Die Care-Krise und den Leerstand von Einzelhandelsflächen zusammendenken. Das ist das Anliegen der Kampagne «Sorge ins Parkcenter» aus Berlin Treptow. Sie verbinden Kritik an der Spekulation mit systemrelevanten Immobilien mit der Forderung nach wohnortnaher Sorgeinfrastruktur und guter Nahversorgung. Anhand der seit Jahren zu etwa 60 Prozent leerstehenden Shoppingmall «Park Center», unweit der S-Bahn Station Treptower Park, entwickelt die Gruppe die Realutopie eines nachbarschaftlichen Sorgezentrums in demokratischer (Selbst-)Verwaltung. Dort soll die alltägliche Sorgearbeit in räumlicher Nähe, unkommerziell, kommunal und gemeinschaftlich organisiert werden - das bedeutet auch, dass gemeinwohlorientierte Träger institutionalisierter Betreuungs- und Pflegearbeit sowie Beratungsstellen einen Platz finden.
Konzeptionell bezieht sich die Gruppe auf die Idee der Sorgenden Stadt, wie sie in den linken Stadtregierungen im spanischen Staat umgesetzt und im deutschen Sprachraum maßgeblich durch die Arbeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung geprägt wurde. Der Ausgangspunkt für die Gründung der Kampagne war die im Januar 2023 in Bremen stattgefundene Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Thema «Sorgende Städte - Kommunale Strategien für feministisches Vergesellschaften».
Im Rahmen der durch die Landeszentrale für Politische Bildung finanzierten und von der Hellen Panke, der Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie der Kampagnengruppe organisierten eintägigen Konferenz ging es um feministische Stadtpolitik, um Eigentums- und Finanzierungsmodelle, transformative Care Praktiken und selbstverwaltete Sorgeinfrastrukturen.
Bericht von der Konferenz
Leere Schaufenster, stillstehende Rolltreppen und ganz viel Platz: Das ehemalige C&A Gebäude in der Karl-Marx-Straße in Berlin Neukölln bildete einen großartigen Rahmen, um Stadt- und Care-Aktivist*innen zum Träumen einzuladen. In dieser Ruine des Kommerzes fand am 21. September 2024 die Konferenz «Shoppingmalls zu Sorgezentren» statt. Einen Tag lang wurden die leerstehenden Räume im «Cank» – wie der Veranstaltungsort zur Zwischennutzung heißt – mit Berichten über spekulativen Leerstand, eine gemeinwirtschaftliche Nutzung, über selbstorganisierte Gesundheitszentren und die Entlastung häuslicher Sorgearbeit zu einer theoretischen und praktischen Care-Hochburg. Die Absurdität finanzialisierter Stadtproduktion wurde in den Räumlichkeiten nur allzu deutlich und umso greifbarer die Idee einer postkapitalistischen und postfossilen Realutopie: Hier könnte ein nachbarschaftlicher Ort, entstehen, an dem all die Notwendigkeiten des Sorgealltags endlich einen Platz finden könnten, – dafür müssten die Einkaufszentren allerdings vergesellschaftet werden.
Beim Träumen sollte es aber natürlich nicht bleiben. Im Rahmen der Konferenz, zu der die Helle Panke, die Initiative «Sorge ins Parkcenter» und die Rosa-Luxemburg-Stiftung gemeinsam eingeladen hatten, wurden die etwa 170 Besucher*innen in Diskussionen migenommen, die sich auch um praktische Fragen der Umsetzung drehten. Geplant war eigentlich, die Veranstaltung im größtenteils leerstehenden Park Center in Berlin Treptow durchzuführen, das die Kampagnengruppe zum Sorgezentrum umbauen will. Obwohl die Räume von lokalen Initiativen und Kulturschaffenden zwischenzeitlich genutzt werden, kam eine Kooperation leider nicht zustande.
