Dokumentation Geld.Macht.Stadt.

Die Re-Feudalisierung der Städte? Ein Veranstaltungsbericht

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Zeit

13.05.2025

Themenbereiche

Stadt / Kommune / Region, Commons / Soziale Infrastruktur, Wohnen

Am 13.5.2025 fand in den Räumen der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine interdisziplinäre Diskussion zu einem Phänomen statt, das zunehmend an Bedeutung gewinnt: die ideologische Vereinnahmung von Stadtplanung und Architektur durch rechtslibertäre, neurechte und konservativ-revisionistische Akteure. Unter dem Titel «Geld.Macht.Stadt. Die Re-Feudalisierung der Städte?» diskutierten Expert*innen aus Architektur, Geographie, Soziologie und Politik die gegenwärtige Instrumentalisierung von «Schönheit», Rekonstruktion und Urbanistik zur Durchsetzung autoritärer und exklusiver Gesellschaftsvorstellungen.

Konzipiert und organisiert wurde der Abend von Ole Kloss, der neben der inhaltlichen Gestaltung auch für die Auswahl der Redner*innen verantwortlich zeichnete und die Moderation durch Katalin Gennburg – Bundestagsabgeordnete der Linken und studierte Stadtbauhistorikerin – vorbereitend begleitete. Die Veranstaltung wurde eröffnet von Stefan Thimmel, Referent für Stadt- und Wohnungspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Privatisierung von Staatlichkeit: Privatstädte als autoritäre Vision

Andreas Kemper, Soziologe und Experte für die Neue Rechte, skizzierte den ideologischen Hintergrund sogenannter Privatstädte, die von libertären Investoren wie Peter Thiel oder Titus Gebel propagiert werden. Diese Konzepte – etwa realisiert in Honduras unter dem Begriff «Sonderentwicklungszone» – verfolgen das Ziel, staatliche Souveränität zu umgehen. Statt Bürgerrechten sollen dort vertragliche Beziehungen zwischen Bewohner*innen und Betreiberfirmen gelten. Die Städte sind proprietär organisiert, mit unternehmensgesteuerter Gerichtsbarkeit, Zugang durch Gebühren statt Staatsbürgerschaft und wirtschaftlicher Sonderbehandlung wie Steuerfreiheit.

Kemper machte deutlich, dass diese Visionen keine isolierten Spinnereien, sondern Teil eines globalen Trends sind: von libertären Netzwerken wie Pronomos Capital über Investorenkonferenzen an Technischen Universitäten bis hin zu den Plänen sogenannter «Prosperity Zones» in den USA. Letztlich gehe es um eine autoritäre Umgestaltung von Stadt und Gesellschaft im Dienste ökonomischer Eliten – mit Rückgriffen auf faschistoide Denkfiguren und Sprachbilder, wie Kemper sie etwa bei Björn Höcke analysierte.

Rechte Immobilienstrategien: Reurbanisierung als Raumnahme

Die ehemalige Bundestagsabgeordnete und Rechtsextremismus-Expertin Martina Renner fokussierte auf den strategischen Immobilienerwerb durch rechte Netzwerke. Recherchen zufolge befinden sich mindestens 225 Immobilien in Deutschland in der Hand rechtsextremer Akteure – mit Hotspots vor allem in ostdeutschen Bundesländern und als erstes westdeutsch gelistetes Bundesland auch in Bayern. Der Kauf von Immobilien dient dabei nicht nur als Kapitalanlage, sondern als Basis für politische Organisation: durch konspirative Veranstaltungsorte, Treffpunkte und Kampfsportevents – zumeist in ländlichen Regionen, wo eine ungestörte Entfaltung möglich ist.

Ein Netzwerk aus alten und neuen Rechten – darunter Burschenschaften, AfD-nahe Unternehmer, ehemalige CDU-Politiker wie der Ex-Finanzsenator Peter Kurth – spielt dabei eine Schlüsselrolle. Renner betonte die mangelnde Handlungsfähigkeit staatlicher Stellen: Der Verfassungsschutz erfasse nur einen Bruchteil der rechten Aktivitäten im Immobiliensektor.

Stadt als Kampfzone: Architektur als ideologisches Schlachtfeld

Johann Braun, Humangeograph und Autor, analysierte die ideologische Überformung städtischer Räume durch rechte Diskurse. Rechte Gruppen inszenieren eine «Rückkehr zur Normalität» durch Rekonstruktionsprojekte und nostalgische Stadtbilder, die dichte, zentrale Räume idealisieren, während moderne Stadtplanung – etwa durch Entzerrung oder funktionale gesellschaftliche Vielfalt – als «entfremdet» delegitimiert wird. Dabei gehe es weniger um Architektur als um symbolische Deutungshoheit. Projekte wie die Garnisonkirche in Potsdam oder der Molkenmarkt in Berlin sind hierfür prominente Beispiele.

In diesem Kontext agieren rechte Stadtpolitiker*innen zunehmend kulturpolitisch: Sie nutzen das Narrativ vom «Verlust kultureller Identität» zur Legitimation eines exklusiven, nationalistisch kodierten Städtebaus. Dies zeige sich besonders deutlich in der Strategie, historisierende Stadtbilder mit Begriffen wie «Heimat», «Tradition» und «Volksgemeinschaft» aufzuladen.

