Warenhäuser aus der Vorkriegszeit. Aber das größte, auch in Polen, war das Allgemeine Warenhaus, das im Gebäude der ehemaligen Gesellschaft AWAG öffnete. Ein wesentlicher Teil der Warenhäuser aus der Vorkriegszeit war während der Belagerung der Stadt zerstört oder beschädigt worden. Aber in Verbindung mit den neuen gesellschaftlichen Gegebenheiten wurden viele von ihnen einer anderen Verwendung zugeführt.

Sehr schnell öffneten nach Kriegsende Bars und Restaurants, gewöhnlich in bereits bestehenden Lokalitäten. Im Februar 1946 gab es etwa 600. Neben gewöhnlichen Bars gab es auch Luxuslokale mit Tanz und ausgesuchtesten Speisen. Eine Besonderheit dieser Zeit waren preiswerte Gaststätten, die billige und nahrhafte Mahlzeiten anboten. Dazu gehörten die sogenannten Milchbars, wo die einfachsten und preiswertesten Speisen angeboten wurden, meistens aus Mehl und Kartoffeln, verschiedene Arten von Piroggen, Klößen, Piroggen mit Quarkfüllung, einfache Suppen wie Gemüse-, Tomaten-, Gurken-  oder Obstsuppe. Diese Bars bildeten den Versorgungsraum für die Ärmsten, aber auch für Studenten. Preiswerte Kantinen boten auch verschiedene Organisationen an, wie das Komitee für Soziale Fürsorge Caritas oder jüdische Religionsvereinigungen.

Eine große Stadt wie Wrocław konnte nicht ohne Dienstleistungsbetriebe sein. Sie entstanden in den vielen verlassenen Werkstätten, deren Besitzer die Stadt oft noch vor der Belagerung verlassen hatten. Letztendlich erforderte das Leben solche Dienstleistungsbetriebe. Neben verschiedenen Baufirmen, die Renovierungen vornahmen, entstanden Schuh-, Schneider-, Uhrmacherwerkstätten, Wäschereien, Färbereien, Friseursalons usw., aber auch Werkstätten, die Prothesen herstellten. Unter all diesen Dienstleistungsanbietern gab es eine Wahrsagerin Pari Banu, die ihre Dienste folgendermaßen anbot: „ Pari Banu hellseherisches Medium, das in Trance alles genau vorhersagt.“ Nach ihrer Ausreise beschäftigen sich Sinti-Roma-Frauen mit der Wahrsagerei. Über viele Jahre befand sich am Platz Strzegomski ein Sinti-Roma- Lager.

Eine weitere Aufgabe stellte das Transportwesen dar. Anfangs benutzte man in Wrocław Rikschas und Kutschen, die Konzessionen von der Stadtverwaltung erhielten. 1946 tauchten die ersten Taxen auf. Die ersten Straßenbahnen fuhren am 22. Juni von Biskupin zum Słowiański-Platz( Weißeburger Platz), die zweite verband den Hauptbahnhof mit dem Strzelecki-Platz (Schießwerder Platz). Bis Ende 1945 fuhren drei Straßenbahnlinien und 3 Buslinien, 1946 waren es 11 Straßenbahn- und 4 Buslinien.

Wenn man über die Inbetriebnahme verschiedener städtischer Dienste spricht, sollten Strom und Gas nicht vergessen werden. Das Elektrizitätswerk gehörte zu den am schnellsten in Betrieb genommenen städtischen Unternehmen. Dieser Erfolg wurde durch provisorische  Anschlüsse erreicht, die allerdings den Grund für viele Havarien bildeten. Eine weitere Schwierigkeit bestand darin, dass verschiede Stadtteile unterschiedlichen Strom hatten, Gleich- oder Wechselstrom, aber auch unterschiedliche Spannungen. Das Ergebnis waren häufige Stromabschaltungen und Havarien. Diese wurden auch häufig durch das Betreiben von Elektroöfen ausgelöst. Der Winter 1945/1946 war streng und es fehlte an Kohle. Das Elektrizitätswerk versuchte den Stromverbrauch zu begrenzen, in dem es Grenzwerte einführte. Im Oktober 1945 15 kWh für ein Zimmer, für die Wahl eines höheren Grenzwerts gab es zusätzlich eine höhere Gebühr. Außerdem verhängte die Stadt planmäßige Stromsperren, z.B. 1945 zwischen 22.00 Uhr und 6 Uhr morgens.

