Documentation 100 Jahre Friedensnobelpreis für Bertha von Suttner – 1000 Frauen für den Friedensnobelpreis 2005

Vier Frauen sind von der in der Schweiz begründeten Initiative »1000 FriedensFrauen« für den Friedensnobelpreis 2005 vorgeschlagen worden. Das Tschechische Friedensforum und die RLS nahmen den 100. Jahrestages der Verleihung dieses Preises an Bertha von Suttner zum Anlass, die Projekte dieser Frauen im Rahmen eines internationalen Workshops vorzustellen.

Information

Date

08.09.2005 - 09.09.2005

Während des Pressegesprächs 08.September 2005 und der Konferenz am folgenden Tag stellten Maria Szyszkowska (Polen), Bosiljka Schedlich (Deutschland), Věra Vohlídalová (Tschechische Republik), und Daniela Hivešová-Šilanová (Slowakei), die von der Initiative „1000 Frauen für den Friedensnobelpreis 2005“ für den Friedensnobelpreis 2005 nominiert wurden, ihre ganz konkrete Arbeit für Frieden und Völkerverständigung vor. Die Beiträge aller Beteiligten an der Konferenz boten in ihrer Gesamtheit vielschichtige Bezüge zu Bertha von Suttners Wirken für den Frieden, zu Friedenserziehung und zu Positionen in der Friedensfrage heute.

Kann der Verleihung des Friedensnobelpreises an Bertha von Suttner besser gedacht werden als mit Frauenpersönlichkeiten, die im Rahmen einer wertvollen Initiative im Jahr 2005 für den Friedensnobelpreis kandidieren? Wohl kaum. Schnell wurde deutlich, worin die vier Friedenskämpferinnen von heute ihrer berühmten Vorgängerin zu gleichen scheinen: Die unerschrockene Haltung gegen gesellschaftliche Erscheinungen, aus denen heraus die Existenz des einzelnen menschlichen Lebens zweckgerichtet in Zusammenhänge gepresst wird, aus denen nur noch schwer zu entrinnen ist.
Seinen dramatischen Ausdruck findet diese Zwangslage im Krieg. Aber auch unterhalb dieser gewalttätigen Schwelle findet sich Willkür, mit der aus der „Mehrheitsgesellschaft“ heraus häufig genug gegen Menschen vorgegangen wird, die sich – nach welchen Kriterien auch immer - in offenkundiger Minderheitenposition befinden. Alle vier Frauen kennen aus eigener politischer und gesellschaftlicher Tätigkeit derartige Situationen und sind sich nicht zu schade, mutig dagegen in der Öffentlichkeit einzutreten. Sie taten und tun dies wie einst die Suttner: Aus der Position eines die Konsequenzen zu Ende denkenden Menschen.

Bosijlka Schedlich (Deutschland), Tochter eines jugoslawischen Partisans, kam 1968 als Gastarbeiterin nach Westberlin. Mit dem Ausbruch des verhängnisvollen und blutigen Bürgerkriegs während des Zerfalls Jugoslawiens betreute sie traumatisierte Kriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina und aus Kosovo. Věra Vohlídalová (Tschechien), während des Zweiten Weltkriegs im Londoner Exil geborene Tochter tschechisch-deutscher Antifaschisten, gelang in der nordböhmischen Stadt Liberec gegen vielfältige behördliche und sonstige Widerstände die Einrichtung einer Bibliothek verbotener Bücher und verdrängter Kulturen. Die erste nach dem Krieg neu errichtete Synagoge des Landes fand im Bibliotheksgebäude sinnvollen Platz. Maria Szyszkowska (Polen), Mitglied des polnischen Oberhauses und Professorin für Rechtsphilosophie, stellte sich als streitbare Pazifistin dar, die der an Zahl kleinen Friedensbewegung Polens ganz in der Tradition Suttners mit dem geschriebenen Wort die ausdrucksstärkste Stimme gibt. Ihr konsequenter und öffentlich gemachter Einsatz gegen Polens Beteiligung am jüngsten Irak-Krieg hat ihr wahrlich nicht nur Freunde gemacht. Daniela Hivešová-Šilanová (Slowakei), die sich selbst zunächst als engagierte Dichterin und Schauspielerin sieht, engagiert sich seit Jahren für eine sträflichst an den Rand der Gesellschaft gedrückte Minderheit. Die Situation der Roma, die in der Slowakei etwa 9-10% der Gesamtbevölkerung ausmachen, ist in großem Maße gekennzeichnet durch Ausgrenzung, überdurchschnittliche Armut, verbreitete Perspektivlosigkeit und auch örtliche Trennung von der übrigen Gesellschaft. Ein beklagenswerter Zustand, in dem die slowakische Dichterin in erster Linie einen Ausdruck der Gewalt in der eigenen Gesellschaft sieht. Diese Missstände ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, den betroffenen Menschen Möglichkeiten für die Änderung ihrer beklemmenden Lebenssituation zu eröffnen ist wichtigstes Ziel der engagierten Streiterin gegen Fremdenhass im eigenen Land. Außerdem verwies sie darauf, dass die Roma als Opfergruppe der Vernichtungspolitik des Dritten Reichs allzu oft vergessen werden.

