Dokumentation The Border, The Work and The Fight for Justice

Das Recht zu migrieren, das Recht zu bleiben. Fotoausstellung und Diskussion von und mit David Bacon

Information

Veranstaltungsort

Rosa-Luxemburg-Stiftung
Franz-Mehring-Platz 1
10243 Berlin

Zeit

04.12.2017 - 22.01.2018

Veranstalter

Torge Löding,

Mit

David Bacon, Carlos Sandoval, Stefanie Kron

Themenbereiche

Ungleichheit / Soziale Kämpfe, Arbeit / Gewerkschaften, Wirtschafts- / Sozialpolitik, Partizipation / Bürgerrechte, Migration / Flucht, Amerikas, USA / Kanada, Mexiko / Mittelamerika / Kuba

 

Eröffnung der Fotoausstellung «The Border, The Work and The Fight for Justice» von David Bacon mit anschließender Debatte zum Thema «Migration ohne Mauern. Kampf für globale, soziale Gerechtigkeit»

Mehrere große weiße Wände teilen im Dezember 2017 das Hausfoyer am Franz-Mehring-Platz 1 in Berlin, dem Sitz der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Auf den wie Mauern wirkenden Tafeln sind beiderseits je sechs großformatige Fotografien des amerikanischen Künstlers David Bacon zu sehen: In schmucklosem Schwarzweiß stehen Menschen vor Gitterstäben und Stacheldraht, reichen sich durch Löcher in einer Grenzmauer den Finger…

Die Ausstellung ist bis zum 22. Januar 2018 täglich und rund um die Uhr im Foyer des Franz-Mehring-Platz 1 in Berlin zu sehen.

Ist hierzulande von Flüchtlingen die Rede, denke jeder ans Mittelmeer, an die Türkei, den Nahen Osten oder an Afghanistan. Allzu oft aber werde vergessen, dass weltweit über 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind, zu einem Großteil in ihren Heimatländern selbst. Und nur ein Bruchteil der Flüchtenden gelange überhaupt nach Europa, betonte die Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Dagmar Enkelmann, bei der Eröffnung der Ausstellung am 04.12.2017.

Mit den Fotos von David Bacon wolle man, so Enkelmann weiter, ein Licht auf den amerikanischen Kontinent werfen, vor allem auf die Grenze zwischen Mexiko und den USA. Die Vorsitzende kritisierte in dem Zusammenhang nicht nur die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, Mauern bauen zu wollen, sondern auch die jüngste Erklärung der US-Vertreterin bei der UNO, die USA werde sich nicht mehr am globalen Flüchtlings- und Migrationspakt beteiligen.

Die Folgen dieser Politik könne man an den Bildern von Bacon ablesen, sagte Dagmar Enkelmann und riet dazu, sich für diese Zeit zu nehmen. Bacon schaue mit seiner Kamera in die Gesichter, bringe sie dem Betrachter nahe, gab sie ihren Eindruck wieder. Jedes Foto verkörpere eine Geschichte - und das nicht allein, weil jedem Bild eine erklärende Notiz beigefügt ist. Bacons Bilder selbst legten die Gründe für das Verlassen der Heimat und die damit verbundenen Hoffnungen offen, zeigten aber auch diejenigen, deren Hoffnungen enttäuscht wurden, bilanzierte Enkelmann.

Bilder dieser Art zu machen, erfordere viel Kraft, aber die Informationen und die Aufklärung, die die Bilder geben, seien sehr wichtig, sagte Enkelmann. Sie wünsche sich, dass viele Menschen zur Ausstellung kommen und angeregt werden, über den «nationalen Tellerrand» hinauszuschauen.

Wir sind Arbeiter, keine Sklaven

Als besonders bedrückend empfand Dagmar Enkelmann ein Foto, auf dem ein Protestschild mit der Aufschrift - im Original in Englisch - «Wir sind Arbeiter, keine Sklaven» zu sehen ist. Das erinnere sie an aktuelle Debatten um die Sklavenarbeit und den Sklavenhandel in lybischen Flüchtlingscamps.