Das Gaswerk begann mit seiner Arbeit am 7. August 1945. Etwas spät, aber während der Belagerung wurden 70 Prozent des Gasnetzes und der Anlagen zerstört und außerdem wurden im Juni zwei Unterstationen demontiert.  Als erste erhielten die Einwohner von Karłowice (Karlowitz) Gas. Der Anschluss der anderen Stadtteile verlief langsamer. Als letzte wurden die Stadtteile Herrnprotsch, Klettendorf, Brockau, Stabelwitz und Deutsch-Lissa an das Gasnetz angeschlossen.

Eine offene Frage für die Bevölkerung war auch die Wasserversorgung. Das Netz der Wasserleitung war an 3000 Punkten, die Kanalisation an 7000 Punkten beschädigt. Das erste Wasser floss im Gebiet Mathiasstraße am 15. Juni dank der Havariewasserleitung der Schultheiss-Brauerei AG. Im Mai und Juni erhielten weitere Stadtteile Wasser. Bis Ende 1945 wurden 25 km Wasserleitungen in Betrieb genommen.

Sehr zügig und schnell begann die Stadtreinigung zu arbeiten. Zu den ersten Aufgaben zählte die Beseitigung der herumliegenden Toten. Weiterhin musste der Müll entsorgt und die Straßen von Trümmern beräumt werden. Über viele Monate nach dem Krieg hing in den Straßen der Gestank von verwesenden Leichen und verkohlten Brandstätten. Mit der regelmäßigen Müllabfuhr wurde erst im August 1945 begonnen, erschwert durch fehlende Transportmittel. Vor dem Krieg verfügte die Straßenreinigung über 40 Autos und 77 Pferde. Nach dem Krieg verblieben 12 Autos und ein lahmendes Pferd.

Vom ersten Tag nach dem Krieg hatte die Stadt Probleme mit dem Gesundheitsdienst. Keines der Krankenhäuser war vollständig funktionsfähig und in ihnen hielten sich nicht nur 6000 Soldaten, sondern auch etwa 2000 Zivilisten auf. Im Laufe weniger Wochen wurden einige Krankenhäuser funktionsfähig gemacht; das wichtigste wurde das Allerheiligenhospital. Bis Ende 1945 wurden 19 Krankenhäuser und Kliniken mit 3200 Betten für die Zivilbevölkerung in Betrieb genommen. Das war sehr notwendig geworden, denn Ende Juni 1945 brach eine Ruhrepidemie aus, die aus den tschechischen Sudeten durch heimkehrende Breslauer eingeschleppt worden war. Es folgte Typhus. 1945 wurden etwa 500 Kranke mit Ruhr und 2000 mit Typhus behandelt. Damals gab es eine Massenimpfung und eine strenge Kontrolle der Wasserbrunnen. 1946 verschwanden diese Epidemien; allerdings gab es Typhus bis Mitte 1946 mit 160 Erkrankungen. Am Ende des Jahres war auch Typhus verschwunden.

Eine Plage nach dem Krieg waren die Geschlechtskrankheiten. Sie verbreiteten sich durch die Vergewaltigungen, aber auch durch lockere Sitten, die der Krieg mit sich brachte. Ende 1945/ Anfang 1946 gab es monatlich 1500-2000 Erkrankte. In der Stadt wurden 3 Ambulanzen für die Behandlung von Geschlechtskrankheiten, 4 Krankenhausambulatorien sowie 3 Abteilungen für Geschlechtskrankheiten in Krankenhäusern eingerichtet. Die Geschlechtskrankheiten wurden damals mit dem in Mode gekommenen Penizillin behandelt. Diese Plage ging erst 1948 im Zuge von Zwangsbehandlungen zurück.

Eine Besonderheit stellte das kulturelle Leben dar. Unmittelbar nach Ende der Kriegshandlungen wurde es durch die Russen organisiert, die ein Symphoniekonzert veranstalteten. Es spielte das deutsche Symphonieorchester mit 60 Musikern. Das Konzert wurde in drei Sprachen in russisch, deutsch und polnisch auf Plakaten angekündigt. Außerdem fanden in dem einzig erhaltenen Theater, dem Liebig-Theater, deutsche Kabarett- und Revuevorstellungen statt. Zur Theatergruppe Liebig- Theater gehörten deutsche Antifaschisten. Sie wurde von Paula Eggers geleitet. Die erste polnische Vorstellung fand Ende Juni 1945 aus Anlass des Tages des Meeres statt. Weitere folgten nach dem immer gleichen Schema: Offizieller Teil und künstlerischer Teil, in dem sich polnische, zeitweise auch sowjetische Künstler in Begleitung eines deutschen Orchesters produzierten. Das Orchester spielte nur bis August, danach reisten die Musiker nach Deutschland aus und es kamen nach und nach  polnische Künstler. Sie traten im Liebig-Theater in einem heute nicht mehr existierenden Gebäude in der ul. Ogródowa heute Piłsudski-Straße oder in der Oper auf.

