Dokumentation Kann das Bauhaus heute noch provozieren?

Die Eröffnung der Reihe «Bauhaus Lectures» war geprägt durch die aktuelle Debatte über den politischen Charakter der Institution.

Information

Veranstaltungsort

Bauhaus-Universität
Albrecht-Dürer-Straße 2
99423 Weimar

Zeit

15.10.2018

Veranstalter

Stefan Thimmel,

Themenbereiche

Kunst / Performance

«Kann das Bauhaus heute noch provozieren? Können die Bauhaus-Ideen heute noch Streit auslösen? Gibt es noch einen Grund, sich zu streiten?» Diese und andere Fragen stellte Prof. Dr. Winfried Speitkamp, der Präsident der Bauhaus-Universität Weimar sich und den Zuhörer*innen als er am Montag, dem 15. Oktober 2018, im Audimax der Bauhaus-Universität die Bauhaus-Lectures der Hermann-Henselmann-Stiftung und der Bauhaus-Universität Weimar in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung eröffnete. «Zwei Tage vor der offiziellen Eröffnung der Bauhaus-Jubiläums-Feiern», wie der Präsident betonte. Dabei unterstrich er, dass die Lectures für ihn dennoch schon zum Programm des Jubiläums gehören. Zudem zeigte sich Speitkamp sehr erfreut, dass die Bauhaus-Lectures in Weimar eröffnet wurden und er äußerte die Hoffnung, dass es mit dem Bauhaus-Jubiläum nicht so ausgeht wie mit dem Reformations-Jubiläum im Jahr 2017, bei dem er eben diese Kontroversen vermisste.

Am 15. Oktober konnte der Präsident der Bauhaus-Universität Weimar allerdings noch nicht ahnen, dass nur einige Tage später um das Bauhaus gestritten werden würde wie schon seit Jahren nicht mehr. Die Aufforderung der Stiftung Bauhaus Dessau an das ZDF, das am 6. November 2018 im Rahmen der Konzertreihe zdf@bauhaus geplante Konzert der ostdeutschen Punkband «Feine Sahne Fischfilet» abzusagen, führt  erstens dazu, dass neben der extrem engagierten Band auch das Bauhaus im allgemeinen, und nicht nur die Stiftung Bauhaus in Dessau in aller Munde ist, und zweitens, dass der Streit, den sich Speitkamp wünschte, schon gut zwei Monate vor Beginn der Feierlichkeiten zum 100. Jubiläum des Bauhauses mit aller Heftigkeit geführt wird. Dabei hatte Speitkamp sicherlich andere Gründe, andere Debatten im Sinne als die aktuelle.

Das sehen auch die Vertreter*innen der Bauhaus-Universität Weimar so, die sich am 19. Oktober 2018 in einem offenen Brief an Claudia Perren, Direktorin der Stiftung Bauhaus in Dessau, gewandt haben und sich dabei auch auf die Eröffnung der Bauhaus-Lectures in Weimar beziehen: «…diese Woche haben wir hier an der Bauhaus-Universität den Start in das dem Bauhausjubiläum gewidmete und daher als Bauhaus-Semester bezeichnete Wintersemester gefeiert. Zum Abschluss dieser Woche erfahren wir nun von der Absage des ZDF-Konzerts der Band Feine Sahne Fischfilet durch die Bauhaus Stiftung Dessau. Dass die Stiftung in ihrer Presseerklärung eine Erklärung des Staatlichen Weimarer Bauhauses von 1920 bemüht, halten wir für eine unangemessene Instrumentalisierung unserer gemeinsamen Vorgängerinstitution. Denn es geht in der aktuellen Frage ja nicht um politische Tätigkeit am Bauhaus und auch nicht um die in Ihrer Presseerklärung angestrebte Äquidistanz gegenüber wirklichen oder angeblichen extremen Positionen von links oder rechts. Vielmehr geht es hier darum, dass Ihre Institution, die Teil der Verwalterin des Bauhaus-Erbes ist, sich politischem Druck von rechts beugt…» Hierbei beziehen sich die Unterzeichner*innen, zu denen neben weiteren auch Dr. Thomas Flierl, Vorsitzender des Vorstands der Hermann-Henselmann-Stiftung und Prof. Dr. Max Welch Guerra, Bauhaus-Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und Planung, Professur Raumforschung und Raumplanung, Fakultät Architektur und Urbanistik, Bauhaus-Universität Weimar gehören, auch auf die im Statement der Stiftung Bauhaus Dessau vom 18. Oktober zitierte Presseerklärung des staatlichen Bauhauses Weimar vom 29. Januar 1920: «Zu den wiederholten Beschuldigungen einer radikal-politischen Parteinahme im Bauhaus haben die Leitung und der Meisterrat schon mehrfach mit der Erklärung Stellung genommen, dass jede politische Tätigkeit im Bauhaus von jeher untersagt war.»

