Dokumentation Mächtige Frauen

Ein Panorama der Erfahrungen - Bericht von Jörg Staude

Information

Veranstaltungsort

Kulturbrauerei, Palais
Schönhauser Allee 36
10435 Berlin

Zeit

27.04.2016

Veranstalter

Michaela Klingberg,

Mit

Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Luc Jochimsen, Katja Kipping, Prof. Barbara Kisseler, Claudia Roth, Petra Roth, Ulla Schmidt, Prof. Dr. Gesine Schwan, Marion von Haaren, Katja Wolf

Themenbereiche

Ungleichheit / Soziale Kämpfe, Geschlechterverhältnisse

Zugehörige Dateien

Mächtig und ohnmächtig zugleich

Ein "Panorama an Erfahrungen" versprach der Abend, zu dem die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) "Mächtige Frauen" aus Politik, Wissenschaft und Medien am Donnerstag ins Palais der Kulturbrauerei in Berlin eingeladen hatte.

Um es vorwegzunehmen: Das Panorama, das die ehemals oder aktuell "mächtigen" Frauen ausbreiteten, beeindruckte den - es konnte kaum anders sein - vor allem von Frauen gut besuchten Saal.

Zum Auftakt malte Luc Jochimsen, ehemalige Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks, Ex- Bundestagsabgeordnete der LINKEN und die Taktgeberin des Abends, aus, was Frauen inzwischen alles werden können, das mit Macht zu tun hat: Ministerinnen und Ausschussvorsitzende, Staatssekretäre und Vizepräsidenten, Landräte und Oberbürgermeister, Direktorinnen und, und, und...

Es werde Zeit, so Jochimsen, darüber zu reden, welche Handlungsspielräume Frauen wirklich haben oder sich (ver)schafften, wenn sie in Ämter gewählt werden. Habe die Kanzlerin, fragte Jochimsen rhetorisch, möglicherweise "weiblich" gedacht, als sie humanitär handelte und die in Budapest gestrandeten Flüchtlinge nach Deutschland holte und später erklärte: "Wir schaffen das!" Schaue man sich die Männerriege um die Kanzlerin an, könnte man sogar denken, die Kanzlerin habe "weiblich" gehandelt, meinte Jochimsen.

Dann begrüßte sie aber die prominente Frauenriege des Abends: Mit Ulla Schmidt, der langjährigen Bundesgesundheitsministerin, und Claudia Roth, 13 Jahre Parteivorsitzende von Bündnis90/Die Grünen, waren zwei amtierende Vizepräsidentinnen des Bundestages gekommen. Ulla Schmidt bemerkte an einer Stelle nonchalant, in dieser Legislaturperiode hätten zum ersten Mal in der Geschichte des Bundestages im siebenköpfigen Parlamentspräsidium die Frauen die Mehrheit - und aus welchen Fraktionen stammten diese Frauen? Zwei aus der SPD, eine aus der Grünen- und eine aus der Linken-Fraktion. Das sage doch alles, welche Parteien sich für Frauen einsetzten…

Zu den eingeladenen "mächtigen" Frauen gehörten weiter aus dem Bereich Politik die LINKEN-Vorsitzende Katja Kipping und die Oberbürgermeisterin von Eisenach, Katja Wolf. Die RLS-Vorsitzende Dagmar Enkelmann und die Vorsitzende der Grundwertekommission der SPD, Gesine Schwan, verkörperten in der Runde eher die Wissenschaft, während die ehemalige Chefredakteurin des Westdeutschen Rundfunks, Marion von Haaren sowie Jochimsen selbst einst "mächtige" Frauen in den Medien waren. Dass zwei der Frauen, die ihre Teilnahme ebenfalls zugesagt hatten - die ehemalige Oberbürgermeisterin von Frankfurt(Main), Petra Roth, sowie Barbara Kisseler, Hamburger Kultursenatorin, kurzfristig aus Gründen "höherer Gewalt" absagen mussten, tat der zweieinhalbstündigen Debatte keinen Abbruch.

Diese fand auch keineswegs in (über)großer Runde statt, sondern drei oder zwei der "mächtigen" Frauen befragten sich jeweils wechselseitig und diskutierten miteinander. Das schuf einen intensiven Diskurs, in dem sich die unterschiedlichen Auffassungen, wie diese Frauen ihre Macht ausübten oder ausüben, gut herausschälten.

So interpretierte Claudia Roth ihre Rolle als Frau an der Spitze der Grünen vor allem darin, für Andere Räume zur Debatte zu schaffen, Tagesordnungen zu bestimmen und Themen zu setzen. Die Teilnahme an Talkshows war und ist für sie, wie Roth bekannte, eher lästige Pflicht - Katja Kipping dagegen bevorzugt, wie sie zu erkennen gab, einen eher direkteren Zugriff zur Macht. Ein Vorteil ihres Amtes sei schon, auf die Öffentlichkeit unmittelbar Einfluss nehmen zu können für Ideen wie das bedingungslose Grundeinkommen.

