Dokumentation Kritik der Grünen Ökonomie

Kann ein «grüner» Kapitalismus einen Ausweg aus der tiefen ökologischen und sozialen Krise ermöglichen?

Information

Zeit

13.07.2016

Veranstalter

Michael Brie,

Mit

Barbara Unmüßig, Dagmar Enkelmann, Michael Brie

Themenbereiche

Gesellschaftliche Alternativen, Sozialökologischer Umbau, Wirtschafts- / Sozialpolitik

Dagmar Enkelmann, Michael Brie
Dagmar Enkelmann, Michael Brie (Fotos: Martha Dörfler, RLS)

Zur Premiere des Buches «Kritik der Grünen Ökonomie» aus dem oekom-Verlag hatte die Rosa-Luxemburg-Stiftung Mitte Juli in den Salon am Franz-Mehring-Platz geladen: Moderiert von Dagmar Enkelmann, der Vorstandsvorsitzenden der RLS, diskutierten Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung und Mitautorin des Buches sowie Michael Brie vom Institut für Gesellschaftsanalyse, ob es den «grünen Kapitalismus gibt oder nicht gibt», wie Enkelmann eingangs sagte.

Die RLS-Vorsitzende erinnerte daran, dass dies nicht die erste Auseinandersetzung der Stiftung mit der grünen Ökonomie ist. Schon 2009 hatte diese einen Band von Tadzio Müller und Stephan Kaufmann zum Thema Grüner Kapitalismus veröffentlicht, der inzwischen die vierte, überarbeitete Auflage erlebte.

Mit dem neuerlichen Buch wolle man, wie Barbara Unmüßig erläuterte, auf die Versuche von Institutionen wie Weltbank und OECD reagieren, die «grüne Ökonomie» als Gegenbegriff zu etablieren zu dem vom Weltgipfel in Rio 1992 entwickelten Begriff der nachhaltigen Entwicklung.

Unmüßig gab einen kurzen Abriss über die wesentlichen, im Band festgehaltenen Kritikpunkte. Zunächst werde mit dem Glauben aufgeräumt, man könne mit mehr Effizienz und technologische Innovationen die globalen Krisen, vor allem das Armutsproblem lösen. Wer annehme, so die Gerechtigkeitskrise in den Griff zu bekommen, «sitzt einem Illusions- und Ausblendungsprogramm» auf, erklärte die Böll-Vorsitzende. «Wir müssen mit weniger auskommen, ein 'business as usual' können wir uns nicht mehr leisten.»

Desweiteren kritisiere das Buch, dass auf die ökologischen und sozialen Krisen mit mehr Marktinstrumenten reagiert wird. Die Vordenker dessen verlangten, die Dinge, die noch nicht durch den Markt erfasst sind, endlich zu ökonomisieren, die Natur beispielsweise zu monetarisieren oder über CO2-Preise die globale Klimakrise zu lösen. «Wer auf Marktversagen mit noch mehr Marktmechanismen reagiert, hat überhaupt nicht begriffen, was uns in der Zukunft erwartet», stellte Unmüßig klar.

Schließlich gehe es - und das auch für die beiden Stiftungen - darum, soziale Innovationen zu fördern: Gemeinwohl- und solidarische Ökonomien und den Ausbau von «global commons.» Gemeinsam mit allen widerständigen Kräften müsse der Wachstumswende eine Stimme gegeben werden, verlangte sie.

Michael Brie lobte die Machart des Bandes, es sei brillant und verständlich geschrieben. Es bilde eine Brücke von dem, was mit «green economy» gemeint ist, zu der Auffassung, dass die Welt endlich ist. Im Kern gehe es um eine sozialökologische Transformation. Darüber gebe es bei beiden Stiftungen teilweise gemeinsame Ziele und Begriffe.

Zugleich bezeichnet Brie das Buch als «schrecklich enttäuschend» - «ent-täuschend» sei die Erkenntnis, dass sich selbst die grün-intelligente Lebensweise der globalen Mittelklasse nicht verallgemeinern lasse. Ein «american way of life» für alle ist «prinzipiell unmöglich».

Den Übergang zu einer wirklichen grünen Ökonomie müsse man deswegen, so Brie, viel stärker als «Teil eines Zivilisationskomplexes» begreifen, bei dem es um unsere Lebens- und Verkehrsweise insgesamt geht. Es gelte genau nachzufragen, was es gesellschaftsstrategisch bedeutet, wenn eine grüne Lebensweise für alle nicht aufgeht.

Für Brie reicht dazu die im Buch geäußerte Machtkritik nicht weit genug. Macht sei nicht nur einen Frage von Lobbygruppen, sondern die Machthaber seien in gewisser Weise «von uns» beauftragt. «Wir geben ihnen diese Macht.»

Daran anknüpfend drehte sich die folgende Debatte stark um den Punkt, ob die gegebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für erste Schritte in Richtung Nachhaltigkeit ausreichten, oder ob ein radikaleres Herangehen angezeigt ist, wie Dagmar Enkelmann als Frage in den Raum stellte.

