In einer politischen Landschaft, in der der Einfluss von rechten Positionen stetig zunimmt und rassistische Einstellungen Einzug in parlamentarische Aushandlungsprozesse und Debatten nehmen, braucht es eine linke (Gegen-)Debatte, die konservativen bis rechtsextremen Fantasien eine Gesellschaft der Vielen entgegensetzt, in der Solidarität zur Grundlage des gesellschaftlichen Miteinanders wird. Jene Aushandlung gesellschaftlichen Zusammenlebens kristallisiert sich im politischen Geschehen nicht zuletzt in der Einbürgerungsdebatte.
Angestoßen durch die Ampelregierung, die bereits im Koalitionsvertrag von 2021 die Reformierung des Staatsangehörigkeitsrechts angekündigt hatte, werden hier Fragen der Teilhabe und Zugehörigkeit verhandelt. Der Ampel war es um einen «Neuanfang» in der Migrations- und Integrationspolitik gegangen, der einem modernen Einwanderungsland gerecht werde. Mittlerweile wurde jener «Neuanfang» in Form eines neuen Staatsangehörigkeitsgesetzes, des Chancenaufenthaltsrechts sowie des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, aber auch des verschärften Asylgesetzes eingeläutet.
Die von der Ampel angestoßenen Reformen resultierten insbesondere aus dem Mitte-rechts Spektrum. Mehr denn je braucht es daher eine linke Einbürgerungsdebatte, die jedoch nicht im permanenten Modus der Defensive verharrt, sondern proaktiv Forderungen erarbeitet, politische Handlungsmöglichkeiten auslotet und politische Entscheidungen mitgestaltet.
Aus dieser Notwendigkeit heraus fand am 11. April 2024 in Erfurt die Konferenz «Facetten der Einwanderung - Fachtagung zu Einwanderung, Einbürgerung und Staatsangehörigkeit» statt. Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis fanden hier einen Raum, um sich zu vernetzen, Wissen auszutauschen und über Facetten der Einbürgerung und Einwanderung, kurz: «Wo bieten sich konkrete politische Interventions- und praktische Handlungs-möglichkeiten, um von links für Aufenthaltssicherung und Teilhabe zu streiten?» zu sprechen.
Einwanderung und Einbürgerung von links
Während die Rechten die Gesellschaft, in der wir leben, als homogenes Nationalvolk imaginieren und die Neoliberalen alles daran setzen, Zugehörigkeit über das Kriterium der ökonomischen Verwertbarkeit zu verwalten, setzt eine linke Perspektive auf die Gesellschaft der Vielen, die auf der Anerkennung, Wertschätzung und Unterstützung aller basiert.
In einer nationalstaatlich strukturierten Welt konstituiert sich jene Anerkennung eben auch über die Staatsangehörigkeit, die es dem Einzelnen erleichtert, am demokratischen Willensbildungsprozess teilzunehmen. Insofern ist sie nicht nur ein Symbol von Zugehörigkeit, sondern eine demokratische Voraussetzung für die Aufrechterhaltung einer Gesellschaft der Vielen. Es braucht daher ein Staatsangehörigkeitsrecht, das auf die Anerkennung multipler Perspektiven und Verortungen hinauswill, um nicht in ein demokratisches Vakuum zu verfallen. Angesichts der massiven Infragestellung eben dieser Gesellschaft seitens rechtskonservativer aber auch vermehrt liberaler Akteur*innen, stellt sich für Linke die Frage, wie sich ein Einwanderungsgesetz im Sinne der Gesellschaft der Vielen erstreiten lässt, ohne dabei rassistische Narrative und Begründungen, wie die der vermeintlich «nützlichen» Migration (Stichwort Fachkräftemangel) gegenüber der vermeintlich «unnützen» Migrationsbewegung (Stichwort Flucht und Asyl) zu bedienen.
Gesetzeslage, Reformen, Neuerungen - eine kritische Betrachtung
Werfen wir also zunächst einen Blick auf die aktuelle Gesetzeslage sowie Reformen und Neuerungen, die kürzlich aus jenen Debatten der Ampel hervorgegangen sind. Zentral ist hier natürlich die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zu nennen, die am 19. Januar 2024 mit deutlicher Mehrheit im Bundestag beschlossen wurde. Der Sachverständigenrat, der auf der Tagung mit Prof. Dr. Hans Vorländer vertreten war, veröffentlichte darauf ein Positionspapier mit einer kritischen Einschätzung. Wesentliche Änderungen der Reform sind etwa die Ermöglichung von Mehrstaatlichkeit sowie die Beschleunigung der Einbürgerung. Künftig sollen Menschen bereits nach fünf statt acht Jahren die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten können. Bei «besonderen Integrationsleistungen» ist eine Einbürgerung bereits nach drei Jahren möglich.