Prof. Dr. Immanuel-Benjamin Hoff hielt den Eröffnungsvortrag der «Bauhaus Lectures» Foto: RLS

Dass das Bauhaus und seine Deutung auch schon damals umkämpft waren, das war unter anderem Thema des Eröffnungsreferates für die elfteilige Reihe Bauhaus-Lectures, die im Juni 2019 ihren Abschluss finden wird.  «Das Bauhaus und die umkämpfte Moderne in Thüringen» - so der Titel des Referates von Prof. Dr. Immanuel-Benjamin Hoff, Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei des Freistaats Thüringen im Audimax der Bauhaus-Universität. Dabei spielte natürlich auch der aktuelle Streit um die Einbettung des neuen Weimarer Bauhaus-Museums am ehemaligen «Gauforum» in das Projekt «Topographie der Moderne» eine Rolle. Hoff zeigte sich nicht ganz einverstanden mit der etwas sperrigen Beschreibung «Topographie der Moderne», er bevorzugt «Quartier der Moderne». Minister Hoff plädierte dafür, das Bauhaus in seiner Vielfalt und seiner Ambivalenz sowie in seiner gesellschaftlichen Verortung zu erfassen. Denn laut Hoff war das Bauhaus schon immer «nicht geradlinig, immer war es widersprüchlich und widerspenstig». Auch dieses Statement lässt sich im Nachhinein zur Debatte um die Absage des Feine Sahne Fischfilet-Konzertes im benachbarten Bundesland Sachsen-Anhalt natürlich anders lesen.

Nach dem erfolgreichen Start in Weimar wird die Reihe im November in Berlin mit einem Vortrag von Prof. Dr. Ines Weizman fortgesetzt, die sich unter dem Titel «1919. Die Neuerfindung von Raum und Zeit» mit der Geschichte des Bauhauses im Hinblick auf die unterschiedlichen politischen, erkenntnistheoretischen, wissenschaftlichen und kulturellen Spannungsfäden auseinandersetzt und sich der Geschichte der Rezeption und der Migration des Bauhauses widmet. Generell zeichnet es die Reihe des Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur und Planung an der Bauhaus-Universität Weimar und der Hermann-Henselmann-Stiftung aus, dass aktuelle Forschungsergebnisse zur Real- und Rezeptionsgeschichte des Bauhauses präsentiert werden. Dabei werden unterschiedliche Orte und Formate gewählt. Neben Vorträgen an der Bauhaus-Universität Weimar finden Vorträge und eine Buchvorstellung im Salon der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin statt und im Frühjahr 2019 wird eine Führung vor Ort in der ehemaligen Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes ADGB in Bernau durchgeführt. Der Gebäudekomplex im Stadtteil Bernau-Waldfrieden wurde vom Bauhausarchitekten Hannes Meyer mit Hans Wittwer und Studenten des Bauhaus entworfen und im Juli 2017 zum Weltkulturerbe der UNESCO erklärt. Im Vortrag von Dr. Anja Guttenberger im April 2019 wird die Entwicklung dieser «Schule im Walde» auch beleuchtet. Planungen nach 1945, Anbauten und Erweiterungen bis in die 1980er Jahre spiegeln die Abkehr von und die Wiederannäherung an das Bauhaus wieder.

Ihren Abschluss finden die Bauhaus-Lectures im Juni 2019 mit einer als Podiumsdiskussion geplanten «Kritischen Revue des Bauhaus-Jubiläums». Fragen wie «Was hat BAUHAUS 100 gebracht, gibt es neue Erkenntnisse, weiteführende Ideen, wo sind die interessanten Kontroversen und Divergenzen, wo ist der Bezug zur heutigen gesellschaftlichen Situation» sollen dabei kontrovers mit Vertreter*innen der Klassik Stiftung Weimar, der Bauhaus-Archivs Berlin, des internationalen Projekts Bauhaus Imaginista und des Projekts Bauhaus diskutiert werden.  Und möglicherweise finden sich dann Antworten auf die von Speitkamp zur Eröffnung der Reihe am 15. Oktober 2018 gestellten Fragen: «Kann das Bauhaus heute noch provozieren? Können die Bauhaus-Ideen heute noch Streit auslösen? Gibt es noch einen Grund, sich zu streiten?»

Ein weiterer Beitrag der Hermann-Henselmann-Stiftung in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Jubiläumsjahr des 1919 in Weimar gegründeten, 1925 nach Dessau umgezogenen und 1933 in Berlin unter dem Druck der NS-Diktatur geschlossenen Bauhauses ist die zeitgleich zur Eröffnung der Bauhaus-Lectures neu herausgegebene Zeitschrift «Henselmann», die mit einer umfangreichen Vorschau auf das 100. Jubiläum des Bauhaus im kommenden Jahr aufwartet. In der neuen «Henselmann» geht es unter anderem um einen kritischen Blick auf das erinnerungspolitische Feld vor dem großen Bauhaus-Festjahr. Die gesellschaftlichen Zusammenhänge, die die Gründung der Hochschule antrieben, werden ebenso beleuchtet wie die unterschiedliche Bauhaus-Rezeption in Ost und West. Ein Schwerpunkt ist dem zweiten Direktor Hannes Meyer und seinem Bauhaus-Konzept gewidmet. Weitere Beiträge gelten den Antworten des Bauhauses auf die Wohnungsfrage und dem Beitrag der an der Hochschule wirkenden Frauen. Zu den Autor*innen des Heftes gehören unter anderem die Architektur- und Bauhausexpert*innen Ines Weizmann, Max Welch Guerra, Philipp Oswalt und Wolfgang Thöner.

Stefan Thimmel, Mitglied im Vorstand der Hermann-Henselmann-Stiftung und Referent für Wohnungs- und Stadtpolitik am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung.