Elizabeth Peredo

Elizabeth Peredo - Bolivien

Sozialpsychologin, Autorin und Aktivistin

« Wir müssen verstehen, wie sehr uns die Glücksformel des Überkonsums gefangen hält. »

8. Dezember 2015 in der "Climate Action Zone" im Le104 | Elizabeth Peredo über die Kluft zwischen Reden und eigenem Handeln, über das Ausmaß der menschlichen Krise und die Rolle des Kapitalismus.


RLS: Hallo Elizabeth, im vergangenen Jahr hast du einen Text über "kognitive Dissonanz" geschrieben. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

  • « Der Begriff beruht auf einem Gefühl der Angst, das ich habe, wenn ich die Ausmaße der gegenwärtigen Klimakrise betrachte. Meiner Meinung nach sollten auf diesem Gipfel sowohl die offiziellen Verhandler als auch die Zivilgesellschaft darüber reden, wie Wirtschaftswachstum zurückgenommen oder gar gestoppt werden kann. Wir sollten darüber reden, wie wir ins Leben zurückgehen und uns um das Leben kümmern können. Wir durchleben doch gerade eine der größten menschlichen Krisen. Viele sind der Meinung, dass wir vor einem globalen Kollaps der natürlichen Ressourcen und des Klimas stehen. Wir kämpfen ums Überleben, aber die Ursachen der Krise werden global negiert.

    Es gibt noch immer viele Gemeinschaften - Initiativen, Frauengruppen, Jugendgruppen - , die sich weltweit vor Ort engagieren. Auch in meinem Heimatland Bolivien haben wir viele ländliche und städtische Gemeinschaften, die versuchen, das Konzept des guten Lebens anzuwenden. Vor Ort kämpfen wir gegen den Extraktivismus und gegen Überkonsum. Als globale Zivilisation aber unternehmen wir weder die richtigen Schritte noch haben wir verstanden, wie sehr uns unsere Lebensweise und die Fallen des kapitalistischen Systems und die Glücksformel des Überkonsums gefangen halten. Genau das nenne ich eine kognitive Dissonanz zwischen unserem Tun und den Auswirkungen dieses Tuns.

    Diese kognitive Dissonanz betrifft all die Informationen, die wir aus der Wissenschaft, von Aktivisten oder von anderswo bekommen, die uns sagen, dass wir damit aufhören müssen. Und tatsächlich wissen wir das längst. Unser tägliches aber Leben folgt weiter seiner Routine. Das ist die kognitive Dissonanz.

    Genau so ist es aber durch das System, das genau auf diesem Überkonsum basiert, geplant. Das hat auch mit der Macht der Unternehmen und ihren Lobbyaktivitäten im Rahmen der UN-Klimaverhandlungen zu tun. Wenn man sich dort umsieht, merkt man, wie die fossilen Konzerne diese Verneinung finanzieren. Dies tun sie zum Beispiel, indem sie Wissenschaftler kaufen, die die Ansicht verbreiten, dass diese Krise überzonge dargestellt werde und eigentlich nur eine zyklische Krise sei, die wir lösen werden.

    Tatsächlich aber ist es so, dass alle Entscheidungen, die in Bezug auf das UN-Abkommen bereits getroffen wurden, dazu führen, dass die Temperaturen weit über zwei Grad Celsius ansteigen werden. Dabei sind die Temperaturen bereits sehr hoch. Momentan erleben wir die Auswirkungen einer globalen Erwärmung um ein Grad Gelsius. Angesichts dessen müssen wir davon ausgehen, dass ein Anstieg um zwei Grad schlimm sein wird. Dennoch befinden wir uns auf einem Pfad weit über die zwei Grad hinaus. Innerhalb der nächsten 30 Jahre werden wir zwei bis drei Grad erreichen und bis zum Ende des Jahrhunderts vier bis sechs Grad. Wir müssen begreifen, dass das den Kollaps bedeutet.

    Wir müssen das Konzept von "Entwicklung", ja die "Entwicklungsziele" selbst beiseitelegen. Selbst "nachhaltige Entwicklung" ist Teil des Plans, unseren Überkonsum fortzusetzen. Warum gibt es noch keine Veränderung? Diese Debatte ist doch schon so alt. Viele Wissenschaftler, Aktivisten und Denker haben bereits vor einem halben Jahrhundert annährend dieselben Dinge gesagt, die Aktivisten heute sagen. Da sind Illich und so viele andere, die das globale System überdacht haben und zu der Auffassung kamen, dass wir nicht weiter wachsen und unsere natürlichen Ressourcen verbrauchen dürfen. Dass wir unsere Grenzen respektieren müssen. Warum haben wir uns nicht danach gerichtet? Ich glaube, wir haben uns deshalb nicht danach gerichtet, weil es eine große Anstrengung bedeutet hätte, weil wir das Rad in vollem Schwung hätten stoppen müssen.

