Ken Henshaw + Tadzio Müller

Ken Henshaw | Social Action Nigeria
Tadzio Müller
| Rosa-Luxemburg-Stiftung

«Unsere Recherchen zeigen ganz deutlich, dass es eine ziemlich direkte Verbindung zwischen bewaffneten Konflikten, religiösem Extremismus, Fundamentalismus und Aufständen einerseits und Klimawandel andererseits gibt.»

3. Dezember 2015 | Über den Zusammenhang von Klimawandel und Extremismus

      


  

Tadzio Müller: Mein Name ist Tadzio Müller, ich arbeite als Referent für Klimagerechtigkeit und Energiedemokratie für die Rosa Luxemburg Stiftung, und wir sprechen mit Ken Henshaw, Social Action Nigeria. Unser Thema heute ist die Verbindung zwischen Klimawandel und bewaffneten Konflikten. Du hast diese Verbindung in Nigeria erforscht, daher an dich die Frage: Worum geht es dabei?

Ken Henshaw: Unsere Recherchen, die wir seit geraumer Zeit betreiben, zeigen ganz deutlich, dass es eine ziemlich direkte Verbindung zwischen bewaffneten Konflikten, religiösem Extremismus, Fundamentalismus und Aufständen einerseits und Klimawandel andererseits gibt. Unsere Schlussfolgerung ist die: Wenn Lebensgrundlagen untergraben werden, entweder durch Luft- oder Wasserverschmutzung, oder durch Versteppung, tendieren die Menschen dazu, verzweifelt zu werden, frustriert, sie entwickeln einen gewissen Fatalismus, der sie manchmal zur Religion führt, manchmal auch zu religiösem Extremismus. Und unsere Forschung zeigt, dass dies in manchen Gegenden von Nigeria der Fall ist.

Tadzio Müller: Vor einigen Tagen hast du mir erzählt, dass die Region, in der Boko Haram, die nigerianische Islamistengruppe, entstanden ist, eigentlich eine Region ist, in der wir keine Geschichte radikal-islamistischer Bewegungen erkennen können. Tatsächlich ist es eher eine Region, die eigentlich immer von einem gemäßigten Islam gekennzeichnet war.

Ken Henshaw: Ganz genau! Leider müssen wir anerkennen, dass religiöser Extremismus ein stabiler Bestandteil der nigerianischen politischen Landschaft war. Aber tatsächlich ist es so, dass die Gegend, in der sich Boko Haram am stärksten entwickelt hat, bislang keine Gegend ist, in der es einen religiösen Extremismus gab.

Deswegen müssen wir die Perspektive ändern, mit der wir Boko Haram analysieren: Das Wachstum und die Stärke von Boko Haram in dieser Region Nigerias ist auf andere Faktoren als eine Geschichte religiösen Extremismus' zurückzuführen. Unsere Forschung deutet darauf hin, dass dieses Wachstum vor allem mit dem fast vollständigen Verschwinden des Tschadsees zu tun hat. Dieser See ist mittlerweile auf ein Zwanzigstel seiner ursprünglichen Größe geschrumpft: von einem riesigen See, der sich über vier Länder erstreckte - den Tschad, Niger, Kamerun und Nigeria - zu einem winzigkleinen Punkt auf der Landkarte.

Vor ungefähr 30 Jahren war der Tschadsee eine wichtige Bewässerungsquelle und damit ein zentraler Faktor für die lokale Landwirtschaft. Es gab eine blühende Landwirtschaft in der Gegend um den Tschadsee, außerdem gab es Fischerei, und allerlei Viehzucht. Die Menschen konnten Nutztiere züchten, weil die dort Nahrung fanden und Wasser zum Trinken. Dadurch, dass der See nach und nach auf ein Zwanzigstel seiner ursprünglichen Größe geschrumpft ist, sind diese Möglichkeiten verschwunden. Die Fischerei ist ausgestorben. Es ist unmöglich geworden, Landwirtschaft zu betreiben und ebenso wenig Viehzucht. Die Region um den Tschadsee herum ist zu einer trostlosen Einöde mutiert. Die Menschen dort haben keine Lebensgrundlage mehr.

Und wie vorher schon gesagt: Wenn den Menschen die Mittel fehlen, um den nächsten Tag, die nächste Woche, den nächsten Monat zu überleben, dann sind sie natürlich irgendwie auch frustriert. Sie fühlen sich hilflos, hoffnungslos und perspektivlos. Und wenn in einer solchen Situation auch nur ein winziges Quäntchen religiöser Ideologie existiert, die irgendeine Form von Alternative anbietet, dann gibt es eine Tendenz, darauf einzugehen. Das ist meiner Meinung nach der Grund, warum religiöser Extremismus in der Tschadseeregion so dynamisch gewachsen ist.