Positiv anzumerken ist der Ansatz eines Abrückens vom ius sanguinis («Recht des Blutes»): Bisher fußte das deutsche Staatsbürgerrecht auf dem Abstammungsprinzip als zentraler Faktor in der Bestimmung bzw. Verleihung der Staatsbürgerschaft. Die Reform beinhaltet nun, allen in Deutschland geborenen Kindern ausländischer Eltern vorbehaltlos die deutsche Staatsangehörigkeit zu verleihen, sofern mindestens ein Elternteil seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt.
Jedoch, merkt Prof. Dr. Vorländer an, sieht das Staatsangehörigkeitsrecht keine Regelung für Staatenlose vor: «Man hätte Kindern von Staatenlosen auch die Staatsangehörigkeit automatisch verleihen können, wenn eben die Eltern fünf Jahre in Deutschland ihren Aufenthalt haben.». Das Versäumnis, eine Regelung für Staatenlose zu schaffen, sendet an diese Gruppe einmal mehr das Signal, dass sie durchs Raster fällt – und verstetigt somit eine eklatante Form struktureller Gewalt.
Ähnlich verhält es sich mit der Voraussetzung, den eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Tatsächlich lässt sich hier, so Vorländer, sogar «eine Verschärfung innerhalb dieser Personengruppen, die sich in prekären Lebenssituationen befinden», feststellen. Denn während Sozialhilfebezug zuvor einer Einbürgerung nicht im Wege stand, sofern die Betroffenen die Inanspruchnahme der Leistungen nicht zu vertreten hatten, gelten Ausnahmeregelungen nunmehr ausschließlich für «Gastarbeiter*innen», Vollzeitarbeitende und Ehepartner*innen einer*s Vollzeitarbeitenden mit minderjährigen Kindern. Wer nicht zu diesen Ausnahmen gehört, hat ausschließlich die Chance auf eine «Ermessenseinbürgerung» über die Härtefallregelung. Dies betrifft etwa Rentenbezieher*innen, Menschen mit Behinderung, Alleinerziehende und pflegende Angehörige. Faktisch bedeutet diese Neuregelung, dass einige Gruppen von Menschen ihr Recht auf Einbürgerung durch ökonomische Zwänge verlieren. Insofern stellt die Reform hier eine Verschärfung und aus einer linken Perspektive, die auf soziale Gerechtigkeit hinauswill, einen herben Rückschritt dar.
Das Chancen-Aufenthaltsrecht (auch «Spurwechsel»)
Eine weitere wesentliche Änderung wurde mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht vorgenommen. Das Chancen-Aufenthaltsrecht bietet eine Brücke aus der Duldung in ein Aufenthaltsrecht.
Menschen, die sich bis zum 31. Januar 2022 seit fünf Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten haben, konnten auf Antrag eine Aufenthaltserlaubnis auf Zeit beantragen. Innerhalb einer Zeit von 18 Monaten – und dieser Zeitraum ist nicht verlängerbar – sollen sie die fehlenden Voraussetzungen für ein Bleiberecht nach Paragraf 25a und 25b AufenthG erfüllen. Dazu gehören insbesondere die Lebensunterhaltssicherung, ein Identitätsnachweis sowie der Nachweis von deutschen Sprachkenntnissen. Die Beantragung für ein Bleiberecht nach Paragraf 25a und 25b kommt einem Rückzug des Asylantrags gleich – einem «Spurwechsel». Dies ist eine wesentliche Neuerung, da das Asylrecht bislang bei Rücknahme eines Asylantrags ein sofortiges Aufenthaltsverbot vorsah. In diesem Sinne ist das Chancen-Aufenthaltsrecht positiv zu bewerten, da Menschen nun die Chance bekommen, über den Eintritt ins Erwerbsleben auch ihren Status zu regularisieren.
Problematisch ist dagegen, dass die sogenannte Stichtagsregelung viele Menschen ausschließt: wer sich bis zum 31. Januar 2022 noch nicht seit fünf Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten hat, ist per se von einer Beantragung ausgeschlossen. Zudem sind selbst für diejenigen, die die Voraussetzungen erfüllen, die Bedingungen, ins Bleiberecht nach Paragraf 25a und 25b AufenthG zu wechseln, ausgesprochen hochschwellig. Das Credo lautet: Aufenthalt gegen Leistung. Grundlegende Teilhaberechte werden nach Kriterien der Nützlichkeit vergeben.