Sie lenkte den Blick dabei auch darauf, dass die Fluchtgründe - gleich, ob die Menschen nun aus Asien, Afrika und Lateinamerika kämen - oft dieselben sind: Krieg, Terror, Gewalt, Hunger, aber auch Perspektivlosigkeit und Zerstörung von Lebensgrundlagen, letzteres zunehmend durch den Klimawandel.

David Bacons Arbeit stehe dabei für ein Recht auf Migration, eine Migration ohne Zäune und ohne Stacheldraht, betonte die Stiftungsvorsitzende. In diesem Kampf stehe die Rosa-Luxemburg-Stiftung an seiner Seite.

David Bacon erinnerte seinerseits bei der Eröffnung daran, dass diese Ausstellung seine zweite in Deutschland zum Thema Migration ist. Zwölf Jahre zuvor war seine erste von der IG Metall organisiert worden. Für Bacon ist das ein Ausweis von Internationalismus, den in Deutschland zu spüren ist. Es sei einfacher, denke er manchmal, so eine Fotoausstellung in Deutschland zu zeigen als in den USA.

Ziel seiner Ausstellung sei ein «Realitätscheck», betonte Bacon. Er möchte die soziale Realität zeigen, aber aus einer kritischen Haltung heraus und hoffe, dass diejenigen, die sich die Fotos ansehen, dann ebenso eine kritische Position beziehen.

David Bacon sieht, wie er sagte, seine Fotografie sogar weitergehend als eine Form von «Teilhabe an sozialen Bewegungen» an. Seit Jahren sei er in der Gewerkschafts- und Migrantenbewegung aktiv. Er wisse gar nicht so genau, ob «er eine Organisator ist, der Fotos macht, oder ein Fotograf, der mit seinen Bildern bei der Organisation der Bewegung hilft.» Er wolle nicht nur Leid und Schmerz zeigen, sondern auch ein Nachdenken anregen, «inwieweit wir diese Welt verändern können, damit diese Art von Schmerz aufhört.»

Deswegen möchte er - im Unterschied zu vielen Medien in den USA - die Menschen, die Grenzen überschreiten, nicht allein als Opfer zeigen, sondern auch als soziale Akteure. Er wolle die Stereotype durchbrechen, die die Menschen mit sich herumtragen. Die Migrationspolitik der USA und anderer Ländern ist grausam und könne grausam sein, aber immer mehr Menschen leisteten Widerstand. Wenn es ihm mit den Bildern gelinge, diesen Widerstand zu stärken, habe er seine Absicht erreicht.

Bacon zeigte sich bei der Eröffnung vorsichtig optimistisch: Es gebe zunehmend organisierte Aktionen gegen die furchtbare Lage, in der sich die MigrantInnen befinden. Millionen Menschen forderten Veränderung.

Das Recht zu migrieren, genauso wie das Recht zu bleiben

Bacons Haltung, dass MigrantInnen nicht in erster Linie Opfer, sondern vor allem soziale Akteure sind, wurde in der anschließenden Podiumsdebatte im Salon der Rosa-Luxemburg-Stiftung von Torge Löding aufgegriffen. Der Experte aus dem die Ausstellung organisierenden RLS-Referat Amerika und Vereinte Nationen bekräftigte die politische Grundhaltung die Stiftung. Für die RLS habe das Recht zu migrieren genauso Gültigkeit wie das Recht zu bleiben. Löding wies zudem auf das neuerschienene Fotobuch «Der Kreis» des mexikanischen Fotografen Ricardo Ramirez hin, dass über das Referat erhältlich ist.

David Bacon legte eingangs der Debatte im Salon auch die Doppelzüngigkeit der Migrationspolitik in den USA offen. So werde behauptet, dass die Wirtschaft der USA die Migration nicht benötige. Tatsächlich aber sei die Anzahl der MigrantInnen in den USA von 4,5 Millionen 2002 auf aktuell etwa 12 Millionen gestiegen. Selbst unter der Regentschaft von Präsident Trump habe die Zahl der VertragsarbeiterInnen zugelegt - auf zuletzt 200.000. Diese stellten unter anderem zehn Prozent der Arbeitskräfte in der US-Landwirtschaft. Zugleich läge die Zahl gegenwärtig der monatlichen Abschiebungen leicht unter der zu Zeiten der Obama-Administration.