Auf dem Eröffnungpanel gab Katalin Gennburg, stadtpolitische Sprecherin der Links-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus einen Einblick in die Konsequenzen der Spekulation mit Schlüsselimmobilien wie etwa Einkaufszentren. Nicht nur in Berlin diene eine wachsende Zahl leerfallender Malls und Warenhäuser der Profitmacherei am Finanzmarkt, statt der bedürfnisorientierten Nahversorgung der umliegenden Kieze. Ein Gegenmodell zur kommerzialisierten, funktionsgetrennten lohnarbeits- und autogerechten städtischen Strukturierung bieten Sorgezentren, in denen Daseinsvorsorge, Care-Institutionen, Orte der Erholung und gemeinschaftliche Sorgearbeit in Nachbarschaften, Freund*innenkreisen und für die Umwelt auf kurzen Alltagswegen verbunden werden. Diesen Plan verfolgt die Initiative «Sorge ins Parkcenter» seit 2023. Eine Gruppe von ca. 60 Aktiven aus der Partei Die Linke sowie aus stadtpolitischen, stadtplanerischen, feministischen und klimapolitischen Kontexten setzt sich dafür ein, das fast leerstehende Park Center in Treptow-Köpenick zu einem solchen Sorgezentrum zu machen.
Was die Initiative genau macht, wie ein Sorgezentraum aussehen könnte und warum Einkaufszentren dafür in gemeinwirtschaftliches Eigentum überführt und für die Nachbarschaft nutzbar gemacht werden sollen, erklärte Sophie Dilg für die Initiative. Dass der Kampf für gute Gesundheits- und Nahversorgung vor der eigenen Haustür auch ein wichtiges Feld der Auseinandersetzung mit rechten Kräften ist, berichtete Lena Fries. Mit einer in Plänterwald verankerten lokalen Kampagne setzt sie sich für wohnortnahe Hausärzt*innen und Betreuungsangebote sowie sichere Rad- und Fußwege im Sinne der 15-Minuten Stadt ein. Die Bürgerinitiative konnte damit rechte Narrative erfolgreich entkräften und der Mobilisierung der AfD im Kiez kraftvoll etwas entgegensetzen.
Die Erfahrungsberichte der lokalen Kampagnen aus Alt-Treptow und Plänterwald verdeutlichten einmal mehr die Notwendigkeit sowie das Potenzial politischer Arbeit, die die Bedürfnisse der Bewohner*innen in den Mittelpunkt stellt. Sie bildeten zugleich die Grundlage für die weiteren Diskussionen auf der Konferenz, deren Ziel es war, die Vielschichtigkeit des Themas genauer zu beleuchten und Handlungsstrategien für lokale Kämpfe um eine gemeinwohlorientierte Sorge- und Stadtentwicklungspolitik zu entwerfen.
Auf dem Panel «Eigentumskämpfe & Finanzierungsmodelle: Wie kommen wir an unser Sorgezentrum?» wurden die aktuellen Eigentumsverhältnisse und Veränderungen des Einzelhandels unter die Lupe genommen. Wie konnte es dazu kommen, dass so viele Warenhäuser und Einkaufszentren pleite gehen? Und warum werden sie vielerorts zum Spekulationsobjekt? Nach einer gründlichen Analyse dieser Misere kamen konkrete Gegenstrategien zur Sprache. Gemeinsam Maunel Ehlers von der gemeinwirtschaftlich orientierten Triodos-Bank wurden finanzielle und planerische Hebel diskutiert, um solche spekulativ genutzten Gebäude in Gemeineigentum zu überführen und sie wirtschaftlich tragfähig - beispielsweise als Sorgezentren - gemeinwohlorientiert zu betreiben. Dabei zeigte sich, dass die Spielräume hierfür deutlich größer sind, als von einigen befürchtet.