Daher ist auch eine wesentliche Argumentation, dass eine linke Einbürgerungsdebatte derlei Nützlichkeitsdiskursen ein Dispositiv entgegenhalten muss, das von utilitaristischen Prinzipien abrückt und stattdessen von der Idee der Menschenrechte getragen ist.
Machbare Wege: Politische Interventions- und praktische Handlungsmöglichkeiten
Gesetzgebung
In einer demokratischen Gesellschaft konstituiert sich politisches Handeln letztlich in Gesetzgebung. Ein wichtiges Feld der Intervention ist somit die konsequente Nachbesserung vorhandener Regularien und Gesetzesrahmen. Mit Bezug auf das Chancen-Aufenthaltsrecht ließe sich etwa eine Entfristung des Gesetzes, die Aufnahme von undokumentierten Personen, die Abschaffung des Stichtages sowie die Umsetzung der schon angekündigten Einführung der eidesstattlichen Versicherung zur Identitätsklärung, anstelle der Anforderung der Ausstellung durch ausländische Behörden, die oft scheitert, einfordern.
Der Einbürgerungsprozess: «Damit sind wir schon beim Schwachpunkt»
Wie effektiv können Reformen faktisch umgesetzt werden? Diese Frage verweist auf die Verwaltung und den Einbürgerungsprozess. In seiner Rede verweist Bodo Ramelow auf die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität: «Damit sind wir schon beim Schwachpunkt. Versuchen Sie mal in Erfurt beim Ausländeramt einen Termin zu kriegen. […] wir leben in einer Gesellschaft, die sich jahrzehntelang aufgestellt hat auf Abwehr gegen Nichtdeutsche […].» (Bodo Ramelow)
Zunächst einmal verweist Ramelow hier auf den Umstand, dass die Einbürgerungsbehörden personell massiv unterbesetzt sind. Einbürgerungswillige warten zum Teil ein Jahr lang auf ihren Ersttermin, bei dem es sich lediglich um eine Erstaufklärung handelt. Insofern gilt es zunächst, die Behörden personell zu stärken, um die Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes überhaupt verwaltungstechnisch umsetzen zu können.
Zeitgleich kontastiert Ramelow auch die Haltung der Abwehr gegenüber Ausländer*innen. In dieser Haltung der Abwehr agieren zahlreiche Migrationsbehörden und -ämter. Jetzt seien sie, so führt Vorländer den Gedanken fort, darüber aufzuklären, dass es sich eben nicht um bloße administrative Vorgänge handele, sondern dass man «diskriminierungssensibel und einladend mit Personen umgeht, die um die deutsche Staatsbürgerschaft nachsuchen.» Bisher wird der Einbürgerungsprozess durch die Antragsteller*innen als massive psychische Belastung wahrgenommen, obschon die Einbürgerung doch per Definition eine inklusionsfördernde Maßnahme sein sollte.
Wichtigkeit einer Willkommenskultur
Nun sind Gesetzeslockerungen und ein erleichterter Einbürgerungsprozess sicher wichtige Schritte. Doch man kann die tollsten Gesetze schaffen und Teilhaberechte in Aussicht stellen – wenn das gesellschaftliche Klima der AfD den Boden bereitet, wenn Menschen der blanke Rassismus entgegenschlägt und sie in der öffentlichen Wahrnehmung selbst nach Jahrzehnten, wenn überhaupt, als nützliche Gäste, nicht aber als Teil der Gesellschaft verstanden werden, dann ist das schlicht unattraktiv. Insofern ist das progressivste Einwanderungsrecht wirkungslos, sofern es nicht Hand in Hand geht mit antirassistischer Aufklärungsarbeit und der Bereitschaft, sich selbst als Einwanderungsland und Gesellschaft der Vielen anzuerkennen.
Sich gegenseitig stärken, Vernetzen
Um entgegen regressiver Entwicklungen linke, progressive Visionen aufrechtzuerhalten und in politisches Handeln zu überführen, bleibt es zudem unerlässlich, sich gegenseitig den Rücken zu stärken, sich zu vernetzen und Wissen auszutauschen: «Dass man Begegnungsorte schafft, dass man Orte schafft, wo Menschen, die sich beispielsweise im ländlichen Raum sehr alleine engagieren, […] sich mit anderen austauschen und vernetzen können, um sich gegenseitig zu stärken und auch noch mehr Menschen für solche progressiven Projekte zu gewinnen.» (Elif Eralp)
Genau diesem Zweck diente letztlich auch die Konferenz «Facetten der Einwanderung».
Text: Marlene Hempel