Gegen die Trumpsche Einwanderungspolitik gibt es nach den Worten von David Bacon «sehr viel Widerstand». So versuche die Linke Menschen, die keine Ausweispapiere haben, zu schützen. Auch die Gewerkschaften wollten die Abschiebung von Arbeitern ohne Papiere zu verhindern. Überhaupt stellen die Gewerkschaften für Bacon eine der wichtigsten Verbündeten in einer Pro-Migrationsbewegung dar.

Der Fotokünstler sprach sich dabei für eine Migrations-Analyse aus, die auf der Basis von Klassen beruht. Die Notwendigkeit von Migration liegt für ihn im kapitalistischen System begründet. Die Menschen seien Teil der Arbeiterklasse in ihren Ursprungsländern, schafften aber auch einen Mehrwert in den Ländern, in denen sie dann tätig sind.

Das wichtigste rechtliche Ziel müsse darin bestehen, bekräftigte auch Bacon, dass das Recht, nicht migrieren zu müssen, genauso Gültigkeit haben muss wie das Recht, in der Heimat zu bleiben. Die wichtigste Antwort der Linken auf die Migration stellt für Bacon eine echte Solidarität dar - und nicht nur das Zeigen von Sympathie.

Dr. Carlos Sandoval vom Humboldt-Lehrstuhl an der Universität von Costa Rica konzentrierte sich im Salon darauf zu erklären, warum rechte Kräfte das Thema Migration so für sich okkupieren konnten. Aus seiner Sicht gründe sich das zunächst generell in dem Trend, in dem auch Gender zu einer «Ideologie» erklärt wurde oder Liberalismus zu einer Art «geistiger Unordnung». Oder wenn der Glaube regiere, man müsse die Grenzen schützen, damit die USA wieder «groß» werden können.

Die «globale Entnationalisierung der Ökonomie» hat für Carlos Sandoval zu einer «Nationalisierung der Politik» geführt. Gegen diese Nationalisierung ist in seinen Augen «schwer anzukommen», weil mit ihr Ressentiments oder ein Unbehagen aufgegriffen wird, die in einem größeren Teil der Gesellschaft anzutreffen sind, auch bei denen, denen es schlecht geht.

Neben den ökonomischen Gründen führe auch, wie der Forscher erläuterte, die demografische Entwicklung zu «Ängsten», die entsprechenden Kräfte sähen sich schon jetzt als «gefühlte Minderheit».

Die Linke, so Sandoval, müsse sich ernsthaft fragen, wie man das in einen progressiven, fortschrittlichen Diskurs wandeln kann. Der Forscher skizzierte dazu einige aktuelle Entwicklungen.

Verbindung von Autoritarismus und Populismus

Neu sei zum Beispiel die Verbindung von Autoritarismus und Populismus. Zwar gebe es das im Prinzip schon seit Margaret Thatcher, aber unter diesem Schirm seien zuerst in den skandinavischen Ländern ausländer- und islamfeindliche Elemente mit Formen wie der Kriminalisierung kombiniert worden.

Aus seiner Sicht sei es gelungen, die rechten Auffassungen ins Zentrum des politischen Spektrums zu platzieren. Wer sich nun gegen diese wendet, schildert Sandoval, muss sich heute mit Rechten auseinandersetzen, die Themen selbst aber sind im «Innern der Gesellschaft» untergebracht.

Wie das erklärt und verstanden werden kann, dazu schlug Carlos Sandoval drei Ansätze vor:

1. Nationalismus galt bisher als eine Art vormoderner Identifikation. Man hatte angenommen, dass in dem Maße, wie die Welt sich global entwickelt, auch der Nationalismus zurückgeht. Dem ist aber nicht so.

2. Nationalismus war auch ein Bezugspunkt im Kampf um die Bildung einheitlicher Nationen. Als Argument gegen den Rassismus verfügt der Nationalismus auch über eine fortschrittliche Seite nach innen, aber eben auch eine feindliche gegenüber Ausländern. Nationalismus und (positiven) Patriotismus in der Alltagspolitik zu trennen, sei nicht so einfach.