Ästhetik als Waffe: Bildpolitik und rekonstruktive Architektur

Der Architekt und Publizist Philipp Oswalt ordnete aktuelle Rekonstruktionsprojekte in eine längerfristige Entwicklung seit den 1990er Jahren ein. Bereits im so genannten Berliner Architekturstreit zeichnete sich unter Hans Stimmann eine Rückbesinnung auf preußische Stile ab – für Oswalt ein frühes Anzeichen rechter Kulturkämpfe. Die Debatten zeigten kulturpessimistische Muster, wie sie schon in der konservativen Revolution der 1920er Jahre formuliert wurden.

Rekonstruktionen wie das Berliner Schloss oder die Frankfurter Altstadt seien nicht bloß ästhetische, sondern identitätspolitisch motivierte Projekte, die unter dem Label von «Schönheit» symbolische Ersatzheimaten schaffen. Diese seien oft ideologisch aufgeladen und verbunden mit einem überhöhten Heimatbegriff.

Gleichzeitig wies Oswalt auf die Doppelmoral vieler Vorhaben hin: Während Rekonstruktionen öffentlich gefördert würden, sei städtischer Raum parallel – etwa unter Thilo Sarrazin – massiv privatisiert worden. Diese Kombination aus symbolischer Kontrolle und ökonomischer Verwertung sei bezeichnend.

Besonders kritisch äußerte er sich zur mangelnden Abgrenzung gegenüber rechten Netzwerken rund um das Humboldt Forum. Förderstrukturen seien teils durch rechtskonservative Akteure mitgeprägt worden – ohne klare Aufarbeitung. Oswalt plädierte für eine differenzierte Kritik, die historische Bezüge nicht pauschal ablehnt, aber politische Instrumentalisierungen klar benennt.

Progressive Stadtgesellschaft unter Druck

Ole Kloss, Designer und Aktivist bei «Deutsche Wohnen & Co. enteignen», warnte vor der zunehmenden Instrumentalisierung neotraditionalistischer Architektur. Am Beispiel des Berliner Molkenmarkts zeigte er, wie sich konservative Architekt*innen-Netzwerke mit international agierenden, postliberalen und teilweise offen reaktionären Akteuren verbinden und so mehr und offen politisieren. Architektur werde dabei gezielt genutzt, um gesellschaftspolitische Ordnungsmodelle zu transportieren – «klassisch» gelte als schön und natürlich, modern als hässlich und unnatürlich. Das lasse sich beispielsweise auch auf antiqueere oder antitrans* Politiken übertragen.

Kloss kritisierte insbesondere das Vorgehen der Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt: Ihre Nähe zu Lobbygruppen, die Einflussnahme auf Wettbewerbsverfahren und die Ausgrenzung sozial-ökologischer Ansätze am Molkenmarkt wertete er als strategischen Schulterschluss mit traditionellen und marktorientierten Interessen. Unterstützt werde dies durch Stiftungen, die private Rekonstruktionen forcieren und mittels Ästhetik politischen Druck erzeugen. Teils seien hier personelle Überschneidungen augenscheinlich.

Dabei sei «Schönheit» zur zentralen Chiffre konservativer Kulturkämpfe geworden – nicht nur national, sondern in einem internationalen Netzwerk von Architekt*innen, Influencer*innen und politischen Akteuren, die sich offenbar gerade radikalisieren. Die Entwicklungen am Molkenmarkt seien ein exemplarisches Labor für diese Verschiebungen.

Schlussdebatte: Polarisierung erkennen, Allianzen bilden

In der Abschlussrunde diskutierten die Teilnehmenden mögliche Gegenstrategien. Einigkeit herrschte darüber, dass die Angriffe auf die Moderne, auf pluralistische Stadtgesellschaften und demokratische Baukultur keine rein nationalen Phänomene sind – sondern Teil eines globalen Trends autoritärer Stadtutopien. Die Stadt wird zum Schlüsselraum politischer Auseinandersetzung.

Zentral für den Widerstand sei daher, rechte Netzwerke sichtbar zu machen, interdisziplinär zu arbeiten und progressive Allianzen zu stärken. Dabei müsse sich die kritische Stadtgesellschaft nicht das Terrain des «Schönen» entreißen lassen – sondern eigene, inklusive Vorstellungen urbaner Zukunft entwickeln und verteidigen.

Die Veranstaltung zeigte eindrücklich, wie sich reaktionäre Bewegungen architektonischer und stadtpolitischer Diskurse bedienen, um autoritäre, exklusive Gesellschaftsmodelle zu propagieren und die moderne Stadt als Ideenschmiede für diese entsprechend zu nutzen. Dabei wird Ästhetik zur Waffe, Geschichte zur Projektionsfläche, und die kapitalistische Stadt zum ideologischen Labor für Rechte Geldeliten, wodurch städtische Kämpfe um bezahlbaren Wohnraum und ein Recht auf Stadt für alle sich weiter zuspitzen. Der Widerstand dagegen braucht eine aufgeklärte, vernetzte und mutige Stadtgesellschaft und im Kampf gegen diese rechten Räume, neue Bündnisse für eine linke Stadtpolitik.

Autorin: Emily Lau