Rosa-Luxemburg-Stiftung gegen das Vergessen des Völkermordes an den Sinti und Roma
Daß die »Endlösung der Judenfrage« und die, von Himmler schon am 8. Dezember 1938 angekündigte, »endgültige Lösung der Zigeunerfrage « rassistisch motiviert waren, bedarf … keiner weiteren Begründung. Antisemitismus und Antiziganismus im allgemeinen, Rassenantisemitismus und Rassenantiziganismus im besonderen sind grundsätzlich vergleichbar. Der Rassenantiziganismus wies aber eine Besonderheit auf. Bei der »endgültigen Lösung der Zigeunerfrage (…) aus dem Wesen dieser Rasse heraus« sollten die »Mischlingszigeuner« »gesondert behandelt« werden. Galten sie doch als noch »minderwertiger« als die »reinrassigen Zigeuner«, weil die »zigeunerischen Mischlinge« neben ihrem »minderwertigen zigeunerischen« auch noch das ebenso »minderwertige« Blut von »Asozialen« und »Kriminellen« in ihren Adern hätten.
Wolfgang Wippermann
Im Jahre 2003 ist endlich ein ausführlicher Katalog zur ständigen Ausstellung »Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma« in der Gedenkstätte Auschwitz erschienen. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat sich finanziell daran beteiligt, dass diese späte Dokumentation endlich die dramatischen Familiengeschichten nachlesbar macht, die allzu lange ein verdrängtes Thema waren.
Darum lag es für die Rosa-Luxemburg-Stiftung nahe, im Zusammenhang mit den Veranstaltungen zum 60. Jahrestag der Befreiung auch eine Tagung »Sinti und Roma« zu veranstalten – gewidmet den »vergessenen« Opfern des Holocaust. Gewonnen werden konnten als Referenten sowohl der seit Jahrzehnten in der Forschung über den NS-Völkermord an den Roma und Sinti ausgewiesene Prof. Dr. Wolfgang Wippermann (Freie Universität Berlin) als auch Silvio Peritore, Leiter des Referates Dokumentation im Dokumentationszentrum deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. Leider musste Petra Rosenberg, die Vorsitzende des Landesverbandes der Sinti und Roma in Heidelberg, wegen Krankheit ihr Referat kurzfristig absagen. Dafür konnte ein Bericht über einen »Bettelmarsch« und ein monatelanges Protestcamp von um Aufenthalt bittenden Roma in Nordrhein-Westfalen Anfang der 90er Jahre noch ins Programm genommen werden. Die Erfahrungen der beiden Organisatorinnen des Camps ergänzten unmittelbar die Ausführungen von Bosiljka Schedlich, die über »Die Roma nach dem Zerfall Jugoslawiens« sprach und deren ausweglose Situation beschrieben hatte.
Wenige Wochen vor unserer Tagung war Wippermanns neue Veröffentlichung »Auserwählte Opfer? Shoah und Porrajmos im Vergleich. Eine Kontroverse« erschienen. Alle Referenten machten deutlich, dass es sich bei Sinti und Roma keineswegs nur um »vergessene« Opfer handelt, sondern dass in Deutschland die Überlebenden seit 1945 – also nach ihrer Befreiung von dem Verdikt verordneter Ausrottung – erneut Opfer von Gesetzen, die die alte Diskriminierung fortschreiben, und von nicht revidierten Vorurteilen geworden sind. Unterstützt dadurch, dass die Shoa – die Vernichtung der Juden – gerade von namhaften Historikern als unvergleichlich mit dem Völkermord an Sinti und Roma festgeschrieben wurde, werden für die nunmehr demokratischen Behörden Sinti und Roma in folgenschwerer Kontinuität weiterhin als »soziale Randgruppe«, als »Asoziale« oder »Kriminelle« geführt und auch so behandelt. Von finanzieller Wiedergutmachung blieben sie ausgeschlossen. Die diskriminierende Bezeichnung »Zigeuner« (von »Gauner«) wurde beibehalten und oft zusätzlich behördlich um »asozial« ergänzt.
Nach der Befreiung Europas vom Hitlerfaschismus erlebten Roma und Sinti nicht nur in Deutschland eine neue Leidensgeschichte, weil ihnen die Anerkennung als Opfer versagt blieb und sie die Ermordung ihrer Familien alleine betrauern mussten.
Fazit der 55 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung, die auch die Möglichkeit der Befragung der Referentinnen und Referenten ausführlich nutzten, dass die Rosa-Luxemburg-Stiftung das Thema auch im nächsten Jahresprogramm wieder behandeln sollte. Die Vorträge hatten deutlich gemacht, dass Mangel an Information einen fatalen Nährboden für fortdauernde Diskriminierung bietet. Es ist vorgesehen, einige der Referate in »UTOPIE kreativ« zu veröffentlichen.
- Tagungsbericht in der "Jungen Welt" vom 15.3.2005
Hans Daniel: »Nicht die Täter entscheiden«
Berliner Tagung über Sinti und Roma als »vergessene Opfer des Holocaust«. Provokation der Bundesregierung zurückgewiesen
Ablauf
11.00–11.15 Uhr
Begrüßung
Einleitung in die Problemstellung
Prof. Dr. Heinrich Fink, Berlin
11.15–12.15 Uhr
Roma und Sinti in Europa – Eine Leidensgeschichte durch Jahrhunderte
Prof. Dr. Wolfgang Wippermann, Berlin
12.30–13.15 Uhr
Die vergessenen Opfer des Holocaust
Silvio Peritore, Heidelberg, Leiter des Referates Dokumentation im Dokumentationszentrum deutscher Sinti und Roma
13.15–13.45 Uhr
Pause mit Imbiss
13.45–14.30 Uhr
Die Familiengeschichte einer leidvollen Identität
Petra Rosenberg, Berlin, Vorsitzende des Landesverbandes der Sinti und Roma Brandenburg
14.30–15.00 Uhr
Die Roma nach dem Zerfall Jugoslawiens
Bosiljka Schedlich, Berlin, Leiterin von südost Europa Kultur e.V.
15.00–15.45 Uhr
Abschlussdiskussion mit den Referenten