Mit dieser Werkstatttagung beginnt das Studienwerk in Kooperation mit der Akademie für politische Bildung in der Rosa-Luxemburg- Stiftung die erste von drei größeren öffentlichen Bildungsveranstaltungen.
Wir wollen mit Studierenden, Promovierenden und Vertrauensdozent_ innen sowie auch allgemein mit theorieinteressierten Menschen den Versuch unternehmen, verschiedene kritische Gesellschaftstheorien unter dem Fokus ihrer jeweiligen bildungstheoretischen Aspekte zusammenzudenken, um ein gesellschaftstheoretisches Fundament für eine linke Bildungspraxis auszubilden.
Experiment Bildung: Auf den Schultern von Riesen
Der Anspruch dieser Bildungs-Werkstatt liegt in zwei Punkten:
- in der Durchleuchtung von vier zentralen Gesellschaftstheorien auf ihren jeweiligen bildungstheoretischen Ansatz mit Blick auf Kernthesen, historischen Kontext der Entstehung, Lücken, Aktualität und Praxistauglichkeit.
- im Versuch der Zusammenführung der bildungstheoretischen Ansätze zu einer kohärenten und zeitgemäßen gesellschaftstheoretisch fundierten Bildungstheorie, in der die einzelnen Ansätze sich in ihren jeweiligen Lücken kompensieren und in den Stärken ergänzen.
Bei den vier Gesellschaftstheorien handelt es sich um die Kritische Theorie der «Frankfurter Schule», die Hegemonietheorie von Antonio Gramsci, den materialistischen Feminismus sowie Ansätze der Dekolonialisierung. – Es sind die Theorien, mit denen Studierende der Geistes- und Sozialwissenschaften in linken Zusammenhängen hauptsächlich konfrontiert werden, die ferner etwa für Dissertationsthemen von Promovierenden herangezogen werden und die nicht zuletzt auch in der Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Orientierung von Analysen gesellschaftlicher Phänomene sowie politischer Praxis oder auch der politischen Bildungsarbeit verwendet werden.
Hierbei ist ein häufig auftretendes Phänomen zu beobachten: eine Art Überidentifikation mit der Theorie, der man sich zugehörig fühlt, so dass man glaubt, mit dieser alles hinreichend erklären zu können. Die Stärken der jeweiligen Theorie werden oft übermäßig betont und die Schwächen anderer Theorien werden gerne besonders hervorgehoben. Gegen beide Seiten dieses Dogmatismus und tendenzielle identitätspolitische Borniertheit wollen wir die Offenheit stärken, weil jener Dogmatismus in der Regel das Veralten der Theorien beschleunigt. Eine Theorie muss offenbar stets am dringlichsten weniger gegen ihre Kritiker_innen, als vielmehr gegen ihre Liebhaber_innen verteidigt werden.
Gesellschaftstheorien besitzen immer einen «Zeitkern der Wahrheit », d. h. mit dem Voranschreiten der gesellschaftlichen Entwicklung können sie nur bedingt auf sich neu ergebene Fragen und Probleme zeitgemäße Antworten und Lösungen geben, wenn sie sich als abgeschlossen und fertig verstehen und nicht bereit sind, sich zu öffnen und Impulse von außen in sich aufzunehmen.
Linke Bildung will emanzipatorisch – und damit anders sein als klassische Bildung. Sie will den Lernenden weitreichende Gestaltungsspielräume im Lernprozess zur Verfügung stellen. Wissensvermittlung alleine reicht ihr nicht aus, sie will auch Handlungskompetenzen ausbilden und die Gesellschaft verändern. Linke Bildung betrachtet sich in ihrer inhaltlichen Zielsetzung als Teil eines Politikprojektes, das durch Eigenschaften wie Aufklärung, Autonomie und soziale Gerechtigkeit gekennzeichnet ist. Da ein linkes Politikprojekt wesenhaft auf Solidarität und Selbstbestimmung zielt, können ihre Politikmuster nicht einfach dieselben sein, wie die der Kräfte, die auf Beharren ausgerichtet sind. Dies liegt in der Natur der Sache, wenn Ausbeutung, soziale Ungleichheit, Rassismus und Sexismus überwunden werden sollen.
Deshalb wollen wir die theoretischen Grundlagen und konkreten Formen linker Bildungspraxis thematisieren und die Frage stellen: Was sind Schwachstellen, wo liegen Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Weiterentwicklung und wie müssten die Theorien, Konzepte und institutionalisierten Formen verändert werden, um ihr emanzipatorisches Potential in einer sich verändernden Situation zu entfalten?
In 2018 und 2019 sind Folgetagungen zu den Schwerpunkten «methodische Bildungs- und Lernverfahren» sowie «soziale Konflikte in Bildungsinstitutionen» geplant.