Tadzio Müller: Die Forschung um den Syrienkonflikt herum erzählt interessanterweise eine ganz ähnliche Geschichte. Wir stehen hier gerade in Paris, einer Stadt, die zurzeit stark unter den Folgeerscheinungen verschiedener Konflikte im Mittleren Osten zu leiden hat. Und Deutschland hat gerade entschieden, sich neben Frankreich, Großbritannien und den USA an der Intervention in Syrien zu beteiligen. Und es gibt einen Aspekt der Geschichte des Konflikts in Syrien, der weder in Deutschland noch anderswo weithin diskutiert wird: nämlich, dass es eine starken Zusammenhang zwischen Klimawandel, klimawandel-induzierter Dürre und den Konflikten in Syrien gibt.

Die Studien sagen im Prinzip Folgendes: Jeder bewaffnete Konflikt wird zuerst mal natürlich von einem Bündel von Faktoren verursacht. Aber es gibt eine durchgehende Korrelation zwischen Preisspitzen in globalen Nahrungsmittelmärkten einerseits und gewaltsamen Konflikten und Aufständen in Nordafrika und dem Nahen Osten andererseit. Und Syrien hat von 2007 bis 2010 die bisher schlimmste Dürre seit dem Anfang der Aufzeichnungen vor hundert Jahren erlebt. Diese wiederum hat zu schlechten Ernten und dem Tod vieler Nutztiere geführt - woraufhin viele Menschen vom Land in die Stadt zogen.

Dieser starke Zuzug in die Städte wiederum hat schon existierende Verteilungskonflikte verschärft, und war einer der Auslöser des Syrischen Aufstands - der dann wiederum den religiösen Extremismus in der Region anheizte, in einer ganz ähnlichen Dynamik, wie du sie in Bezug auf die Tschadseeregion aufgezeigt hast.Und das bedeutet, dass wir, wenn hier über Klimagerechtigkeit reden, wir natürlich auch über Krieg und Frieden reden.

Ken Henshaw: Ganz genau. Das Szenario, das du hier aufmachst, ist ein ganz ähnliches wie dasjenige, das unsere Forschung in Nigeria ausgemacht hat. Ich denke, dass wir künftig sogar mehr solcher Tendenzen sehen werden, da hier in Paris ja keinerlei Lösung des Problems auf dem Tisch liegt. Die Staats- und Regierungschef reden noch immer um den heißen Brei herum, sie nehmen keine starken Positionen ein. Es ist wahrscheinlich, dass der Klimawandel weiter eskaliert, dass immer mehr Lebensgrundlagen verschwinden werden, dass immer mehr Menschen in den religiösen Extremismus hineingedrängt werden - sogar solche, die unter normalen Umständen damit überhaupt nichts am Hut hätten. Denn die werden in so einer Situation anfällig für die Rekrutierung durch religiöse Extremisten.

Denn: Was soll man sonst auch machen? Es gibt ja nichts zu tun! Diejenigen, die diesen Zusammenhang zwischen Klimawandel und Konflikten immer noch anzweifeln, müssen sich folgende Frage stellen: Warum fällt es einer Sekte wie Boko Haram, mit einer so gefährlichen Ideologie, so leicht, genau in dieser Region, wo Armut und Not mittlerweile auf dem Höhepunkt sind, so ausgiebig zu rekrutieren?

Tadzio Müller: Was ist denn dann deiner Meinung nach der zentrale Hebel, der bewegt werden müsste - entweder hier auf dem Pariser Gipfel, oder in den vielen lokalen Kämpfen für Klimagerechtigkeit - um derartige bewaffnete Konflikte zu vermeiden?

Ken Henshaw: So lange dieser Zusammenhang zwischen Klimawandel und bewaffneten Konflikten besteht, ist die Antwort einfach: Klimawandel aufhalten. Der Klimawandel untergräbt Lebensgrundlagen, und zerstört im Prinzip den Planeten. Ich denke, dass wir schwere Entscheidungen treffen müssen. Vielleicht brauchen wir sogar eine Art von Schocktherapie. Etwas, dass die Menschen aus ihrem süßen Schlummer reißt, etwas, dass die Regierungschefs aufweckt: Wir müssen die Treibhausgasemissionen radikal deckeln. Und schlussendlich müssen wir die fossilen Brennstoffe im Boden lassen.

Tadzio Müller: Vielen Dank, Ken, das sind genau die Themen, über die wir hier reden sollten.


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