Dokumentation Kunst aus der Krise

In Berlin wurde die Ausstellung «Artists in Athens – City of Crisis» eröffnet / Noch bis 13. Juli sind Porträts von 14 KünstlerInnen zu sehen

Information

Veranstaltungsort

Rosa-Luxemburg-Stiftung
Franz-Mehring-Platz 1
10243 Berlin

Zeit

15.06.2017 - 13.07.2017

Themenbereiche

Kultur / Medien, Kunst / Performance, International / Transnational, Europa, Westeuropa

Zugehörige Dateien

Von Jörg Staude und Henning Heine.

Ein «sehr berührendes Projekt» sei die Ausstellung für sie, erklärte die Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Dagmar Enkelmann, zu Beginn der Vernissage am Berliner Franz-Mehring-Platz 1. Es sei nicht wirklich eine Kunstausstellung, sondern eine über Kunst und vor allem eine über Künstlerinnen und Künstler in Griechenland. Dafür stehen die Vielfalt der auf den Plakaten wiedergegebenen Werke sowie die vielen persönlichen Informationen über die SchöpferInnen der Werke.

Tatsächlich stellt sich das Recherche- und Ausstellungsprojekt «Artists in Athens – City of Crisis» der Frage, wie Krise und künstlerische Produktion einander bedingen. Auf großformatigen Postern werden 14, zumeist in Griechenland lebende GegenwartskünstlerInnen im Alter von 24 bis 72 Jahren porträtiert, die sich abstrakter und gegenständlicher Malerei, Street Art, Bildhauerei, Installationen und Fotokunst widmen. Zu lesen sind Stellungnahmen zu ihrer eigenen Entwicklung und der Entstehungsgeschichte ihrer Werke sowie dazu, wie sich die langjährige Krise des Landes auf ihr Leben und ihr Schaffen auswirkt.

Die 14 gezeigten großen Poster beruhen auf Interviews und Fotodokumentationen, die zwischen Februar und Oktober 2016 erstellt wurden, berichtete Kurator Heiner Legewie auf der Vernissage. Für ihn stehen die Porträts und die künstlerischen Werke auf den Postern in einem schroffen und zugleich fragilen Gegensatz. «Bild- und Textfelder treffen hart aufeinander», beschrieb er.  Auf diese Weise habe die Grafikerin Joana Katte das Krisenthema auch ästhetisch aufgegriffen, würdigte der Kurator die Arbeit.

Wie zwei Feldforscher seien sie, er, Legewie, und der zweite Kurator Georg Eichinger, letztes Jahr in Athen unterwegs gewesen und hätten beim Interviewen und Fotografieren sehr unterschiedliche Künstlerinnen und Künstler kennengelernt. Ihr beider Ansatz sei nicht kunstkritisch, sondern eher ethnografisch, eine Kombination aus sozialwissenschaftlicher Recherche und Fotodokumentation, sagten sie vor den gut 40 BesucherInnen der Ausstellungseröffnung im Foyer.

Das gewählte Ausstellungsformat haben sie, klärte Legewie auf, bereits bei Projekten zur Bürgerpartizipation innerhalb des Themas der «Sozialen Stadt» in den 1990er Jahren entwickelt. Damals hätten sie «Bürgerausstellung» genannt, weil diese Form dem Bürger in der Öffentlichkeit Stimme und Gesicht gibt. Nun seien es Künstlerinnen und Künstler, die als Bürger zu uns sprächen.

Stellvertretend für die 14 KünstlerInnen gab die Athenerin Venia Dimitrakopoulou bei der Vernissage Einblicke in ihre Arbeit und ihr Leben. Ihr Vater habe ihr die Liebe zur traditionellen Bildhauer-Kunst vermittelt. Quelle ihrer Inspiration sei inzwischen alles, was sie umgebe. Die Welt, in der wir leben, Vergangenheit und Zukunft, das Geschehen an sich. Sie arbeite mit vielfältigen Materialien - Stein, Marmor, Holz, Papier, Glas, Metall, Video und Sound und versuche, jede Möglichkeiten zu erkunden, sich mittels Kunst auszudrücken. 
 