Die Mehrzahl der Kinos, 70 Prozent, wurde während der Belagerung zerstört. Deshalb funktionierte die polnische Verwaltung Säle ehemaliger Klubs oder Freimaurerlogen/ Old fellows/ usw. in Kinosäle um. Das erste Kino, das spielte, war das spätere Kino „Lalka“ am Lehmdamm (ul. Bolesława Prusa), das deutsche Filme zeigte. Das erste polnische Kino ab 16. Juni war das Kino „Warszawa“ in der ul. Ogródowa. Beide Kinos spielten schon im Juni 1945. Danach wurden weitere Kinos in allen Stadtteilen eröffnet. Das größte Wrocławer Kino „Śląsk“, früher Capitol, besaß 1200 Plätze und begann  im Januar 1946 mit seinen Aufführungen. Es wurden hauptsächlich Komödien und leichte Filme ausgestrahlt. Danach gab es massenhaft sowjetische Filme „Ivan der Schreckliche“, „Der Schweinehirte“, „Im Namen des Vaterlandes“, Sekretär…“, „Um 6-Uhr abends nach dem Krieg“, „Sie verteidigte das Vaterland“, „Stalingrad“, „Die Welt lacht“, „Wolga-Wolga“ und andere, aber auch amerikanische Filme gab es zu sehen.

Die erste Opernvorstellung fand am 8. September 1945 mit der Oper „Halka“ von Stanisław Moniuszko statt. Die Solisten kamen aus Krakau, der Chor aus Bytom. Im Dezember wurde der „ Der Barbier von Sevilla“ von Gioacchino Rossini gespielt, im Februar 1946 „Rigoletto“ von Giuseppe Verdi. Eine nicht geringe Rolle im kulturellen Leben spielte das Radio. Wegen der Zerstörung des Breslauer Senders 1945 wurde in den Straßen der Stadt ein Netz von Lautsprechern installiert, die in deutsch und polnisch informierten. Im November gab es 10 solcher Lautsprecher. Erst am 29. September wurde ein Radiosender in Betrieb genommen. Aber seine Reichweite war begrenzt, zumal in ganz Niederschlesien 1948 nur 8000 Apparate registriert waren.

Sehr schnell organisierte man Sportveranstaltungen. Der erste polnische Sportklub gründete sich schon am 16. Juni 1945 und erhielt den Namen Erster Sportklub „Ślęża“ (Lohe). Die ersten Sportveranstaltungen fanden am 19. Juli 1945 statt. Schon kurze Zeit später entstanden weitere Klubs und begannen mit regulären Wettbewerben im Fußball, Volley- und Basketball und in der Leichtathletik.

Der zoologische Garten, in dem sich die Kinder während der Belagerung erholten, wurde am Ende schwer beschädigt. Die Tiere wurden in andere Gärten in Polen verbracht. Sie kehrten zur Eröffnung des Wrocławer Zoos 1948 zurück.

Schulen nahmen schon 1945 ihre Arbeit auf. Das betraf sowohl Mittel- als auch Grundschulen. Im November begannen die Universität und die Technische Hochschule mit ihrem Studienbetrieb. Die Lehrkräfte kamen hauptsächlich aus Lemberg und Krakau. Anfänglich wurden die Lehrgebäude durch einen akademischen Sicherheitsdienst geschützt, der sich aus bewaffneten Studenten zusammensetzte. Er wurde Ende 1945 aufgelöst.