Vor diesem viele Akzente setzenden aktuellen gesellschaftspolitischen Hintergrund eröffneten die kenntnisreichen Beschreibungen des literarischen Werkes und der lebensweltlichen Zusammenhänge der Suttner, wie sie Sigrid und Helmut Bock (beide Berlin) vorstellten, dem Auditorium ganz plastisch, worin die eigentliche Lebensleistung der in Prag geborenen unbestechlichen Streiterin für Frieden bestand. Jana Hodurová (Prag), Vorsitzende der tschechischen Bertha-von-Suttner-Gesellschaft, verwies auf die Zusammenarbeit in dem für die Friedensarbeit so wichtigen Schulbereich, etwa auf Formen von partnerschaftlicher Zusammenarbeit zwischen Suttner-Schulen in Deutschland, Österreich und Tschechien.

Jörn Schütrumpf (Berlin) widmete sich des nicht einfachen Vergleichs zwischen Suttner und Rosa Luxemburg, die in ihrer Zeit als die beiden wichtigsten friedenspolitischen Streiterinnen im deutschsprachigen Raum bezeichnet werden können. Dabei verwies er auch auf die jahrzehntelange Geringschätzung der pazifistischen, auf Ausgleich und internationale Schiedsgerichtsbarkeit beruhenden Positionen bei Bertha von Suttner etwa im marxistischen Diskurs nach dem Zweiten Weltkrieg. Für Luxemburg sei die Frage Krieg oder Frieden in einem viel stärkeren Maße auf tiefsitzende gesellschaftliche Wurzeln rückführbar gewesen, gleichwohl musste sie mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ihre schmerzlichste persönliche Niederlage hinnehmen. Für ihre persönliche Konsequenz aber büßte sie mit Inhaftierung, der sie sich im kaiserlichen Deutschland fast die gesamte Zeit des Weltkrieges hindurch unterziehen musste.

Dietmar Wittich (Berlin) stellte kenntnisreich aktuelle Untersuchungen zu Einstellungen zu Krieg und Frieden in 41 verschiedenen Ländern/Gesellschaften vor. Ein interessantes Ergebnis ist übrigens, dass selbst in den USA eine Mehrheit nicht meint, die Welt sei seit den US-Kriegen in Afghanistan und im Irak sicherer geworden. In fast allen Ländern (außer z. B. Albanien, die Provinz Kosovo, Philippinen) ist es Mehrheitsmeinung, dass die USA gegenwärtig zu sehr auf die Androhung militärischer Gewalt in den Beziehungen zu anderen Ländern setzten. Welch ein sensibles Feld die Meinungsforschung bezüglich der Kriegs-Frieden-Frage sein kann, mag vielleicht die für viele Länder symptomatische Situation in Polen verdeutlichen, wo zwar 70% der befragten Bürger regelmäßig gegen die Beteiligung des eigenen Landes an der Besetzung des Iraks sind, bei öffentlichen Protesten hingegen nur vergleichsweise wenige Menschen sich trauen, ihre Meinung auch öffentlich zu manifestieren. Damit war der Kreis zu Bertha von Suttner und den vier Kandidatinnen auf wohlanständige Weise wieder geschlossen.

Der Veranstaltung wohnten u. a. der stellvertretene Botschafter der Republik Slowakei in der Tschechischen Republik und der tschechische Parlamentsabgeordnete Stanislav Fischer bei. Letzterer verwies in seinem kurzen Beitrag auf den NATO-Krieg gegen Jugoslawien, der einmal mehr verdeutlicht habe, dass unter geänderten geostrategischen Bedingungen Kriegsführung mit modernsten militärischen Mitteln in Europa wieder möglich sei.

(Holger Politt)

Vorträge:

>> Vladimíra Levá: Einleitende Worte

>> Helmut Bock: Das Aktuelle in der Geschichte. Vor 100 Jahren: Nobels Friedenspreis für Bertha von Suttner


>> Sigrid Bock: Von der Kraft der Literatur. Zur Wirkung des Romans „Die Waffen nieder!“ von Bertha von Suttner


>> Jörn Schütrumpf: Bertha von Suttner und Rosa Luxemburg


>> Maria Szyszkowska: Pazifismus im 21. Jahrhundert

>> Dietmar Wittich: Weltmeinung gegen die „neuen“ Kriege