Auch an sie richteten die Medien, so Kipping, die üblichen Fragen nach der Vereinbarkeit von Politik, Familien und Privatem. Nicht zum ersten Mal wehrte sich die LINKEN-Chefin dagegen mit dem Hinweis, dass es generell gelte, die in Führungsämtern zur "Norm" erhobene 90-Stunden-Woche zu brechen. Es gebe ein Recht auf einen politikfreien Abend und einen politikfreien Tag in der Woche.

Verglichen den beiden Parteichefinnen Roth und Kipping sieht die RLS-Vorsitzende Dagmar Enkelmann ihre "Macht"-Position anders. Wenn sie in der Stiftung sagen würde, sie sei jetzt eine mächtige Frau, würde man sie sicher "für verrückt erklären, weil die Stiftung eine sehr demokratische Institution ist", betonte Enkelmann. Dennoch weiß sie um ihren Einfluss und auch sehr genau, was sie will. So habe sie einmal schon gedroht, eine Veranstaltung abzusagen, weil wieder nur Männer auf dem Podium sitzen sollten. "Und irgendwann werde ich das auch tun".

Auch Ulla Schmidt pflegt ein eher pragmatisches Verhältnis zur Macht.  Wenn man sich um Funktionen bewerbe, bewerbe man sich auch um Einfluss, darauf, etwas zu verändern, sagte sie. "Macht ist nicht Unterdrückung, aber man könne schon darauf dringen, dass eigene Themen berücksichtigt werden."

Schmidt kennt die Machtverhältnisse in der Politik bestens. Sei man in der Opposition, erinnerte sich sie, und habe eine gute Idee, sei man recht machtlos, um diese durchzusetzen. Sei man dann in der Regierung, sei man zwar an der "Macht", brauche dann aber die Mehrheit in der eigenen Partei, die in der Regierungskoalition und dann noch die in der eigenen Bundestagsfraktion. Ihren Wunschtraum als Ministerin, die Bürgerversicherung im Gesundheitswesen einzuführen, musste sie trotz aller Macht begraben, bekannte sie freimütig auf die Frage, was ihre größte Niederlage gewesen sei.

Das man selbst in eine relativ mächtigen Position als 1. Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion DIE LINKE, die Dagmar Enkelmann über acht Jahre innehatte, nicht alles durchsetzen kann, räumte auch sie ein. So sei es ihr über die ganzen Jahre nicht gelungen, von den drei Pressesprechern der Fraktion irgendwann eine dieser Sprecherstellen mit einer Frau zu besetzen. "Frauen erklären Politik einfach anders", erläuterte sie ihr Motiv dafür.

Für Enkelmann üben Frauen ihre Macht auch anders aus als Männer. So rede sie immer am liebsten, suche das direkte Gespräch, als dass sie Briefe, Mails oder SMS verschicke. "Frauen müssen aber auch Frauen bleiben", mahnte sie, sie müssten mit Emotionen arbeiten und sich dazu zu bekennen. Sie habe viele Frauen erlebt, "die versucht haben, die besseren Männer zu werden."

Gesine Schwan knüpfte bei ihrer Auffassung, wie Frauen Macht ausüben, eher bei Claudia Roth an und zitierte Hannah Arendt, die gesagt habe, Macht sei das Vermögen, zusammen mit Anderen Projekte auf den Weg zu bringen. Die Mehrheit der "mächtigen" Frauen, die sie, Schwan, kenne, sähe ihre Arbeit eher inhaltlich bezogen. Zwar sei es nicht so, dass diese Frauen Anerkennung daraus gewinnen wollen, dass sie gemocht werden wollen. Das Gelingen von Beziehungen sei aber schon sinnstiftend für Frauen.

Die Eisenacher Oberbürgermeisterin Katja Wolf sieht für sich den wesentlichen Unterscheid zur "männlichen" Machtpolitik ebenfalls in einer anderen Art und Weise des Herangehen ans Politik. Als Oberbürgermeisterin hole sie alle an einem Tisch und der Spruch, den ihr Team stets von ihr höre, sei: "Ich erwarte einen Vorschlag von Ihnen." Auch wenn, und daran ließ Wolf keinen Zweifel, am Ende sie es sei, die entscheide.

