Dokumentation Mit Sicherheit unsicher

Kritische Perspektiven auf den Maghreb als sichere Herkunftsregion

Information

Zeit

13.05.2016

Veranstalter

Ramona Hering,

Mit

Emmanuel Mbolela, Nina Schwarz, Carsten Gericke

Themenbereiche

Staat / Demokratie, Migration / Flucht, International / Transnational, Westeuropa

Zugehörige Dateien

Nina Schwarz

Sich politisch zu engagieren ist in vielen Ländern der Welt gleichbedeutend damit die eigene Existenz und teilweise das eigene Leben zu gefährden. In der Konsequenz werden Betroffene so häufig zu Flüchtenden, die sich erneut Gefahren aussetzen müssen, mit der Hoffnung irgendwo Sicherheit zu finden. Einer dieser vielen ist Emmanuel Mbolela, der am 13.5. auf Einladung der Stiftung gemeinsam mit Nina Schwarz und Carsten Gericke darüber sprach, dass die am selben Tag im Bundestag[1] beschlossenen «sicheren Herkunftsländer» Algerien, Marokko und Tunesien genau diese Sicherheit nicht bieten.

Emmanuel Mbolela, der in seinem Buch «Mein Weg vom Kongo nach Europa» seine Flucht eindrücklich schildert, erzählte von seinen Stationen in Algerien und Marokko, wo er keine Sicherheit fand, dafür aber chaotische Zustände. Angefangen bei horrenden Mieten, die Geflüchteten abverlangt werden, über fehlenden Zugang zu einer Gesundheitsversorgung, fehlender Arbeit und der Unmöglichkeit des Schulbesuchs für die Kinder der Geflüchteten. Das allein für sich ist schon prekär, darüber hinaus werden in Algerien Geflüchtete von der Polizei gejagt, Frauen vergewaltigt und insgesamt die Flüchtenden alles andere als integriert. Auch in Marokko stellt sich die Situation nicht besser dar. So werden Männer systematisch bei Razzien an die Grenze nach Algerien verbracht, mit dem Ziel sich ihrer zu entledigen. «Es ist mir unverständlich, wie in Deutschland diese Länder als sicher eingestuft werden können», so Emanuel Mbolela. Und mit Blick auf die europäische Flüchtlingspolitik führt er aus, dass diese EU, die mit ihren diversen Freihandelsabkommen viele afrikanische Staaten zu ihren abhängigen Mündeln macht und die einheimische Wirtschaft vielerorts zerstört, gleichzeitig in ihrer Flüchtlingspolitik einen «sicherheitspolitischen Ansatz verfolgt und nicht einen humanitären».

Nina Schwarz, Ethnologin und aktiv bei AlarmPhone, berichtete über die Arbeit der Organisation bei der Suche nach herumirrenden Schiffen mit Geflüchteten und der Unterstützung bei der Rettung solcher Boote. Die Arbeit für Geflüchtete, besonders aber die Arbeit in Menschenrechtsorganisationen ist in Marokko für die Aktiven alles andere als ein akzeptiertes Unterfangen. Es gibt viele bekannte Fälle von Aktivist*innen, die festgenommen, inhaftiert, verurteilt und in Haft misshandelt werden. Soviel zur Sicherheit in Marokko, zu rechtstaatlichen Prinzipien und nicht vorliegender systematischer Verfolgung.

Carsten Gericke vom European Centre for Constitutional and Human Rights (ECCHR) erläuterte die Begrifflichkeiten sicherer Herkunftsstaat und sicherer Drittstaat, die beide ihren Ursprung im sogenannten Asylkompromiss von 1992/93 haben. Auf dem Konzept der sicheren Drittstaaten bauen die verschiedenen Dublin (I, II und III) Verordnungen auf, denen zufolge Flüchtlinge in dem «sicheren Staat» Asyl beantragen müssen, welchen sie zuerst betreten. Diese Dublin Regelung war seit der sogenannten Flüchtlingskrise Anfang des Jahres 2016 für einen Zeitraum von ca. 6 Monaten mehr oder weniger außer Kraft gesetzt. Wichtig ist bei der gegenwärtigen Entwicklung zur Bestimmung weiterer sicher Herkunftsstaaten, vor allem, dass die deutsche Regierung wider besseres Wissen leugnet, dass in den genannten Ländern systematisch gefoltert wird und grausame, unmenschliche, sowie diskriminierende Verfolgung geschieht. Gericke sprach von einem «White Washing» was zur Folge hat, dass NGOs und Menschenrechtsaktivist*innen in den Ländern Tunesien, Marokko und Algerien geschwächt und gleichzeitig die jeweiligen Regierungen in diesem Tun bestärkt werden.

In Deutschland bedeutet die Regelung für Geflüchtete und Transit-Geflüchtete, dass sie keine reale Chance mehr bekommen einen Asylantrag zu stellen (eine Woche für die Anhörung), «was einer massiven Verkürzung ihres Rechtsschutzes gleichkommt» so Gericke. Darüber hinaus werden Menschen aus sogenannten sicheren Herkunfts- und Drittstaaten sozial massiv isoliert und von anderen Flüchtenden räumlich getrennt. Sie erhalten keine Möglichkeiten zur Integration, bekommen nur Sachmittel und ihre Kinder dürfen nicht zur Schule gehen. Das Ziel ist die Abschreckung der Flüchtenden. Und die weitere Aushöhlung des Asyl-Rechts.

 


[1] Nach den Balkanstaaten und der Türkei hat der Bundestag am 13.5.2016 auch die Länder des Maghreb zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Dafür machte die Bundesregierung weitreichende Zugeständnisse im Bereich der Menschenrechte, der Presse- und Versammlungsfreiheit. Nach einem beschleunigten Verfahren sollen bald nicht nur Staatsbürger*innen aus Marokko, Algerien und Tunesien aus Deutschland abgeschoben werden können, sondern auch Migrant*innen aus dem sub-saharischen Afrika, die über den Maghreb in die EU eingereist sind. Gegenwärtig kann dieser Beschluss im Bundesrat noch gekippt werden.