Documentation Torgau: 25. April 1945 – 25.April 2005. Den’ El’by – Elbe-Tag – Elbe Day

60 Jahre Hoffnung auf alliierten Frieden nach dem Ende des 2. Weltkrieges. ZeitzeugInnengespräche für und mit Torgauer SchülerInnen

Information

Event location

Alte Superintendentur
Wintergrüne 2
04860 Torgau

Date

23.04.2005

With

Wladimir Gall, Moskau; Ludwig Baumann, Bremen; Hanna Podymachina, Berlin; Victor Großmann, USA; Klaus Ehrler, Historiker

Themes

Geschichte

Victor Grossmann: Rede auf der Veranstaltung


"War der Sieg der Alliierten eine Chance für den Weltfrieden?"

(Kurzfassung des Beitrags von Klaus Ehrler)

Der Sieg der Alliierten von 1945 sollte ein Sieg ganz neuer Qualität werden: ein endgültiger Sieg, mit dem letztendlich der Krieg als Instrument der Politik abgeschafft würde. Immanuel Kants Vision vom "Ewigen Frieden" schien aus utopischer Ferne in konkretisierbare Nähe gerückt. Die Denk- und Handlungsmuster der Aufklärung und vernunftgemäßen Menschenfreundlichkeit waren nach den barbarischen Rückfällen des 20. Jahrhunderts in ausschließende und massenvernichtende faschistisch-militaristische Herrschaftssysteme und

-praktiken zunächst wieder offiziell weltweit anerkannt, so dass prinzipiell alle Völker neue Friedenshoffnung schöpfen durften, das heißt in traditionellem Sprachgebrauch: sowohl die siegreichen als auch die besiegten Nationen. Schließlich sollte und wollte 1945 das Kriegsbündnis der "Vereinten Nationen" – die Anti-Hitler - und Anti-Tenno-Koalition – mit dem militärischen zugleich den politisch-moralischen Sieg der Weltfriedens-Kräfte erringen, der künftig das Kriegs-Szenario von Siegern und Besiegten, von (fast) Allmächtigen und Ohnmächtigen  aus dem Weltgeschehen verbannen würde. Friedliches Völkerrecht für alle Nationen ohne Unterschied ihrer bisherigen Größe und Machtfülle: diese Perspektive der Menschheitsgeschichte enthielt das Versprechen, gewalt- und kriegsloser Interessenausgleichs- und Konfliktlösungs-Mechanismen in einer sozusagen klassenlosen Gesellschaft aller Völker. Dieser prinzipielle Neuanfang oder Wendepunkt fand sein einprägsamstes Symbol im Ereignis des Alliierten-Treffens an der Elbe bei Torgau am 25. April 1945, zwei Wochen vor der bedingungslosen militärischen Kapitulation Nazi-Deutschlands am 8. Mai 1945 in Karlshorst.

Was ist von diesem Sieg der Alliierten, besonders von den skizzierten Weltfriedens-Hoffnungen "60 Jahre danach" übriggeblieben?

Die Bilanz der konkreten  Einzelposten ist geradezu erschütternd negativ:

Mit keinem einzigen seiner 51 Kriegsgegner-Staaten der Anti-Hitler-Koalition hat das besiegte und  kriegsschuldbelastete Deutschland einen den Normen des Völkerrechts entsprechenden Friedensvertrag abgeschlossen, während die parallele kriegsverursachende Militärgroßmacht Tenno-Japan ihre sämtlichen Friedensverträge mit Ausnahme desjenigen mit der UdSSR bzw. Russland getätigt hat.

Das Abrüstungsgebot von 1945 blieb letztlich sowohl für Deutschland als auch für Japan unbefolgt. Die wurzeltiefe Überwindung nazistisch-faschistischer Denk- und Handlungsmuster sowie ihrer Auswirkungen ist nicht wirklich erfolgt, trotz punktueller Resultate der Nazi-Opfer-Entschädigungen, Diskriminierungsbekämpfungen und soziokultureller Toleranz-Bemühungen. Konservative Geschichtsumdeutungen fördern die Rehabilitierung nationalistischer, ja sogar revanchistisch-antidemokratischer und antisozialistischer Positionen und Forderungen: die Historiker-Debatte der 80er Jahre aktualisiert sich in der Tendenz,  Opfer- und Täter-Rollen umzukehren oder in der  Verweigerung einer konsequenten Anti-NPD-Strategie, nicht nur in Sachsen!

Weltweit ist zu beklagen, dass Kriege als Instrumente der Politik und Herrschaftsausübung nicht nur nicht "abgeschafft", sondern zu einer erschütternden Vielfalt raffiniert ausdifferenzierter Gewaltanwendungs- und Erpressungsprozeduren weiterentwickelt wurden; die von US-Außenminister Frank B. Kellogg 1928 völkerrechtsgültig durchgesetzte Ächtung des Krieges - damals  von 63 der 76 souveränen Staaten der Erde gebilligt und ratifiziert - ist schnell und längst vergessen, trotz ihrer Basisfunktion als Hauptargument für die Verurteilung der deutschen Nazi-Kriegsverbrecher in Nürnberg 1946.