Welche Stimmung herrschte in der Stadt? Sie war sehr unterschiedlich. In den ersten Wochen nach Beendigung der Kriegshandlungen herrschte eine Atmosphäre der Unsicherheit. Die Deutschen waren durch die bestehende Lage niedergeschlagen. Viele glaubten daran oder hatten zumindest die Hoffnung, dass sich die Situation ändern würde, dass Wrocław deutsch bleibt. Die Passivität der Deutschen wurde noch durch die Erlebnisse aus der Festungszeit verstärkt. Die Polen wiederum glaubten nicht an die Beständigkeit der Grenzveränderungen. Deshalb war in den ersten Wochen nach dem Krieg ein Zustrom von Plünderern aus Zentralpolen zu verzeichnen. Sie kamen mit der Losung „Nimm alles mit, denn Du bleibst sowieso nicht hier“. Das betraf Privatpersonen, ebenso verschiedene Warschauer Institutionen. Die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz brachten eine gewisse Stabilisierung und Überzeugung bei einem Teil der Polen, was die Dauerhaftigkeit der Nachkriegsgrenzen betraf, aber nicht bei allen und nicht bis zum Ende. Im allgemeinen Bewusstsein war die Stadt nicht polnisch und alle Polen und Deutschen erwarteten früher oder später die Rückgabe an Deutschland. Unter den Polen verstärkte sich die Furcht durch die Anwesenheit von Deutschen in der Stadt und das in überwiegender Zahl. Die Situation änderte sich erst Ende 1946 als die Deutschen etwa 10 Prozent der Einwohner in Wrocław stellten. Um die Atmosphäre zu ändern, wurde durch die Verwaltung der sog. Kampf gegen das Deutschtum eingeführt, der auf schnelle Änderung der Straßennamen in polnische und Beseitigung deutscher Inschriften und Denkmäler abzielte.

Die deutsche Bevölkerung war auf einschneidende Veränderungen eingestellt. Sie war vom Gefühl der Trauer beherrscht, bedingt durch die Tatsache, die Heimat endgültig verlassen zu müssen. Das bedeutete auch den Abschied von der Leistung ganzer Generationen und den Verlust des kleinen schlesischen Vaterlandes. Deshalb kam es sowohl unter älteren als auch unter jungen Menschen zu Fällen von Selbstmord. Diese Erscheinung war typisch für die damalige Zeit, denn Selbstmord gab es auch unter Polen in Lemberg und Vilnius, polnische Städte, die der Sowjetunion angegliedert wurden. Auf die Stimmung der Deutschen schlug auch die schwere ökonomische Lage, denn viele polnische Arbeitgeber brachen das Recht und zahlten ihnen nur Hungerlöhne und beschnitten ihnen auch eigenmächtig die Lebensmittelzuteilungen.

Wenn es um die Stimmung der polnischen Bevölkerung geht, so kann man zwei Dinge beobachten: Ein Teil der Jugend, die nach Niederschlesien kam, glaubte, dass man hier ein neues und besseres Leben aufbauen kann, denn es gab Arbeit und große Möglichkeiten des Aufstiegs, Wohnung und auch Bildung. Unter den Umsiedlern aus dem Osten, ähnlich wie bei den Deutschen, herrschte Nostalgie nach der verlorenen Heimat. Viele Lemberger sangen deshalb das damals populäre Lied „Jedna bomba atomowa i wrócimy znów do Lwowa“. Anders war auch das Verhältnis zu den Deutschen. Die aus dem Osten kommenden Polen, die selbst Vertriebene waren, fühlten mit den Deutschen und oft versuchten sie auch, ihnen zu helfen. Es gab Fälle, wo sie ihnen bekannten Deutsche bis zur Grenze begleiteten und halfen, deren Hab und Gut zu transportieren. Polen aus Großpolen verhielten sich gewöhnlich anders. Oft forderten sie Rache für die Okkupation.

Zusammenfassend kann man sagen, dass das erste Nachkriegsjahr ungewöhnlich schwer war. Die neue Verwaltung musste die stark zerstörte, in Trümmern liegende Stadt wiederbeleben, den Bevölkerungsaustausch vollziehen, das gesamte öffentliche Leben in Gang bringen. Erst dann konnte die Stadt wieder aufgebaut werden. Bei der Realisierung dieser Aufgaben musste die Verwaltung nicht nur mit objektiven Faktoren kämpfen, sondern zeitweise mit der eigenen Zentralmacht, die die Stadt als Vorratskammer für verschiedene Güter und Anlagen betrachtete. Trotz dieser Gegensätze und der der Stadt zugefügten Wunden, gelang es innerhalb eines Jahres Wrocław zu neuem Leben zu erwecken.

Marek Ordyłowski