3. Sandoval beklagte auch eine Unschärfe der Positionen der Linken bei dem Thema. Diese seien nicht frei von wahltaktischen Überlegungen. Fortschrittliche Positionen könnten in Wahlzeiten eben auch Konsequenzen haben.

Bislang könne die Linke, bedauerte Sandoval, die Ressentiments gegen Migration politisch noch nicht richtig auslesen. Auch er plädierte wie David Bacon dafür, sich mehr der Klassenanalyse zu bedienen und setzte sich dafür ein, die Forschung in diesem Bereich zu verstärken. Es gehe darum, klarzumachen, dass Menschen vor allem aus Gründen der Verarmung gezwungen werden, aus ihren Ländern wegzugehen. Für ihn kommt es auch darauf an, ein Bündnis zwischen organisierten und weniger organisierten Migranten zu schmieden.

Auf das emanzipatorische Potential, das im Thema Migration steckt, richtete Dr. Stefanie Kron, Referentin für Internationale Politik und soziale Bewegungen bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, im Salon ihre Aufmerksamkeit. Der Fußmarsch tausender Geflüchteter 2015 durch Österreich nach Deutschland war für sie ein «starkes Symbol», nahezu ein «Hoffnungsmarsch» hin zu einem kollektiven Recht auf echte Bewegungsfreiheit.

Aktuell verortet die Soziologin in erster Linie auf kommunaler Ebene Handlungsmöglichkeiten im Interesse der Migrantinnen und Migranten und zeichnete eine bis dahin wenig bekannte Spur kommunaler Hilfsbereitschaft nach. So habe es bereits 1993 während der ersten Welle drastischer Verschärfungen der Asylgesetze ein Netz von Zufluchtsstätten gegeben, zum Beispiel in Hannover und Frankfurt (Main). Heute habe unter anderem die Stadt Nürnberg städtische und kommunale Räume für Migrantinnen und Migranten geschaffen.

Mit den Migrationsbewegungen in der Gegenwart wächst die Bedeutung der Lokalpolitik, betonte Kron. Viele Städte unterstützten nicht nur anerkannte Flüchtlinge, sondern auch jene Immigranten, die sich ohne Aufenthaltstitel und also eigentlich illegal in Deutschland aufhielten. Die Kommunen seien hier in der Lage, eigene Regeln festzulegen. Auch würden die Bundesländer die Ausführung der gesetzlichen Vorgaben den Kommunen überlassen.

Willkommensstadt Palermo hat die Residenzpflicht vollständig annulliert

Eine Legalisierung von Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung hält Stefanie Kron so für möglich und realistisch. Als Beispiel dafür führte sie die italienische Stadt Palermo an, die die Residenzpflicht vollständig annullierte und die Stadt zu einer Willkommensstadt erklärte. Die Gesetze zur kommunalen Selbstverwaltung könnten ihrer Ansicht auch in Deutschland nach genutzt werden, um Menschen in Migration in ihren Rechten zu stärken.

In solchen urbanen Räumen könnten die Migranten nicht allein vor illegaler Abschiebung geschützt werden - es seien auch Räume möglich, in den konkretes Zusammenleben stattfinde. Das könnte zu einer Normalisierung der Migration beitragen, auch wenn das nicht ohne Konflikte und soziale Auseinandersetzungen geschehe.

Diesen Kampf um Migration, für ein Recht auf Bewegungsfreiheit sei zugleich einer, blickte Stefanie Kron voraus, für eine postnationale Staatsbürgerschaft. Sie stellte in dem Zusammenhang auch das bisherige Konzept einer Staatsbürgerschaft infrage. Grenzregimes seien nicht vereinbar mit dem Versprechen von persönlicher Freiheit und Gleichheit. «Wer die persönliche Freiheit akzeptiert, muss auch die globale Bewegungsfreiheit akzeptieren», betonte sie.

Das stelle neue Fragen an das Konzept der Staatsbürgerschaft. Diese müsse, so Kron, vom «nationalen Korsett» befreit werden und an deren Stelle eine globale Staatsbürgerschaft eingeführt werden. Sie halte das für eine Vision zur Durchsetzung eines Freiheitskonzepts.