Documentation Potentiale linker Programmatik oder: Gesellschaft sucht Partei

Mit dem erfolgreichen gemeinsamen Wahlkampf von Linkspartei.PDS und WASG und dem Einzug in den Deutschen Bundestag hat das politische Spektrum links von rot-grün einen ersten wichtigen Achtungserfolg erzielt. Doch eine dauerhafte Perspektive im deutschen Parteiensystem hat sich „Die Linke“ damit noch nicht gesichert.

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Date

26.10.2005

With

Prof. Dr. Michael Brie, RLS; Detlef Hensche, ehem. IG Medien; Dr. Gero Neugebauer, FU Berlin

Themes

Soziale Bewegungen / Organisierung

Ebenso wenig hat sie bereits ihr Ziel erreicht, als parteipolitische Plattform einer neuen Formation der Linken in Deutschland zu fungieren. Die Herausforderungen, vor der die Linkspartei.PDS, die WASG und die ihnen nahe stehenden linken Kräfte und Einzelpersönlichkeiten stehen, wurden in der Veranstaltung drei Komplexen zugeordnet: 1.) Der Kampf um die Zurückdrängung der neoliberalen Hegemonie in der Gesellschaft; 2.) Die Entwicklung einer alternativen Reformagenda; 3.) Der Prozess zur Herausbildung einer neuen Formation der Linken. Das Konzept der Veranstalter erfüllte sich zum Teil.

Prof. Dr. Michael Brie, RLS, stellte dar, dass für diese Reformagenda strategisch tragfähige und ausdifferenzierte Konzepte zu Arbeit, Gerechtigkeit, Demokratie und Einkommen erforderlich sind. Für Dr. Gero Neugebauer, FU Berlin, stand eine Strategie im Mittelpunkt, die die seit Ende Mai 2005 bestehende Dynamik aufnimmt und nutzt. Mit einem Hinweis auf die Differenzen in den Wahlprogrammen von Linkspartei und WASG hinsichtlich des Begriffes und Konzeptes des Demokratischen Sozialismus mahnte er eine Diskussion über die differierenden Identitäten und zeitlichen Perspektiven beider Parteien an. Dr. Detlef Hensche, ehem. Vorsitzender IG Medien, pointierte auf die Möglichkeiten der Parteien und diskutierte von dem Bonmot „Partei sucht Gesellschaft“ her, um so die Bedeutung sozialstaatlicher Positionen in den Vordergrund zu stellen. Konsens war es in der von Felix Lederle und Cornelia Hildebrandt moderierten Veranstaltung, das Gegenstrategien zur Privatisierung öffentlicher Güter ein Kern der künftigen Debatte sein wird.

In der folgenden Diskussion fokussierten die Fragen der ca. 60 Teilnehmer weniger auf die Entwicklung einer alternativen Reformagenda und mehr auf den Kampf um die Zurückdrängung der neoliberalen Hegemonie in der Gesellschaft. Letzteres wurde von den kontroversen Positionen zur Berliner Regierungsbeteiligung her verstanden und durch die Teilnahme von Landesvorstandsmitgliedern aus Linkspartei und WASG Berlin auch qualifiziert debattiert. Zu dem Prozess der Herausbildung einer neuen Formation der Linken standen verschiedene Möglichkeiten einer Zusammenarbeit zwischen sozialen Bewegungen und Parteien im Zentrum der Debatte, wobei insbesondere eine Rezeption der Erfahrungen aus dem EU-Verfassungsprozeß in Frankreich für erforderlich gehalten wurde.

(Bericht: Helge Meves)

Beiträge:

Felix Lederle (Netzwerk neue Linkspartei „LipaNet“, Vorstand der
WASG-Charlottenburg-Wilmersdorf):

Die Herausforderungen vor der die Linkspartei.PDS, die WASG und die ihnen nahe stehenden linken Kräfte und Einzelpersönlichkeiten stehen, lassen sich drei Komplexen zuordnen, die im Rahmen der Veranstaltung behandelt werden sollen: 1.) Der Kampf um die Zurückdrängung der neoliberalen Hegemonie in der Gesellschaft; 2.) Die Entwicklung einer alternativen Reformagenda (1. Teil der Veranstaltung); 3.) Der Prozess zur Herausbildung einer neuen Formation der Linken (2. Teil der Veranstaltung).  