Kunst ist für mich immer ein offener Prozess

Sie bemühe sich, soweit es ihr möglich ist, sagte Dimitrakopoulou weiter, den Raum zwischen den Extremen verschiedener Ausdrucksmöglichkeiten zu erkunden - vom Materiellen zur Einbildung, vom Schatten zum Licht, von Groß zu Klein, von individueller Tätigkeit zu vergemeinschafteter Arbeit.  Kunst ist für sie, erklärte Dimitrakopoulou, immer auch ein offener Prozess, ist Entdeckung und Entwicklung und das Abenteuer des menschlichen Lebens. «Wir leben in eine Zeit des Übergangs, die weltweiten Veränderungen fordern uns heraus, unser Denken zu verändern», sagte sie. Für sie schließe Veränderung auch immer die Notwendigkeit ein, sich selbst zu ändern. «Nichts kann sich verändern, bevor sich nicht etwas in unserem Innern ändert», betonte Dimitrakopoulou. Kunst könne dabei ein Helfer sein.

Das Leben der Künstler als Bürger wird in Griechenland seit Jahren auf eine harte Probe gestellt. Die wenigsten der Ausgestellten könnten von ihrer Kunst leben, erklärte Dagmar Enkelmann. «Das ist übrigens nicht nur in Griechenland und nicht  nur in Zeiten der Krise so.»

Für die Stiftungsvorsitzende legt das in der Ausstellung Gezeigte Zeugnis ab vom heutigen Griechenland, von einer Gesellschaft, die sich in einer tiefen Krise befindet. Damit gingen nach ihrem Eindruck die KünstlerInnen sehr unterschiedlich um. Auch haben sich, das zeigten die Begleittexte, die Kunst, deren Themen und der Anspruch an die eigene Arbeit in den letzten Jahren verändert.

Gerade in Athen bündelten sich, so Enkelmann, wie in einem Brennglas die Auswirkungen der Krise Griechenlands. Das sehe man, wenn man mit offenen Augen durch die Stadt gehe: Obdachlose, geschlossene Geschäfte und Flüchtlinge, die gestrandet sind, arbeitslose Jugendliche und viel Armut. Diese Entwicklung lasse sie wie andere auch nicht los, besonders deswegen nicht, weil man selbst große Hoffnungen in eine linke Regierung gesetzt hatte und erkennen muss, dass vieles davon sich nicht erfüllt hat.

Wie viele von diesen menschlichen Schicksalen lasse man dann als KünstlerIn an sich heran? fragte Enkelmann. Und könne oder müsse Kunst in diesem Zeiten dann auch Hoffnung geben? Für sie jedenfalls stecke in einigen der ausgestellten Berichte eine kleine Hoffnung dahingehend, dass sich neue Formen von Solidarität entwickelten - als Kooperation oder als Kooperative, oder in Form von Gruppenarbeit, die durchaus auch die Kreativität befördere.

Sie sei froh, bilanzierte Enkelmann, dass sich die Stiftung entschieden habe, die Ausstellung zu unterstützen und hoffe, dass man nach dem Besuch der Ausstellung das Griechenland von heute etwas anders wahrnimmt.

Am Abend stellten Venia Dimitrakopolou und Stella Christofi, eine weitere in der Ausstellung porträtierte Malerin, im Salon der Stiftung mittels Medienpräsentationen ihre Werke vor. Bei der anschließenden Podiumsdiskussion «Kunst und Krise in Europa – was lernen von Athen?», moderiert von Maria Oshana vom Athener Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung, berichteten sie über die soziale Lage in Griechenland, die gegenwärtigen Arbeits- und Lebensbedingungen für Kunstschaffende und die Bedeutung der erstmals auch außerhalb Kassels stattfindenden documenta 14 für die griechische Hauptstadt. Kurator Heiner Legewie sprach über die verschiedenen politischen Ansätze im Oeuvre der porträtierten KünstlerInnen. Dezidiert gesellschaftskritische Werke fänden sich etwa bei den Street Art-Künstlern Lotek und Wild Drawing (W.D.), aber auch bei dem Maler Jannis Psychopedis und anderen, sagte er.

Der dreisprachige Ausstellungskatalog als PDF-Download.