Umso motivierter widmeten sich die Besucher*innen dem dritten Podium, das der Frage nachging, warum ein Sorgezentrum dringend notwendig ist und wie es einen Beitrag zur lokalen Bewältigung der Care-Krise und zur Vergesellschaftung von Sorgearbeit leisten könnte. Aus dem breiten Spektrum der Sorgearbeit wurde exemplarisch die Versorgung pflegebedürftiger Menschen in den Fokus gerückt – ein Bereich, in dem die Care-Krise angesichts demographischer Entwicklungen bald noch dramatischere Ausmaße annehmen wird, wenn weiterhin profitorientiert gewirtschaftet wird. Dabei zeigt sich die zentrale Problematik der heutigen Organisation von Sorgearbeit: Die Hauptlast sowie die Defizite öffentlicher und marktförmiger Versorgung werden nach wie vor auf Familien und Haushalte und dabei insbesondere auf Frauen abgewälzt.
Als Beispiel für eine schrittweise Vergesellschaftung von Sorgearbeit wurde ein Modell aus dem österreichischen Burgenland vorgestellt, wo sich pflegende Angehörige bei der Kommune anstellen lassen können um die private und unentlohnte Sorgearbeit in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zu überführen. Ergänzt wird dieses Modell durch Supervision und Weiterbildungsangebote, die nicht nur zur fachlichen Unterstützung beitragen, sondern auch einen wichtigen Schritt darstellen, um pflegende Angehörige aus der sozialen Isolation der Haushalte zu holen. Sonja Kemnitz, selbst pflegende Angehörige, schilderte auf sehr bewegende Weise die belastende Situation pflegender Angehöriger in Berlin, die unter der Privatisierung von Sorge besonders leiden. Sie verdeutlichte, wie ein Sorgezentrum für beide Seiten der Sorgebeziehung eine enorme Erleichterung im Alltag darstellen könnte. Das anschließende Gespräch über die notwendigen Angebote an einem solchen Ort – wie umfassende Beratung, Fortbildung, Treffpunkte für Angehörige, Tagespflege, Physiotherapie und mehr – ließ bei den Teilnehmer*innen eine erste Vorstellung davon entstehen, wie eine ehemalige Mall nicht nur zu einem Ort konzentrierter Sorgearbeit, sondern auch zu einem dringend benötigten Treffpunkt und einem Ort der Begegnung und gemeinsamen Aktivitäten werden könnte. So gelang ein erster Eindruck davon, wie eine «Vergesellschaftung von Care-Arbeit konkret» gestaltet werden könnte und was es bedeutet, wenn von «transformativen Care-Praktiken am Beispiel der Pflege» die Rede ist.
Für das abschließende Podium wurden Pionier*innen der feministischen Stadtentwicklung und Gesundheitspolitik eingeladen. Sie berichteten über Erfahrungen wie Sorgebedarfe in einer Nachbarschaft erhoben werden können, welche Selbstverwaltungsstrukturen sich bewährt haben und wie sich die Kampagne für die kommenden Prozesse intern wappnen sollte. Das Thema des Panels lautete «Selbstverwaltung & Aushandlungsprozesse: Wie schaffen wir demokratische Sorgeinfrastrukturen?» und bot Einblicke in die lokal verwurzelte Arbeit des Gesundheitskollektivs Neuköllns sowie in die bundesweite Vernetzungsarbeit des Polyklinik Syndikats. Der Bericht der Initiative Stadt von Unten, die jahrelang am Kreuzberger Rathausblock aktiv war, bot wertvolle Perspektiven für die Kampagnenarbeit im Bereich gemeinwohlorientierter Stadtentwicklung.
Dieses Podium verband bestehendes Praxiswissen mit aktuellen Herausforderungen, regte Besucher*innen dazu an, thematisch und politisch weiterzuarbeiten und bildete damit einen gelungen Konferenzabschluss. Gleichzeitig motivierte und bestärkte es die Teilnehmenden darin, den Abend mit einem ordentlichen Fokus auf Community-Care gemeinsam ausklingen zu lassen.
Von Hannah Berner, Sorge ins Parkcenter
Die Konferenz fand mit finanzieller Unterstützung der Landeszentrale für Politische Bildung statt.
Shoppingmalls zu Sorgezentren
Alle Aufzeichnungen von der Konferenz über Wege zur sorgenden Stadt | Berlin, 21.9.2024
Filmische Dokumentation: Paula Hoffmann und Leftvision