Als Kommunalpolitikerin fühlt sich Wolf, noch mehr als die anderen Frauen in der Runde, in einer Position, die mächtig und ohnmächtig zugleich ist: Mächtig, weil aufgrund der Kommunalgesetzgebung die Bürgermeister der Thüringer Städte de facto "kleine Könige" seien. Der Grund ist ihr ebenso klar: Als die kommunalen Regeln geschaffen wurden, waren überall Männer die Entscheider gewesen. Andererseits aber fühle sie sich in einer - aufgrund einer Bundesgesetzgebung, die die Kommunen mit Sozialkosten überfordern  - "dauerpleiten" Stadt wie Eisenach auch ohnmächtig

In der städtischen Pleitensituation erkennt Wolf übrigens auch ein Motiv, warum sie letztlich in die Funktion als Oberbürgermeisterin kam. Krise seien "gut für Frauen", hatte, nebenbei gesagt, auch die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Ligade, kürzlich in einem Zeitungs-Interview gesagt.  Die Erkenntnisse "mächtiger" Frauen in der ganzen Welt scheinen sich sehr zu ähneln.

In diese Richtung geht auch die Erfahrung von Marion von Haaren. Ein wesentlicher Grund, warum sie Chefredakteurin der größten ARD-Anstalt, des WDR geworden sei, war sicher der, dass im Sender ein harter Sparkurs gefahren werden sollte, sagte sie illusionslos. "So etwas können Frauen offenbar besser vermitteln."

Bei so einer Vielzahl von Frauen, die es gegen alle "männlichen" Widerstände geschafft haben, bleibt es nicht aus, dass an so einem Abend jede Menge Anekdoten und Geschichten zur Sprache kommen. Über Männer, die auf der Psycho-Ebene Frauen gegenübertreten und scheinheilig fragten, ob frau denn die Macht wirklich wolle. Oder Frauen, die bescheiden daherkommen, würden  angeraunzt, sie sollten doch aufhören, sich wie ein Mädchen zu verhalten. Und der Oberbürgermeister einer bayerischen Stadt, der eine Parlamentarische Gruppe des Bundestages, die nur aus Frauen bestand, empfing, hatte keine bessere Idee, als diesen ein Kochbuch zu  schenken.

Was bleibt am Ende des Abends an Erkenntnis? Keine Angst vor der Quote; keine Angst vor der Macht; den Vorwurf, eine Rabenmutter zu sein, ignorieren. Frauen sollten selbstbewusst nach der Macht greifen, sie sollten Netzwerke bilden, um - in welchem Bereich auch immer - ihre Ideen unterzubringen und so das Denken zu verändern. Gesine Schwan: "Frauen müssen dafür sorgen, dass mehr Frauen Macht haben, damit ihre Erfahrungen da sind und Demokratie besser funktionieren kann. Frauen müssen sich einbringen, damit es normal wird."

Jörg Staude


Viele mächtige Frauen hat das Land. Das ist neu – und stellt uns vor Fragen nach Handlungsspielräumen: Wieviel Macht haben mächtige Frauen? Welche Macht wollen Frauen? Was tun Frauen, wenn sie «an der Macht» sind? Wie erleben sie Machtverlust? Und wie sind sie überhaupt an die Macht gekommen? Unterscheiden sie sich in ihrem Verhalten, ihren Zielsetzungen, ihrem Arbeits- und Führungsstil von den mächtigen Männern – und ist das überhaupt wichtig?

In Dreiergesprächen berichten mächtige Frauen und ehemals mächtige Frauen:

  • Dr. Dagmar Enkelmann, Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion DIE LINKE 2005–2013
  • Dr. Luc Jochimsen, TV-Chefredakteurin des HR 1994–2001, MdB 2005–2013
  • Katja Kipping, Parteivorsitzende DIE LINKE
  • Prof. Barbara Kisseler, Kultursenatorin der Stadt Hamburg
  • Claudia Roth, MdB, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Ex-Bundesvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen
  • Petra Roth, langjährige Oberbürgermeisterin von Frankfurt
  • Ulla Schmidt, MdB, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Bundesministerin für Gesundheit 2001–2009
  • Prof. Dr. Gesine Schwan, Präsidentin und Mit-Gründerin der HUMBOLDT-VIADRINA Governance Platform
  • Marion von Haaren, Ex-Chefredakteurin des WDR, Korrespondentin im ARD-Hauptstadtstudio
  • Katja Wolf, Oberbürgermeisterin von Eisenach

Programm

19:10–19:30 Uhr
Weibliche Macht in den Parteien

19:30–19:50 Uhr
Weibliche Macht in der Politik

19:50–20:10 Uhr
Weibliche Macht an der Spitze der Städte

20:10–20:30 Uhr
Weibliche Macht in Wissenschaft und Kultur

20.30–20:50 Uhr
Weibliche Macht in den öffentlich-rechtlichen Medien