Globale Wirtschafts- und Finanzkrise, Umverteilung von unten nach oben, fortgesetzte Ausbeutung der Ressourcen und Klimawandel, soziale Exklusion vieler Menschen in den europäischen Industrieländern und noch mehr in der so genannten Dritten Welt, zunehmende Intensivierung der Arbeit und wachsende Arbeitsbelastung – das sind nur einige Stichworte einer hochkomplexen Gemengelage. Wie kann man darüber literarisch schreiben? Können und müssen das Themen für die zeitgenössische Literatur sein? Gibt es überhaupt Auswege, der Integrationsfähigkeit des kapitalistischen Systems schreibend zu entkommen? Was ist die Rolle von Schriftstellern im globalen Kapitalismus? Lässt sich ein dauerhafter Arbeitszusammenhang von Autorinnen und Autoren organisieren?
10:30-12:30 Uhr
Gegenwartsdiagnose: In was für einer Welt leben wir eigentlich? Theorien und Analysen des heutigen Kapitalismus
Sektionsleitung und Input-Referat: Ingar Solty
In den letzten 30 Jahren hat sich das Erscheinungsbild des Kapitalismus entscheidend verändert. Diesen Prozess gilt es auszuloten als den realen sozialen Raum, in dem sich Literatur bewegt und den sie reflektiert. Als Aspekte seien genannt: Fragen der Veränderung der Produktionsweise (Computerisierung, High-Tech-Kapitalismus, flexible Spezialisierung), der Internationalisierung (Transnationalisierung, globale Wertschöpfungsketten), die Finanzialisierung, die Veränderung von Staatlichkeit (Internationalisierung des Staates, „Neuer Konstitutionalismus“, Workfare), die Veränderungen in der Arbeitswelt (Prekarisierung, Fraktalisierung, sekundäre Ausbeutung, Landnahme), die Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen (Feminisierung der Arbeitsmärkte, Care-Economy), die allgemeinen Formen der Subjektkonstitution im Neoliberalismus und das Verhältnis von Kapitalismus und Demokratie im Kontext der globalen Krise.
14:00-16:00 Uhr
Ästhetikdebatten revisited: Die Literatur in der kapitalistischen Gesellschaft
Sektionsleitung und Input-Referat: Helmut Peitsch
Das Verhältnis von Literatur und kapitalistischer Wirklichkeit ist ein zentraler Diskussionsfaden der Literaturtheorie, von Walter Benjamin bis Terry Eagleton. Dem zur Seite zu stellen sind die Verdichtungen dieses Spannungsverhältnisses anhand von zentralen Wegmarken, angefangen mit der Ibsen-Debatte in der deutschen Sozialdemokratie über den Formalismusstreit, die Expressionismusdebatte etc. Vor diesem Hintergrund soll die Rolle der Literatur in der Gesellschaft diskutiert werden. Grundlegend stellt sich dabei die Frage, inwiefern Literatur einen Zugang zur Wirklichkeit ermöglicht, den die sozialen Wissenschaften in ihrem Zwang zur Abstraktionssprache und begrifflichen Kategorisierung entbehren. Andererseits: Wie kann die Literatur in ihren Bemühungen um Allgemeines und um Engagement ihre literarische Qualität erhalten, ja stärken? Ab wann trifft sie der Vorwurf der „Tendenzliteratur“?
16:30-18:30
Realismus und Pseudo-Realismus: Kapitalismus in der deutschsprachigen und internationalen Gegenwartsliteratur
Sektionsleitung und Input-Referat: Enno Stahl – „Deutschsprachige Literatur in Auseinandersetzung mit der Kapitalismuskrise“
Weiteres Input-Referat: Norbert Niemann – „Internationale Literatur in Auseinandersetzung mit der Kapitalismuskrise“
Wie steht es um die Gegenwartsliteratur? Inwiefern ist diese im Stande, zentrale Veränderungen in der Arbeits- und Lebenswelt des Kapitalismus im 21. Jahrhundert ästhetisch zu reflektieren und kritisch zu verarbeiten? Begrifflich wäre zu unterscheiden zwischen einem analytischen, sozialen und einem Pseudo-Realismus. Ausgangspunkt ist unter anderem die 2014 von Florian Kessler in der ZEIT angestoßene Debatte über die vermeintliche „Bravheit“ der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Die Tragfähigkeit von Kesslers These wird diskutiert, der zufolge die (Ober- und Mittel-)Klassenherkunft vieler zeitgenössischer Schriftsteller den Blick für die Veränderungen der sozialen Wirklichkeit tendenziell verstelle und dazu führe, dass diese weitgehend aus dem literarischen Stoffpotenzial ausgeklammert bleibt. Gleichzeitig wird ein Seitenblick auf die internationale Literatur und deren Aufarbeitung der gesellschaftlichen Lagen unternommen.
Pressestimmen
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Grass, Walser und Co haben jüngst eher danebengehauen, wenn es um die Kritik der politischen Verhältnisse ging. Wie gegenwartskritisch ist die junge deutsche Literatur? (Hans-Peter Kunisch in DIE ZEIT vom 20.04.2015) - Es ist, was es ist, sagte der Kapitalismus
Eine Konferenz nur mit kritischen Schriftstellern (Mladen Gladic in DIE WELT vom 20.04.2015) - Ausbeutung für alle Gibt es richtige Literatur im Falschen?
Eine prominent besetzte Tagung in Berlin suchte nach Antworten. (Christian Baron in neues deutschland vom 20.04.2015) - Realismus und Eigensinn
Der Kapitalismus, die Kunst und das Konkrete: In Berlin wurde die Frage »Richtige Literatur im Falschen?« diskutiert (Kai Köhler in junge Welt vom 21.04.2015) - Symposium «Schriftsteller – Kapitalismus – Kritik»
Gute Literatur findet ihr Publikum. (Sabrina Wagner in Der Tagesspiegel vom 20.04.2015) - Inneres Elend, linksradikal
Am Berliner Brecht-Haus diskutierten Schriftsteller und Wissenschaftler über Literatur in Zeiten des Neoliberalismus. Selbstverständlich schien es, dass Literatur etwas «leisten» müsse. (Tobias Lehmkuhl in Süddeutsche Zeitung vom 19.04.2015) - Richtige Kontroversen im Falschen
Soziologe Ingar Solty und Schriftsteller Enno Stahl laden ins Berliner Brecht-Haus, um über Literatur und Kapitalismus zu diskutieren - die aufgeworfenen Fragen sind dabei erhellender als die einfachen Antworten. (Dirk Knipphals in taz vom 20.04.2015)
In Kooperation mit Helle Panke e.V. und der Zeitschrift «Das Argument»
Weiter Informationen: http://lfbrecht.de