Zwischen-Fazit:   die Aussichten auf eine kurz- bis höchstens mittelfristige Realisierung allseits akzeptabler weltweiter Friedensverhältnisse verminderten sich von 1947 an so deutlich, dass nur noch die stufenweise Annäherung an das 1945 scheinbar bald erreichbare große Ziel auf der Tagesordnung der Politik stehen konnte. Es blieb aber die Hoffnung auf das noch 1945 zustande gekommene System der Vereinten Nationen: die gemeinsamen Erkenntnisse, Erwartungen und Verpflichtungen der 51 Gründerstaaten, die mehr als zwei Drittel der Menschheit vertraten, bilden seither die universale Basis jeder realistischen und glaubwürdigen Weltfriedenspolitik. Trotz aller Spaltungen, Kontroversen und kriegerischen Konflikte seit Entstehen des Kalten Krieges hat das Fundament der aus den Friedensvisionen der Anti-Hitler- und Anti-Tenno-Koalition erwachsenen UNO-Strukturen ausbaufähig "gehalten" - allen negativen Voraussagen zum Trotz! Die Universalität der UNO-Prinzipien wird gerade jetzt von imperialen Unilateralisten, besonders in den USA, in Frage gestellt; doch auf die Dauer darf sich die Völkergemeinschaft diesen Rückfall in die Zeiten des Faustrechts, der Folter und der Sklaverei bei Strafe ihrer Entwürdigung und ihres moralischen und physischen Untergangs nicht bieten lassen: allgemeiner und konsequenter Widerstand ist geboten.

Am Beispiel der Bemühungen um die Friedensvertragsabschlüsse nach 1945, um die Abrüstung der Nationen, besonders der Atomwaffenarsenale, um die Überwindung der Reste des Faschismus, Militarismus und Kolonialismus, um die Verständigung und um Vereinbarungen über regionale Vorstufen und Teilbereiche des Weltfriedens (z.B. das KSZE-Helsinki-System) wird in der Langfassung dieses Beitrages gezeigt, dass die Weltfriedens-Chance des Sieges der Alliierten von 1945 zwar bedroht, aber nicht erledigt ist; dass trotz aller Rückschläge, die sich vor allem aus der Verletzung oder Nicht-Befolgung von UNO- Beschlüssen und -Regeln ergaben (wie z.B. im Blick auf den Verstoß der Bundesrepublik Deutschland gegen die Feindstaaten-Klauseln der UNO-Charta gemäß Art. 53 und 107 beim Angriffskrieg gegen den UNO-Gründerstaat Jugoslawien im Jahre 1999), auf die UNO und ihre weltweite Vorrangstellung für alle friedensstiftenden Aktionen nicht verzichtet werden kann und darf. Die UNO-Konferenzen über die Reform der Vereinten Nationen und die entsprechende Änderung ihrer Charta (wovon nicht allein der Sicherheitsrat, sondern auch die Feindstaatenklauseln von 1945 betroffen sein werden) sowie nicht zuletzt über die Erfüllung des Atomwaffensperrvertrages erinnern an die Mahnung Albert Einsteins, dass angesichts der neuen militärisch missbrauchbaren technologischen Gefährdungs-Potentiale nur eine friedensethisch zuverlässige Menschheitsregierung noch im Stande sein werde, weltweiten Frieden zu stiften und zu sichern.

60 Jahre danach ist ein neues Bündnis aller unterschiedlich motivierten Friedenskräfte notwendig, dieses Programm zu aktualisieren und zum Mindesterfolg der Delegitimierung sämtlicher Formen der Kriegsbrandstiftung und Kriegsführung zu bringen. Dazu ist auch eine kritische Aufarbeitung der Geschichte Deutschlands nach 1945 erforderlich: der Sieg der Alliierten der Anti-Hitler-Koalition gilt noch für zu viele Deutsche vor allem als Niederlage, nicht aber als Befreiung von staatlich verordneter Todes- und Erniedrigungs-Politik. Auch in den Medien wird "neutral" und "objektiv" oft nur vom "Kriegsende" gesprochen. Wenn es dabei bliebe, wäre das die Kapitulation vor neuem verständigungshemmenden Nationalismus und Unilateralismus. Also kommt jetzt alles darauf an, dass sich die Internationalisten aller Motivationen darauf einigen, der Universalität der UNO dauerhafte Geltung zu verschaffen: die Erinnerung an den 25.4.1945 in Torgau ermutigt auch uns, diesem Friedensauftrag treu zu bleiben.