Die Grünen mogelten sich keineswegs um die Machtfrage herum, betonte Barbara Unmüßig in diese Zusammenhang. «Weltweit erleben wir neue gigantische Monopole, die die Alltagswelt der Menschen intensiv berühren.» Allerdings hält sie eine «reine Verstaatlichung» nicht für die beste Lösung. Notwendig seien mehr Experimente, wo theoretische Konzepte erprobt würden. Ziel müsse auch sein,  das Primat der Politik zurückzuholen.

Später präzisierte die Vorsitzende der Böll-Stiftung ihre Überlegungen. Anzustreben sie nicht eine «naive» Haltung in dem Sinne, dass alle vor ihrer Haustür ein bisschen Veränderung machen. Ihr gehe es um größere Experimente - im Sinne beispielsweise des «urban gardening» - und auch um große Strukturveränderungen, wofür Allianzen und Bündnisse gefunden werden müssen.

Michael Brie fragte sich generell, ob eine grüne Ökonomie im Sinne einer Transformation wirklich ein erster Schritt hin zu einer anderen Welt sein könne. Er erlebe derzeit - trotz aller gegensätzlichen Signale - eher eine «Homogenisierung des Machtblocks». Aus seiner Sicht hängen die globalen Mittelschichten von den wesentlichen Zweigen der Wertschöpfung - Rohstoffe, Agrar, Verkehr, dem militärisch-industriellen Komplex sowie der Hightech-Branche - ab. Einzige Ausnahme sei der öffentliche Dienst. «Die Organisation der Macht besteht darin, dass fast alle davon abhängen», ist Brie überzeugt.
   
Auch er sprach sich dafür aus, viel mehr Experimente zuzulassen. Besonders förderungswürdig seien kommunale und genossenschaftliche Prozesse. Leider, schränkte Brie hier ein, sei es die Hauptschwäche der gegenwärtigen Gesellschaft, dass sich der Raum für wirkliche Experimente in Richtung einer anderen Gesellschaft nicht zu öffnen, sondern zu schließen beginne. «Es gibt keine Struktur der Ermöglichung, wir haben viel mehr Strukturen der Verunmöglichung.»

Den entscheidenden Ausweg sieht Michael Brie in einer systematischen Umverteilung, verbunden mit einem echten strukturellen Umbau der Gesellschaft. Nach seiner Einschätzung reiche dafür der Einsatz von 5 bis 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. «Dieser Anteil müsste es uns doch wert sein, den Planeten zu retten.»

Ein solches Vorgehen löse aber nicht die Wachstumsfrage, selbst bei 10 Prozent Umverteilung werde es kein Rückgang des Wachstums geben. wandte Barbara Unmüßig ein. «Man kann den Menschen abstrakt den Klimawandel erklären, aber wir haben keine Antwort auf die Krise, die durch den Rückgang des Wachstums entsteht.»

Eine der zentralen Fragen ist für Dagmar Enkelmann in diesem Zusammenhang die der Klimagerechtigkeit. In dieser kommen Themen wie Arbeit, Eigentum, Demokratisierung und soziale Verhältnisse zusammen. Deswegen befasse sich auch die Stiftung intensiv damit.

Auch nach Enkelmanns Einschätzung mogeln sich auch linke Grüne derzeit um die Wachstumsfrage herum. Michael Brie schlug dazu eine intelligente Schrumpfungsstrategie vor. Weil der gesellschaftliche Umbau - wie zum Beispiel der Wechsel vom Auto hin zu öffentlichen Nahverehr - «gigantische Investitionen» erfordert, plädierte der Wissenschaftler für eine Übergangszeit. In dieser könne es noch ein «Nettowachstum» geben, von dem man aber spätestens in 15 oder 20 Jahren heruntergehen müsse.  Sein großes Ziel sei, von einem primären Angst- und Bedrohungs- zu einem Hoffnungskurs kommen.

Jörg Staude


Grüner Kapitalismus
Krise, Klimawandel und kein Ende des Wachstums. Von Stephan Kaufmann und Tadzio Müller. Reihe einundzwanzig der RLS, Bd. 2
Im Dezember 2009 erschien eine empirische Studie in der Reihe «einundzwanzig» der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die Studie untersucht materielle Realität bisheriger Politiken ökologischer Modernisierung. Sie zeigt die strategischen Konzepte der unterschiedlichen Kräfte eines grünen Kapitalismus und entwickelt eine Kritik des kapitalistischen Green New Deal. Es werden Perspektiven der Klimagerechtigkeit und der solidarischen Transformation bis hin zu einer möglicherweise notwendigen «Schrumpfungsökonomie» diskutiert.

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Über die Mythen der Green Economy
4. aktualisierte Auflage in der Reihe «luxemburg argumente»

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Krautreporter, 21.7.2016

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