Ad 1.): Angesichts der neoliberalen Hegemonie in Deutschland und der EU besteht das strategische Ziel der neuen Linkspartei darin, Teil und bewegende Kraft einer umfassenden Formation von Kräften zu werden, die einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft in Richtung auf deren Bereitschaft zum sozialen und demokratischen Konflikt herbeiführt. Hier stellen sich die Fragen, wie sich die weit verbreiteten Bedenken in den sozialen Bewegungen gegenüber Parteien im allgemeinen überwinden und wie sich eine übermäßige Anpassung der neuen Linkspartei an die „parlamentarisch-repräsentativen“ Abläufe und eine Abkopplung von den sozialen Bewegungen verhindern lassen.

Ad 2.): Auf der Grundlage einer Einschätzung, welche gesellschaftlichen Konfliktlinien „Die Linke“ repräsentiert, soll diskutiert werden, auf welche zentralen Problemfelder sie sich konzentrieren sollte. Anhand eines Vergleichs der Programmatik von Linkspartei.PDS und WASG sollen die voraussichtlichen Schwierigkeiten des inhaltlichen Klärungsprozesses erörtert werden. Insgesamt geht es um die Frage, wofür „Die Linke“ angesichts der gegenwärtigen Kräfteverhältnisse stehen soll und kann, wobei die realen Potentiale hierfür zu berücksichtigen sind. Worin besteht die Funktion der neuen Linken: linkes Korrektiv oder eigenständiges Projekt und wenn ja mit welcher Vision?

Ad 3.): Seit dem erfolgreichen gemeinsamen Bundestagswahlantritt verläuft die Diskussion zum Thema „Parteibildungsprozess“ kaum mehr entlang der Frage des ob, sondern statt dessen der Frage des wie bzw. das Prozedere und das Timing des Parteibildungsprozesses werden thematisiert. Ausgehend von der Überlegung, dass an den Parteibildungsprozess zwei miteinander konkurrierende Anforderungen gerichtet werden, steht die Frage im Vordergrund, wie sich zum einen die Dynamik des Prozesses aufrechterhalten und schnelle Einheit und Politikfähigkeit erzielen lassen und gleichzeitig zum anderen vor der Parteibildung möglichst umfassende Klarheit über die grundsätzliche inhaltlich-strategische Ausrichtung unter Gewährung umfassender Partizipationschancen gesichert werden kann. Angesichts der Unwägbarkeiten des Berliner Sonderfalls wird speziell auch die Frage nach den Risiken eines konkurrierenden Wahlantritts in Berlin für das Gesamtprojekt behandelt.
Da die Notwendigkeit eines neuen linken parteipolitischen Projektes nicht nur aus den gegenwärtigen politischen Herausforderungen, sondern auch aus den Grenzen und strukturellen Problemen der PDS abgeleitet wurde, stellt sich die Frage, wie gewährleistet werden kann, dass neben der Linkspartei.PDS auch die mitgliederschwächere WASG ihr spezifisches  Eigengewicht, insbesondere in Form ihrer stärkeren Verankerung in den sozialen Bewegungen und v.a. im kritischen Teil der Gewerkschaften in das Gesamtprojekt einzubringen vermag. In diesem Zusammenhang geht es u.a. um die Aspekte Verschmelzungsansatz, Paritätsprinzip, basisdemokratische Elemente, Form und Umfang von Minderheitenschutz und Bestimmungsgrundlage des Delegiertenschlüssels. Darüber hinaus wäre zu fragen, welche Synergieeffekte der  gegenüber den sozialen Bewegungen offen zu gestaltende Parteibildungsprozess mit sich bringt.