    Um genau das zu schaffen, ist meiner Meinung nach nur möglich, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: Die eine besteht darin, dass wir uns als verletzliche Wesen begreifen müssen. Wir leben als Menschen und als Zivilisation so, als wäre es für die Ewigkeit. Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, dass wir alles nach unserem Willen verändern können können, dass wir mit Technologie und Geld alles kontrollieren können. Genau das ist das Paradigma des Wachstums. Stattdessen aber müssen wir uns selbst als verletzlich begreifen und uns eingestehen, dass wir diese Krise nicht so einfach werden lösen können. Wir müssen uns in die Krise begeben, das ist Teil der Lösung.

    ... Eigentlich mag ich das Wort Lösung gar nicht. Ich glaube, was wir wirklich ändern müssen, ist unser Denken. Denn unsere Art zu Denken und unser Verhalten halten das System aufrecht. Diese Mechanismen müssen wir verstehen und dekonstruieren. Stattdessen müssen wir eine neue Zivilisation aufbauen, die auf Empathie, Zusammenleben und Zuneigung basiert.

    Das müssen wir auch deshalb tun, weil sich gerade bei diesem Gipfel in Paris - nach den Terrorattacken - die Reaktionsmuster verändern. Dieser Prozess hat bereits vor einigen Jahren begonnen, aber jetzt wird er manifest. Was passiert ist, dass der Fokus im Umgang mit der Krise immer mehr auf dem Militär liegt. Dem Klimawandel zu begegnen heißt für viele, Grenzen und Territorien durch Militär und Sicherheitsmaßnahmen zu kontrollieren. Es ist ein Muster, das sich überall auf der Welt durchsetzt.

    Wir aber brauchen genau das Gegenteil. Wir müssen Kulturen des Friedens etablieren zwischen uns und mit der Natur. Wir müssen die Balance wiederherstellen. Die Balance wiederherzustellen ist teilweise zu einem leeren Begriff geworden, zum Beispiel in unserer bolivianischen Gesellschaft. Wir sprechen über das gute Leben und die Rechte der Mutter Erde, aber wir wenden es nicht an. »

Was müssen wir machen, damit das wieder gelingt?Wie können wir es schaffen, dass Menschen wieder Liebe und Empathie fühlen und die richtigen Lebensalternativen wählen?

  • « Wir müssen das in die Tat umsetzen, was wir sagen. Wir sind daran gewöhnt, sehr interessante Erzählungen zu entwerfen. Auch ich habe dazu beigetragen. Aber manchmal verbinden wir diese Erzählungen nicht mit unserem eigenen Leben. Dabei gibt es so viele inspirierende Beispiele von Menschen, die versuchen, diesen Schritt zu gehen. Ich glaube, dass in all diesen Prozessen bisher gefehlt hat, dass wir uns selbst, unsere Subjektivität, unsere Werte und unser tägliches Handeln mit aufnehmen.

    Selbst als Aktivisten sagen wir nur: Dies ist der Plan, wir werden das verändern, wir werden uns anstrengen, wir werden kämpfen. Dabei aber meinen wir meist nicht uns selbst. In diesem Zusammenhang müssen wir auch über patriarchale Strukturen sprechen. Der Kapitalismus als System ist sehr stark, weil er uralte Systeme der Ausbeutung und des Dominierens - wie etwa das Patriarchat, den Kolonialismus und den Rassismus - zusammengeführt hat. All dies kommt im Kapitalismus zusammen. Der Kapitalismus ist genau aus diesem Grund sehr stark. Wir müssen ihn dekonstruieren.

    Das ist eine schwierige Aufgabe, weil das System so stark ist, dass es selbst unsere eigenen Diskurse nähren und verzehren kann. Auch die Unternehmen beziehen sich in ihrer Propaganda auf die Mutter Erde, das gute Leben. Auch die mächtigen Menschen reden von Transformation, obwohl sie sich auf keinen Fall verändern möchten, weil Transformation bedeutet, die Macht abzugeben. Kontrolle ist alles. Deswegen kann der Klimawandel auch nicht durch von Unternehmen kontrollierte Technologien oder riesige Erneuerbare-Energieprojekte gestoppt werden.

    Wir brauchen einen zivilisatorischen Wandel. Unser Selbst und unser Lebenswandel müssen Teil dessen sein. »

Vielen Dank.